Klimasünder Indien: Kohle gegen Kohle

  04 Dezember 2015    Gelesen: 1109
Klimasünder Indien: Kohle gegen Kohle
Indien ist entscheidend im Kampf gegen den Klimawandel. 2020 dürfte es das menschenreichste Land der Erde sein - das zur Energiegewinnung ausgerechnet auf dreckige Kohle setzt. Wenn der Westen ein sauberes Indien will, muss er dafür wohl: zahlen.
Auf die oft gestellte Frage, warum Indien sich nicht enthusiastischer für den Umweltschutz einsetzt, antwortet Neu-Delhi gern mit Zahlen: 360 Millionen Inder vegetieren in bitterer Armut. 400 Millionen Menschen auf dem Subkontinent leben in Behausungen, die noch nicht ans Stromnetz angeschlossen sind. Und zwölf Millionen Jugendliche drängen jedes Jahr auf den Arbeitsmarkt des Landes.

"Ich habe nur eine Aufgabe, und das ist Entwicklung, Entwicklung, Entwicklung", betonte Ministerpräsident Narendra Modi vergangenen Woche erneut. Klimaschutz, das hat seine vor gut eineinhalb Jahren gewählte Regierung immer wieder unterstrichen, kann angesichts der dringenden Probleme Indiens nur an zweiter Stelle stehen.
Bald China überholt

Wachstum versus Klima: In diesem tiefen Zwiespalt steckt Indien. Die Entscheidungen, die Neu-Delhi hinsichtlich dieses Konflikts treffen wird, sind von weltweiter Bedeutung. Die schiere Größe des Landes macht Indien zu einer der Nationen, die entscheiden werden, ob die Menschheit einen womöglich dramatischen Klimawandel verhindert oder nicht.

Schon jetzt zählt der Subkontinent 1,25 Milliarden Einwohner. Es wird erwartet, dass Indien 2020 China als bevölkerungsreichstes Land der Erde ablöst. Nach dem am Montag veröffentlichten Zahlen wuchs Indiens Wirtschaft im dritten Quartal um 7,4 Prozent und damit erstmals schneller als die Chinas. Und auch Indiens Ausstoß an Treibhausgasen wächst rasant. Lag der Pro-Kopf-Ausstoß 1990 noch bei 1,7 Tonnen CO2, könnte er nach Berechnungen des Australian-German Climate and Energy College im Jahr 2030 4,3 Tonnen erreichen.

Das Problem: Indien setzt auf einen Klimaschädling. Das Land bezieht den Löwenanteil seiner Energie aus lokal geförderter, minderwertiger Kohle. Und bis 2019 will es doppelt so viel dieser Kohle abbauen und verheizen. Verschärft wird die Lage durch das rasante Bevölkerungswachstum: 2030 könnte es 1,5 Milliarden Inder geben - und jeder davon wird 1,4 Tonnen CO2 mehr verursachen als ein Einwohner heute.

Angesichts des rasanten Anstiegs der indischen Emissionen sprach US-Außenminister John Kerry kürzlich davon, dass Indien in Paris eine Herausforderung darstelle - eine Äußerung, die in Neu-Delhi helle Entrüstung hervor rief.

Indien wirft den Industrienationen im Bezug auf den Umweltschutz Heuchelei vor - eine Ressentiment, das von vielen anderen Entwicklungsländern geteilt wird. Die westliche Welt habe durch die Industrialisierung im 19. und 20. Jahrhundert das Problem des Klimawandels überhaupt erst geschaffen, heißt es. Westliche Nationen "haben die Welt 150 Jahre lang mit billiger Energie verpestet", sagte Indiens Energieminister, Piyush Goyal, im September. Indien werde dafür nicht den Preis bezahlen und Abstriche bei seiner Entwicklung machen.

CO2-Freisetzung verdreifacht

Unter den Teilnehmern in Paris geht angesichts solcher Aussagen die Sorge um, dass Indien ein Abkommen torpedieren könnte, das es als entwicklungshemmend oder ungerecht empfindet. Dabei kann der Subkontinent die Dringlichkeit der Lage kaum länger leugnen. Indien leidet unmittelbar unter der Umweltverschmutzung.



Als letzter der großen CO2-Produzenten hat Neu-Delhi im Oktober vage Klimaziele definiert. Neu-Delhi verpflichtete sich dabei allerdings nicht wie China auf eine Obergrenze sondern kündigte nur an, die Intensität seiner Treibhausgasemissionen bis 2030 um 33 bis 35 Prozent im Vergleich zu 2005 verringern, also den Ausstoß im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt.

Immerhin sollen 2030 etwa 40 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen wie Wind, Solar, Wasser und Atomkraft stammen - Umweltschützer bezweifeln jedoch, dass das realistisch ist.

Letztlich geht es für Indien in Paris darum, wer für die Kosten für die Entwicklung und Produktion saubereren Stroms für die energiehungrigen Entwicklungsländer aufkommen soll. Modi ist sich dabei bewusst, dass er in einer guten Verhandlungsposition ist, weil er in gewisser Weise das Schicksal des Planeten in der Hand hält.

Die Luft in Indiens Städten und Industriegebieten ist so schlecht, dass sie bleibende Gesundheitsschäden verursacht. Im vergangenen Jahr verortete die Weltgesundheitsorganisation 13 der 20 Städte mit der schlechtesten Luft weltweit auf dem Subkontinent.

Sein Land sei extrem anfällig für die Folgen des Klimawandels wie ein steigender Meeresspiegel, warnte Modis Finanzminister, Jayant Sinha, kürzlich. Die Finanzmetropole Mumbai mit ihren zwölf Millionen Einwohnern gilt als akut gefährdet.
Der Repräsentant eines Sechstels der Weltbevölkerung wird sich lange bitten lassen, auf einen Deal einzugehen, sagten Mitglieder der indischen Delegation vor ihrer Abreise nach Frankreich. Modis Bedingung sei, dass das Gros der Kosten für Indiens Emissionsreduktion von den hoch entwickelten Industrienationen getragen wird.

Allein die Verringerung der Intensität des indischen Ausstoß von CO2 bis 2030 soll nach Berechnungen von Neu-Delhi umgerechnet 155 Milliarden Euro pro Jahr kosten. Eine eher hoch gegriffene Zahl - aber sie ist Teil der indischen Verhandlungsmasse in Paris.

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