Fast Food? Nicht vor Kindern!

  14 September 2016    Gelesen: 795
Fast Food? Nicht vor Kindern!
Kinder lernen von ihren Eltern. Sie lernen zum Beispiel, dass die Ananas in Scheiben aus der Dose kommt, ihr Saft einen leicht metallenen Geschmack aufweist, und man sie unter Scheibletten-Käse begraben als Toast Hawaii verzehren kann. Vielleicht lernen sie aber auch, wie eine Ananas wirklich aussieht, wie rote Bete schmeckt und wie herrlich süß und saftig frisch gepflückte Erdbeeren sind.
Welche Nahrung wir mögen und welche wir als ungenießbar ablehnen, ist das Ergebnis unserer Sozialisation innerhalb einer bestimmten Esskultur. Wer in Bayern aufwächst, liebt andere Speisen als jemand, dessen Kindheit sich in einem thailändischen Dorf abspielt. Innerhalb der einzelnen Nahrungskosmen wiederum bilden sich durch Erziehung, Lernprozesse, Erfahrung und Veranlagung individuelle Geschmackspräferenzen und Abneigungen heraus. Die treibende Kraft, was den Geschmack betrifft, ist die Familie. Sie ist die Sozialisationsagentur Nummer 1. So weit, so einleuchtend.

Forscher der Cornell University in Ithaca fanden nun heraus, dass bereits Kleinkinder im Alter von einem Jahr den Einfluss des sozialen und kulturellen Kontextes der Essenden registrieren. Im Rahmen der Studie wurden 200 Babys verschiedene Essensszenen per Video vorgeführt. In einem der Filme sprachen die Schauspieler unterschiedliche Sprachen und verhielten sich, als seien sie einander fremd. In einem anderen Kurzvideo sprachen sie eine Sprache und gingen äußerst vertraut miteinander um. Was sie aßen, quittierten die Schauspieler in beiden Filmen entweder mit Begeisterung oder sichtbarer Ablehnung. Gemessen wurde, welche Szenen die Blicke der Babys besonders fesselten (sind sie überrascht, ist die Blickdauer besonders lange), und welche kaum ihr Interesse weckten.

Das Ergebnis: sprachen die Schauspieler eine Sprache und strahlten Vertrautheit aus, gingen die Babys davon aus, dass sie dasselbe Essen mögen. „Wenn Babys“, so eine an der Studie beteiligte Wissenschaftlerinnen, „jemanden essen sehen, lernen sie nicht nur etwas über das Essen, sie lernen auch, wer mit wem isst.“ Besonders interessant war, dass beim Ausdruck deutlichen Ekels die Kleinkinder erwarteten, dass alle den Ekel teilen würden.

Warum wir uns bisweilen ekeln müssen
Ekel erfüllt fernab kultureller Ausdifferenzierung und kulinarischer Vorlieben eine wichtige Funktion: Er warnt uns vor potenziellen Krankheitserregern und schützt und vor Infektionen. Ekel ist überlebensnotwendig. Der Mensch als „Allesfresser“ wäre ohne dieses Sensorium für gefährliche Nahrung und Stoffe aufgeschmissen. Spiegelt sich in einem Gesicht Ekel wieder – übrigens weltweit auf die gleiche Art und Weise –, wissen die anderen, dass hier Vorsicht geboten ist. Valerie Curtis, Anthropologin und Epidemiologin von der London School of Hygiene und Tropical Medicine, die seit Jahrzehnten über Ekelgefühle forscht, ist überzeugt, dass wir Ekel nicht erst erlernen. Er habe sich vielmehr im Laufe der Evolution entwickelt und sei fest in unseren Genen verankert. In einem ihrer Versuche wurden 40 000 Probanden weltweit verschiedene Bilder vorgelegt. Blut, Kot, Kadaver, Eiter lösten kulturübergreifen bei nahezu allen Menschen starke Ekelgefühle aus.

Die amerikanische Psychologin Hanah A. Chapman verwies in einem Inteview auf die physiologische Komponente von Ekel, die aus dem parasympathischen System komme, und zwar in erster Linie Übelkeit. „Sie wird zwar nicht nur durch Ekel ausgelöst, aber es besteht ein starker Zusammenhang. Hinzu kommt ein charakteristischer Gesichtsausdruck, nämlich ein Heben der Oberlippe und Naserümpfen, was auch die Augen verengt. Auch kann sich die Kehle zusammenziehen. Dies wird als Schutz des sensorischen Systems interpretiert – wir verringern das eingeatmete Volumen sowie die Oberfläche der Augen.“

Fazit: Die Zeiten, da man vor dem gerade mit Karottenbrei gefütterten Nachwuchs entspannt Fast Food verzehren kann, sind vorbei. Und das Gesicht bei Brokkoli zu verziehen, ist erziehungstechnisch freilich auch fatal; das Kleinkind registriert es. Die Forscherin Katherine Kinzler, die an der Studie beteiligt war, rät in der „New York Times“ zu mehr Achtsamkeit – Kleinkinder können demnach gar nicht früh genug in soziale Kontexte integriert werden, in denen Erwachsene vorbildliche kulinarische Muster pflegen, sprich gesunde Nahrungsentscheidungen treffen. Man kann ja tatsächlich lernen, Gemüse zu lieben. Zumindest gewisse Sorten.

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