So viel verdienen Mode-Blogger mit Schleichwerbung

  24 Juli 2016    Gelesen: 3450
So viel verdienen Mode-Blogger mit Schleichwerbung
Mode-Blogger genießen oft besondere Glaubwürdigkeit. Dabei leben sie zum großen Teil von Werbung, die nicht als solche zu erkennen ist. Produkthersteller freut das. An Unrechtbewusstsein fehlt es.

Von einem Hinterhof in der Auguststraße, inmitten von Cafés mit Bioprodukten, wird der erfolgreichste deutsche Fashion-Blog für Mütter betrieben: 120.000 Seitenabrufe pro Monat, über 13.000 Facebook-Fans, mehr als 34.000 Follower auf Pinterest. Das ist "Hauptstadtmutti".

Eine der beiden Gründerinnen, Claudia Kahnt, erzählt beim Interview in einem dieser Cafés, sie hätten den Blog gegründet, weil sie und ihre Mitgründerin – selbst junge Mütter – dachten: Der Look der Mitte-Mamas könnte die Menschen auch außerhalb von Berlin interessieren. Also schossen sie Fotos von cool gekleideten Frauen, die ihre Kinderwägen durch den Szenekiez schoben, und stellten sie ins Netz. Mittlerweile hat sich der Blog zu einem Online-Lifestylemagazin entwickelt, in dem sich vieles findet, was junge Mütter umtreibt: Mode, Lebensentwürfe, Geldanlage für Kinder, Sonnencreme.

Der Unterschied zu einer klassischen Frauenzeitschrift ist: Ein ziemlich großer Teil der Texte wird von den Auftraggebern bezahlt. Zum Beispiel von Canon, Galeria Kaufhof, Levi`s oder Petit Bateau. Nicht nur Firmen, auch selbstständige Unternehmerinnen können bei "Hauptstadtmutti" einen Text über sich und ihr Business kaufen. Für 700 Euro formulieren die Bloggerinnen ein Porträt und stellen es auf ihre Seite. Das zumindest geht aus einer Preisliste hervor, die sie an Interessenten verschicken, und die der "Welt" vorliegt. Dass es sich vielfach um Werbung handelt, erfährt der Leser allerdings erst, wenn er sich durch die Seite geklickt und den Text ganz bis zum Ende gelesen hat.

Damit, meinen Wettbewerbsrechtler, bewegen sich die Bloggerinnen "hart an der Grenze" des Legalen. Das sagt etwa der Kölner Medien- und Wettbewerbsrechtler Christian Schmitt von der Kanzlei Seitz. Denn wenn für eine Veröffentlichung Geld fließt, müsse sie als Werbung erkennbar sein. Und zwar, bevor der Leser den Beitrag anklickt. "Würden Sie in der Zeitung einen längeren Artikel lesen und im letzten Satz stünde: Dieser Text ist übrigens bezahlt – dann würden Sie sich als Leser zu Recht getäuscht fühlen. Dasselbe gilt hier", sagt Schmitt.

Mehrere Gesetze regeln Spielregeln für Blogger

Eine ganze Reihe von Gesetzen regelt die Spielregeln für bezahlte Inhalte: das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), das Telemedien- und die Landespressegesetze und der Rundfunkstaatsvertrag. Trotzdem lebt mit den Produkt-Bloggern ein ganzer Wirtschaftszweig von gar nicht oder nur unzureichend gekennzeichneter Werbung.

2015 wurde dieses Phänomen erstmals in Medien und sozialen Netzwerken diskutiert. Damals ging es um YouTube-Stars, die Geld dafür kassieren, ihrem Millionenpublikum aus Teenies zu erklären: Welchen Lippenstift soll ich benutzen? Welches Oberteil ist "total süß" und welche Musik angesagt?

Das Phänomen ist aber längst nicht auf YouTube beschränkt und auch nicht auf jugendliches Publikum: In sozialen Medien, also auf Blogs, Facebook, Twitter, Instagram, Pinterest oder Snapchat, tummeln sich eine Menge bezahlter Meinungsmacher. Es gibt sogar PR-Agenturen, die sich darauf spezialisiert haben, solche "Influencer" an die Marketingabteilungen von Konsumgüterherstellern zu vermitteln.

