Bayern nimmt Firmen die Azubis weg

  24 Januar 2017    Gelesen: 1121
Bayern nimmt Firmen die Azubis weg
Ein Unternehmen findet nach langer Suche endlich einen Azubi, einen Flüchtling - wenig später folgt der Abschiebebescheid. Das Integrationsgesetz sollte solche Fälle vermeiden. Doch Bayern unterläuft die Regelung.
Sonja Ziegltrums Gärtnerei ist eine Firma, wie es in Deutschland viele gibt: Die Bayerische Blumenzentrale ist seit drei Generationen in Familienbesitz, seit fast zwei Jahrzehnten expandiert sie ins Ausland, nach Österreich, Ungarn und Rumänien. Und - auch das typisch - seit vielen Jahren schon sucht das Unternehmen aus dem Münchner Umland händeringend nach Auszubildenden. Rund um München wird es immer schwieriger, Interessenten für den Beruf des Gärtners zu finden, sagt Geschäftsführerin Ziegltrum.

Im vergangenen Jahr hätte sie gern sechs Azubis eingestellt. Gefunden hat sie drei: einen Deutschen, zwei 2015 nach Deutschland geflüchtete Pakistaner. Den Deutschen hat sie wieder entlassen, weil er "unsere ohnehin schon gesenkten Standards nicht erfüllte", sagt Ziegltrum. Die Pakistaner wird die Blumenzentrale nach dem Willen der bayerischen Behörden in den kommenden Wochen allerdings auch wieder verlieren: Beiden wurde Ende 2016 ein Abschiebebescheid zugestellt.

Der falsche Flüchtling?

Seit im Herbst 2015 die Fluchtbewegung nach Deutschland ihren Höhepunkt erreichte, hat die Politik die Wirtschaftsverbände und Unternehmen mehrfach in die Pflicht genommen. Eilig wurden Bündnisse zusammengezimmert, die eine Einbindung von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt beschleunigen sollten. "Wir zusammen" heißt etwa eine Initiative der deutschen Wirtschaft. Die Industrie- und Handelskammern wiederum haben 20 Millionen Euro in ein Programm namens "Ankommen in Deutschland" gesteckt.

"Ausbildung ist die beste Integrationsmaßnahme", hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) noch im Dezember verkündet. Sie hat auch versprochen, Abhilfe zu schaffen, "wo noch bürokratische Regelungen einem schnelleren Einstieg ins Berufsleben im Weg stehen".

In der Praxis sieht das oft anders aus, wie sich an dem Schreiben ablesen lässt, das der Betreiber eines kleinen Hotels an die Handelskammer Aschaffenburg geschickt hat. Der Verfasser hat weite Teile der E-Mail unterstrichen oder die Schrift gefettet, sein Unmut ist groß. Es geht um einen jungen Mann aus Albanien. Das Hotel hat ihn - auf Bitten von Wirtschaftsverbänden - eingestellt, um ihn zum Koch auszubilden.

Doch daraus wurde nichts: "Nach erfolgreicher Absolvierung des ersten Ausbildungsjahrs als Koch, inklusive staatlicher Förderung, wird Herr C. heute nach Albanien abgeschoben", so steht es in dem Schreiben. Das Hotel mag sich inzwischen nicht mehr öffentlich zu dem Fall äußern. Nur so viel: Der angehende Koch sitze nun in Albanien. Seinem Arbeitgeber habe der Fall nichts als bürokratische Scherereien eingebracht. Und: In Zukunft sollten es die Wirtschaftsverbände doch bitte unterlassen, noch einmal Werbung zu machen für mehr Einsatz bei der Integration von Flüchtlingen.

Der Rechtsruck verstimmt die Wirtschaft

Vor der Bundestagswahl im Herbst setzen vor allem die unionsgeführten Bundesländer auf demonstrative Härte in der Flüchtlingsfrage. Sie folgen dabei auch der Überzeugung, CDU und CSU dürften gerade vor der Bundestagswahl im Herbst den rechten Rand nicht allein der AfD überlassen.

Das Problem ist, dass der neue Kurs dem alten in Teilen diametral entgegensteht. Bayern etwa hatte sich im Oktober 2015 gemeinsam mit den Verbänden der Wirtschaft im Rahmen eines Integrationspakts verpflichtet, bis 2019 rund 60.000 Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Vor allem bei Handwerksbetrieben ist die Bereitschaft dazu hoch: Die Anforderungen der Firmen an das Bildungsniveau der Bewerber sind vergleichsweise niedrig, und die Branche sucht händeringend nach Nachwuchs. Bundesweit blieben dort allein 2016 20.000 Ausbildungsplätze unbesetzt.

