Das verschonte Herz

  23 Auqust 2016    Gelesen: 673
Das verschonte Herz
Wenn es um Krebsleiden geht, sind Lunge, Darm und Brust besonders häufig betroffen. Doch auch das Herz kann erkranken. Wissenschaftler wollen herausfinden, warum einige Organe mehr gefährdet sind als andere.
Krebs am Herzen ist äußerst selten, in Lunge, Darm und Brust hingegen recht häufig. Warum tritt Krebs in einigen Organen bevorzugt auf und in anderen fast nie? Die Wissenschaftler haben diese Frage bisher vor allem mit dem Verweis auf die unterschiedlichen Teilungsraten der Organ-Stammzellen beantwortet sowie mit der unterschiedlichen Exposition gegenüber Schadstoffen. Organ-Stammzellen, die sich häufig teilen, laufen eher Gefahr zu entarten, als Stammzellen, die sich selten teilen.

Die innere Oberfläche des Darms wird zum Beispiel alle fünf Tage erneuert. Im Herzen teilen sich die Stammzellen dagegen nur einige Male im Jahr. Auch Schadstoffe bevorzugen einzelne Organe. Zigarettenrauch schadet vor allem der Lunge, Alkohol der Leber, und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe schaden vor allem dem Darm.

Der Druck nach mehr Schutzmechanismen

Frédéric Thomas von Zentrum für Ökologische und Evolutionäre Krebsforschung in Montpellier und seine Kollegen stellen diese Ursachen in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift „Trends in Cancer“ nicht in Abrede, sondern ergänzen sie durch eine weitere Theorie. Die Wissenschaftler betrachten die Organe als Ökosysteme, die sich den Krebszellen gegenüber mehr oder weniger gastfreundlich verhalten. Sie vermuten, dass Organe, die klein und extrem wichtig für das Überleben des Menschen sind - wie etwa das Herz oder das Gehirn -, in der Evolution Mechanismen entwickelt haben, Störungen von vorneherein abzublocken. Dazu gehört auch - so die Theorie -, dass diese vulnerablen Organe fremden Zellen gegenüber abweisend sind und ihnen keinen Platz gewähren, auch Krebszellen nicht.

Große oder paarige Organe wie die Lunge oder die Nieren hätten hingegen - so die Annahme weiter - nicht unter einem derartigen Selektionsdruck gestanden, weil sie wegen ihrer Größe einen gewissen Prozentsatz an fremden Zellen tolerieren könnten und weil ihre Funktion im schlimmsten Fall von der nicht betroffenen Niere oder dem unversehrten Lungenflügel hätte übernommen werden können. Wegen dieses geringeren Selektionsdrucks hätten größere und paarige Organe weniger Schutzmechanismen entwickelt und seien Krebszellen gegenüber offener, was sich dann über die lange Lebenserwartung des Menschen in höheren Erkrankungsraten niederschlagen würde.

Wie Inseln mit eigenen Umweltbedingungen

Thomas und seine Kollegen haben sich am Ökosystem Darm orientiert. Seit man weiß, wie wichtig, die Mikroorganismen für die Funktion dieses Organs sind und dass sich einige Mikroorganismen dort wohler fühlen als andere, denkt man beim Darm auch über Umgebungsbedingungen nach. Warum sollten die anderen Organe nicht ähnlich gesehen werden? Deren Umgebungsbedingungen würden sie dann nicht für Mikroorganismus attraktiv machen, sondern für Tumorzellen. Thomas nennt Organe daher „spezialisierte Inseln mit eigenen Umweltbedingungen“.

Im Moment ist dies nur eine Theorie, die geprüft werden muss, aber eine interessante. Sie wird erklären müssen, wie Krebs, der vor allem im Alter auftritt, nachdem die Fortpflanzung abgeschlossen ist, überhaupt einen Selektionsdruck ausüben konnte oder ob die Abwehr der Tumorzellen nur ein positiver Nebeneffekt eines generalisierten Schutzmechanismus ist. Falls sich die Theorie bestätigen sollte, würden sich daraus neue Perspektiven für die Krebsforschung ergeben. Die Wissenschaftler um Thomas könnten sich dann der Frage widmen, wie dieser Schutzmechanismus aussieht und ob sich daraus etwas für die Prävention von häufigen Krebserkrankungen lernen lässt.


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