Ein Hoch auf die Brombeeren

  25 September 2016    Gelesen: 1107
Ein Hoch auf die Brombeeren
Wenn Spezialisten sich ans Werk machen, kommt der Laie nicht mehr aus dem Staunen heraus. Kann es wirklich sein, dass Deutschlands größter Schatz die Brombeerhecken sind?
Noch ein Wort zu den Brombeeren. Genauer gesagt: zur Gattung Rubus. Glaubt man den Fachleuten, sind die Brombeergewächse der größte botanische Schatz, den Deutschland zu bieten hat. Angeblich wachsen hierzulande mehr als vierhundert verschiedene Rubus-Arten, demnach wäre jede zehnte heimische Blütenpflanze eine Brombeere. Und mehr als fünfzig davon sollen weltweit hier und nur hier vorkommen. Sodass Deutschland schwer an der Verantwortung trägt, die Brombeervielfalt zu erhalten.

Dazu muss man wissen, dass es unter Botanikern zwei Schulen gibt: die der Lumper und die der Splitter. Lumper (von engl. „to lump“, Klumpen bilden) werfen gern alles, was sich genügend ähnlich sieht, in ein und denselben Topf. Splitter hingegen achten auf jede Kleinigkeit und sind eifrig bemüht, die Unterschiede zu betonen. Paläoanthropologen beispielsweise, die mit viel Glück mal auf ein halbwegs vollständiges fossiles Skelett stoßen, tendieren dazu, in jedem neuen Fund eine neue Menschen-Spezies zu sehen. Der einen oder anderen Richtung zuneigend, kann man auch in der Gattung der Löwenzähne ein gutes Dutzend oder einige tausend Arten unterscheiden. Ähnliches gilt für die Habichtskräuter. Aber bei den Brombeeren ist es besonders heftig.

Das Lobgesang auf die Brombeere
Das liegt an ihrer Vermehrung. Größtenteils pflanzen sie sich ungeschlechtlich fort, doch hin und wieder kommt es zu Bastardkreuzungen, die sich anschließend als stabiler Klon etablieren können. Dem Gartenfreund ist das egal, er rupft sie alle aus und duldet allenfalls ein paar zahme Vertreter, die durch künstliche Pfropfung entstanden sind. Doch es gibt eine Handvoll Spezialisten, die gar nicht genug von den Stachelsträuchern kriegen können. Prominentester Vertreter ist in Deutschland der Vegetationskundler Heinrich Weber, dem wir unter anderem eine fünfhundertseitige Monographie zum Vorkommen der Gattung Rubus vom nordwestdeutschen Tiefland bis hinauf nach Skandinavien unter besonderer Berücksichtigung Schleswig-Holsteins verdanken.

Ausgewiesene Brombeerkundige vergeben untereinander den Ehrentitel eines „Batologen“, abgeleitet vom griechischen „batos“, also jenem Wort, das sich in der („Septuaginta“ genannten) antiken Übertragung des Bibeltextes aus dem Hebräisch-Aramäischen ins Altgriechische für den brennenden Dornbusch findet, in dessen Gestalt sich Gott dem Moses offenbart. Daran kann man schon den Grad der Verehrung sehen, den die Brombeerforscher ihrem Gegenstand widmen. Der verstorbene Batologe Eckhart Walsemann hat ein Gedicht geschrieben, in dem er noch einmal differenziert zwischen Batophagen, die bloß gern Brombeeren essen, Batophilen, die sich näher mit ihnen beschäftigen, Batognomen, die mit ihrem Studium nicht recht vorankommen, Batognosten, die immerhin zu den Suchenden zählen, und endlich den Batosophen als wirklich Wissenden. Das letzte Stadium dieser Brombeerpassion ist jedoch ein trauriges: „Das Sammeln wird bei ihm zum Wahne, so endet er als Batomane.“

In einem Nachruf auf Eckhart Walsemann hieß es, es sei ihm nicht vergönnt gewesen, seinen riesigen Brombeernachlass zu ordnen. Andere mögen sein Werk weiterführen. Wenn man bedenkt, dass die Gattung Rubus nicht nur in Deutschland, sondern weltweit vorkommt, bleibt da noch einiges zu tun.


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