Kassenärzten droht die Zwangsverwaltung

  22 Mai 2016    Gelesen: 1258
Kassenärzten droht die Zwangsverwaltung
Es rumort kräftig bei Deutschlands Ärzten: Die Kassenärztliche Vereinigung muss auf ihrem Treffen in Hamburg schleunigst Altlasten beseitigen, um einen staatlichen Zwangsverwalter abzuwenden. Beim anschließenden Kongress der Ärztekammer droht ein Machtkampf.
Eigentlich haben die Ärzte Wichtigeres zu tun: Bessere Führung der Patienten durch den Gesundheitsdschungel, Zurückdrängen ökonomischer Zwänge, mehr Hilfe für kranke Flüchtlinge - die offiziellen Themen bei der morgen in Hamburg beginnenden Ärztewoche betreffen Millionen Menschen. Doch heftiger Streit überschattet alles andere. Was ist bei Deutschlands Medizinern los?

Zuerst läuft die Affäre bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) auf eine Entscheidung zu. Die KBV vertritt die 165.000 Kassenärzte, handelt ihre Honorare bei den Krankenkassen aus und kümmert sich um ihre Interessen. Doch der ehemalige KBV-Chef Andreas Köhler, vor zwei Jahren wegen Krankheit zurückgetreten, und andere frühere Beschäftigte kümmerten sich in einem Ausmaß um sich selbst, das Gesundheitsminister Hermann Gröhe auf den Plan rief.

Dubioses Finanzgebahren und Dauerstreit

Auf mehrere Strafanzeigen folgte ein Drohbrief von Gröhes Ministerialdirektor: Rechtswidrige Zahlungen an Köhler müssten zurückgefordert, Versorgungszusagen aufgelöst werden. An diesem Montag muss die in Hamburg tagende Vertreterversammlung, das Parlament der KBV, diese Beschlüsse fassen - sonst werde das Gröhe-Ministerium "die Geschäfte der Körperschaft selbst führen oder einen Beauftragten bestellen", heißt es in dem Brief.

Schon Gröhe-Vorgänger Daniel Bahr hatte sich mit Köhler angelegt. Er kürzte das Gehalt des Ärztefunktionärs von 350.000 auf 320.000 Euro. Nun geht es dem Ministerium noch um mehr: um Zahlungen an die geschiedene Frau eines Ex-KBV-Geschäftsführers, um die dubiose Finanzierung der KBV-Immobilien - und insgesamt um Dauerstreit, den es seit Jahren in der KBV gibt und die Körperschaft teils lähmt.

Kommt bei der KBV die erste staatliche Zwangsverwaltung im Gesundheitswesen auf Bundesebene? KBV-Chef Andreas Gassen gibt sich gelassen. "Wir haben die nötigen Beschlüsse vorbereitet." Es müsse kein Staatskommissar anrücken. Der Präsident des Berufsverbands Deutscher Internisten, Hans-Friedrich Spies, sagt dagegen, "dass Herr Gröhe mit der Antwort der KBV nicht zufrieden sein wird und einen Staatskommissar da hineinsetzt". Angesichts der Ausmaße der Affäre meint ein Insider: "Ein Staatskommissar kann nur der Anfang sein."

Dienstag ist Ärztetag

Es dürfte bei den Medizinern also noch ordentlich Dampf im Kessel sein, wenn Gröhe gleich tags drauf zur Eröffnung des 119. Ärztetags nach Hamburg kommt. Ausgerichtet wird der von der Bundesärztekammer. Auch dort muss der Chef die Entmachtung fürchten. Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery dürfte sich Abwahlanträgen zu erwehren haben. "Einen personellen Neuanfang" fordert Dirk Heinrich, Vorsitzender des Spitzenverbandes der Fachärzte.

Die Montgomery-Gegner werfen dem Hanseaten Selbstherrlichkeit bei einer für die Ärzte zentralen Frage vor. Es geht darum, was sie für die Behandlung von Privatpatienten abrechnen können. Seit fünf Jahren verhandeln Bundesärztekammer und private Krankenversicherung über eine neue Gebührenordnung - kurz: GOÄ. Die Verhandlungen endeten im Frühjahr vorerst im Desaster.

Neue Gebührenordnung erst Ende 2017

Beendet werden sollten eigentlich die oft chaotischen Zustände bei Abrechnungen für Privatpatienten. Denn seit 1982 hat sich bei der GOÄ nicht mehr viel geändert - viele neuere Methoden sind dort gar nicht aufgenommen. Also müssen Ärzte oft ganz andere Leistungen angeben, die vom Aufwand her vergleichbar sein sollen. Die Folge: viele Rechtsstreitigkeiten rund um die Milliarden für die Ärzte.

Doch bei vielen Medizinern wuchs immer mehr das Misstrauen gegen ihre Verhandlungsführer. Im März folgte der Crash. Der damalige Verantwortliche der Ärztekammer stimmte selbst gegen die neue GOÄ, das Projekt war vorerst gescheitert. Fach- und Hausarztverbände kritisierten Chaos in der Bundesärztekammer. Sie warfen Montgomery vor, keinerlei Rücksprache mit ihnen gehalten zu haben.

Montgomery droht ein "Denkzettel"

Viel Wut hat sich angestaut. Die einen Mediziner fürchten, sie sollen durch das neue Regelwerk quasi zu reinen Kassenärzten degradiert werden. Andere meinen, bestimmte Gruppen würden durch eine neue Gebührenordnung besser gestellt als sie. Jedenfalls hat der neue GOÄ-Verantwortliche der Ärztekammer, Klaus Reinhard, nun angekündigt, die Sache werde nun erstmal mit allen Ärzteverbänden diskutiert. Bis nach der Bundestagswahl soll der Politik ein Vorschlag vorgelegt werden.

Der neue Kurs besänftigte manche Montgomery-Kritiker. Montgomery, früher Chef der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, hat zudem noch so viele Anhänger, dass es die nötige Dreiviertelmehrheit für seine Abberufung auf dem Ärztetag kaum geben dürfte. "Aber", so sagt ein Kritiker, "der Denkzettel soll so groß sein, dass er bei der nächsten Wahl nicht wieder antritt." Harmonie klingt anders. Oder, wie KBV-Chef Gassen erklärt: "Ärzte haben eine gewisse Streitkultur. Sie lassen sich ungern etwas sagen."

Quelle: n-tv.de , Basil Wegener, dpa

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