Darum verzichten die Deutschen plötzlich auf Dämmstoffe

  14 Januar 2017    Gelesen: 700
Darum verzichten die Deutschen plötzlich auf Dämmstoffe
Mitten im Bauboom tritt der Markt für Dämmstoffe auf der Stelle. Bei Renovierungen ist das Material zunehmend weniger gefragt und verzeichnet sogar ein Minus. Der Rückgang hat mehrere Gründe.
ei der Sanierung von Wohnhäusern spielt eine bessere Wärmeisolierung nicht mehr die Hauptrolle. 2016 wurden erneut weniger Dämmstoffe für Renovierungs- und Umbauprojekte in Deutschland verkauft, wie aus einer Studie der Beratungsfirma Kreutzer Fischer & Partner hervorgeht. „In Deutschland wird weniger thermisch saniert. Besonders zu spüren ist das bei Eigenheimbesitzern“, so die Autoren der Analyse.

Für Sanierungen wurden 2016 nach dem „Branchenradar Dämmstoffe“ Mineralwolle, Schaumstoffe und sonstiges Dämmmaterial im Gesamtwert von 1,16 Milliarden Euro verkauft – ein Prozent weniger als im Vorjahr. Das Minus glich den leichten Zuwachs bei Neubauten fast vollständig aus, so dass der Branchenumsatz mit 2,27 Milliarden Euro bei einem Mini-Zuwachs von 0,2 Prozent stagnierte. Schon 2015 war das Sanierungsgeschäft um 1,8 Prozent weggesackt, und auch für das laufende Jahr prognostizieren die Experten allenfalls minimale Zuwächse.

Günstige Energiepreise mindern Sanierungsdruck

Das lahme Dämmstoffgeschäft überrascht angesichts eines Baubooms im Wohnungsmarkt, wie es ihn in Deutschland lange nicht gegeben hat. „Große Zuversicht für 2017“, überschrieb der Hauptverband der Bauindustrie kürzlich seine Jahresprognose. Das gesamte Geschäft werde voraussichtlich um fünf Prozent wachsen und mit gut 112 Milliarden Euro den höchsten Stand seit zwei Jahrzehnten erreichen.

Wichtigster Wachstumsmotor sei erneut der Wohnungsbau mit einem erwarteten Zuwachs von sieben Prozent. Erstmals seit 15 Jahren werden danach in diesem Jahr mehr als 300.000 neue Wohnungen fertig.

Für das schwache Plus bei Dämmstoffen machen die Berater mehrere Ursachen verantwortlich. So hätten die vergleichsweise günstigen Energiepreise in vielen Privathaushalten den Druck gemindert, aus finanziellem Eigeninteresse eine energetische Sanierung vorzunehmen. Aber selbst beim Einsatz an Neubauten ist das erwartete Absatzplus für Dämmstoffe mit 2,7 Prozent nicht einmal halb so groß wie der voraussichtliche Zuwachs der Bau-Fertigstellungen.

Zu klassischen Dämmstoffen gibt es Alternativen

Als einen der Gründe machte Andreas Kreutzer, Chef der Beratungsfirma, eine Rückkehr zu größeren Wandstärken mit konventionellem Baumaterial bei selbst genutzten Häusern aus. Statt 25 Zentimeter dicke Wände mit Dämmschichten zu isolieren, würden mehr Häuser mit doppelt so dicken Wänden gebaut, die dann nur noch mit einem Thermoputz versehen würden. Auch so seien die gesetzlichen Vorschriften zu erreichen. Der neue Trend sei vor allem im süddeutschen Raum zu beobachten.

Viele Bauherren dürfte eine Serie schlechter Nachrichten über das marktführende Dämmmaterial Polystyrol zusätzlich skeptisch gemacht haben. Berichten über bauphysikalische Probleme bei voll isolierten Altbauten folgte in den letzten Jahren eine heftige Diskussion über das Brandverhalten von Styropor, wie der Handelsname lautet. Das Thema wurde 2011 sogar im Bundestag angesprochen und führte vor drei Jahren zu einer Verschärfung der Brandschutzvorschriften.



Allerdings riss der die Bemühung um besseren Feuerschutz zuletzt an anderer Stelle Probleme auf: bei der Entsorgung. Die Einstufung von mit bromhaltigen Flammschutzmitteln versehenem Styropor als gefährlicher Müll führte gegen Ende 2016 zu einem akuten Entsorgungsnotstand, da nur wenige besonders zertifizierte Anlagen das bei Renovierungen massenhaft anfallende Material noch beseitigen durften. Noch kurz vor Weihnachen stimmte das Bundeskabinett einem einjährigen Moratorium zu. Vorübergehend dürfen Dachdecker und Baufirmen nun die Dämmplatten wieder in die Müllverbrennungsanlagen wandern lassen.

Wie ein „Gewitter im Sommer“ habe das Thema die Branche erwischt, klagte der Industrieverband Hartschaum, und schaltete in den Verteidigungsmodus. „Wir beweisen durch Klarheit, Transparenz und hohe Qualität, dass wir nicht gewillt sind, uns in die Knie zwingen zu lassen - durch was oder wen auch immer“, heißt es kämpferisch in den jüngsten Mitteilungen für Mitglieder des Verbands vom Dezember.

Leicht wird das nicht. Die Preise treten seit Jahren auf der Stelle oder sind sogar leicht rückläufig. Ein Kubikmeter Schaumstoff wurde 2016 nach der Studie für durchschnittlich 74 Euro gehandelt, vier Euro weniger als drei Jahre zuvor. Auf Schaumstoffe entfällt die Hälfte des Markts, auf die billigeren Mineralwolle weitere 40 Prozent, den Rest teilen sich sonstige Dämmstoffe wie Holzfaserplatten, Hanf oder Zellulose.


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