Die härtere Gangart widerspricht auch dem, worauf sich die Große Koalition eigentlich gerade erst verständigt hatte: das neue Integrationsgesetz. Es sollte Flüchtlingen den Weg in die Lehre deutlich erleichtern.

Vorher war es so: Behörden konnten nach eigenem Ermessen Flüchtlingen unter 21 Jahren eine Duldung für drei Jahre Ausbildung plus zwei Jahre Beschäftigung (3+2-Regelung) genehmigen. Ausschlusskriterium: eine Einreise aus einem "sicheren Herkunftsland" - dazu zählen die Behörden Afghanistan, Pakistan oder Albanien.

Seit August nun gilt: Antragsteller sollten grundsätzlich einen Rechtsanspruch haben auf die 3+2-Duldung. Die Altersgrenze von 21 Jahren ist im Sommer weggefallen. Ein "sicheres Herkunftsland" soll nur noch dann ein Ausschlusskriterium sein, sofern der Flüchtling nach September 2015 bereits erfolglos einen Antrag auf Asyl gestellt hat.

Berlin war stolz auf das neue Gesetz. "Wir schaffen Rechtssicherheit für Geduldete und Ausbildungsbetriebe", verkündete der Koalitionsausschuss von Union und SPD. Doch mit der Sicherheit war es nicht weit her, jedenfalls in Bayern. Am 6. August 2016 trat das neue Integrationsgesetz samt 3+2-Regelung in Kraft. Vier Wochen später verschickte Bayerns Innenministerium per Mail "Vollzugshinweise" an die Ausländerbehörden des Freistaats. Das Schreiben war eine Anleitung, wie die neue Regelung unter Ausnutzung eines Schlupflochs in ihr Gegenteil umzudrehen sei: eine deutlich restriktivere Praxis.

Das Schlupfloch sieht so aus: Bei den Verhandlungen zum Integrationsgesetz wurde zur 3+2-Regelung ein Nachsatz eingefügt. In Paragraf 60a des Aufenthaltsgesetzes steht nun: Die Duldung "ist zu erteilen, [...] wenn konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen". Dieser Zusatz war ursprünglich gedacht für Extremfälle: Taucht kurz vor dem bereits gebuchten Abschiebeflug ein Ausbildungsvertrag auf, soll das die Abschiebung nicht verhindern.

Bayerns Behörden interpretieren den Zusatz aber viel weiter: eine "konkrete Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung" liege bereits vor, wenn das Amt den Antragsteller aufgefordert habe, einen Pass zu beantragen. Das betrifft aber sehr viele Flüchtlinge, die vor oder nach der Einreise ihre Ausweispapiere wegwerfen - aus Angst vor einer direkten Abschiebung.

Vorbild Bayern?

Die Wirtschaftsverbände sind irritiert. Die Industrie- und Handelskammern in Bayern fürchten um das Ziel, bis zum Jahr 2019 60.000 Flüchtlinge in Ausbildung zu nehmen. Viele Unternehmen seien frustriert, weil die Behörden Zusagen wieder zurückziehen, heißt es bei der IHK. "Genau diese Sicherheit brauchen die Unternehmen aber für ihr Engagement bei der Integration. Die 3+2-Regelung sollte bundesweit einheitlich, transparent und unbürokratisch angewendet werden", mahnt Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags.

Offenbar wünscht sich Bayerns Landesregierung, ihr Unterlaufen der 3+2-Duldung von Auszubildenden möge bundesweit Schule machen. So hat es zumindest Norbert Scharbach (SPD), Abteilungsleiter im Innenministerium von Schleswig-Holstein, berichtet: Der Freistaat habe beim Bundesinnenministerium für seine restriktive Praxis Werbung gemacht. Ein entsprechendes Schreiben sei in Kopie an alle Landesregierungen verschickt worden.

Sonja Ziegltrum von der Bayerischen Blumenzentrale ist enttäuscht. Als Vorsitzende eines Regionalausschusses der IHK hat sie sich bei anderen Unternehmern starkgemacht für den Integrationspakt. Ihr schien das eine gute Sache: Flüchtlinge bekommen eine Chance, Betriebe lange gesuchte Lehrlinge und der Staat erhalte Unterstützung bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise.

Inzwischen habe sie allerdings den Eindruck, "dass arbeitende Flüchtlinge eher abgeschoben werden, weil sie für die Behörde leichter zu greifen sind", sagt Ziegltrum. Sie hat ihren beiden Auszubildenden aus Pakistan einen Anwalt besorgt, der Klage eingereicht hat gegen den Abschiebebescheid. "Hätten wir das nicht getan, wären sie wahrscheinlich schon gar nicht mehr hier", sagt Ziegltrum. Und ihre Gärtnerei müsste schon wieder auf die Suche gehen nach Auszubildenden.

Quelle : spiegel.de

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