Die gängigste Form der Produkteinbettung heißt "Advertorial". Dabei lässt sich die Modebloggerin oder der Technikblogger mit dem Produkt fotografieren, preist dessen Vorzüge an und weist dann klein am Ende des Textes – oder auch nicht – darauf hin, dass der vermeintlich redaktionelle Beitrag in Wahrheit Werbung ist.

Hälfte der Modeblogger kennzeichnen Werbung nicht

Wie verbreitet solche nachlässige Kennzeichnung ist, ergab eine im Dezember veröffentlichte Umfrage des Online-Modemagazins "Styleranking" unter 220 deutschen Modebloggern. Mehr als die Hälfte der Befragten sagte, dass sie Werbung nie oder nur manchmal kennzeichne. In der Branche gilt das offenbar als Kavaliersdelikt. Zu Unrecht, sagt die Hamburger Rechtsanwältin Nina Diercks, die sich auf Social-Media-Recht spezialisiert hat. "Nur weil man Schleichwerbung jetzt Native Advertising, Blogger Relations oder Content Marketing nennt, ist sie deshalb nicht legal."

Die Blogger selbst sehen das weniger schwarz-weiß. Im Café erklärt "Hauptstadtmutti"-Gründerin Kahnt, wie ihr Geschäftsmodell funktioniert. "Wir verdienen den größten Teil unseres Lebensunterhalts mit Advertorials", erklärt sie. Pro Monat schreiben sie und ihre Kollegen – das Blog beschäftigt mehrere Freiberuflerinnen – zehn bis zwölf solcher bezahlter Beiträge.

Aus der Preisliste geht hervor, dass sie pro Beitrag plus Verweise darauf in sozialen Medien 1000 Euro kassieren, plus Mehrwertsteuer. Diese werblichen Inhalte mischen sie auf der Website und bei ihren Postings bei Facebook oder Instagram mit eigenen Inhalten. Aus Claudia Kahnts Sicht ist das kein Problem. "Wir stecken ja gerade in diese Texte jede Menge kreative Arbeit", sagt sie.

Ungekennzeichnete Werbung bei Marie Nasemann

Andere Fashion-Blogger gehen weiter. Etwa die ehemalige "Germany`s Next Top-Model"-Kandidatin Marie Nasemann, die sich mittlerweile ihren Lebensunterhalt mit gesponserten Auftritten bei Facebook und Instagram aufbessert. Das berichtete sie vor eineinhalb Jahren freimütig in der Talkshow von Markus Lanz. Das sei doch Schleichwerbung, was sie da mache, sagte Lanz. Ob sie denn nicht wisse, dass das verboten sei?

"Ich halt` mich da nicht so an die Regeln", sagte sie schulterzuckend. Noch immer finden sich auf Nasemanns Profilen viele Produkthinweise, immer ohne Werbekennzeichnung. Fragen dieser Zeitung, ob sie Werbung mittlerweile sichtbar mache und wie viel Geld sie mit bezahlten Blogposts verdiene, wollen Nasemann und ihre Agentur nicht beantworten.

Wie unterschiedlich die Auffassungen in der Branche über die Gesetzeslage sind, zeigt auch das Beispiel von "Ohh Couture". Dessen Betreiberin Leonie Sophie Hanne gilt als eine der erfolgreichsten "Influencerinnen" der Branche. "Was man kennzeichnen muss und was nicht, ist ein super schmaler Grat", meint der Manager des Blogs, Alexander Galievsky.

Versteckte Werbebotschaften, weil Aufsicht fehlt

Bezahlte Posts würden bei "Ohh Couture" immer gekennzeichnet: Solche, bei denen die Betreiber nur in Naturalien bezahlt worden seien, also in Schmuck, Handtaschen oder Klamotten – je nachdem. "Wenn wir was geschickt bekommen, schreiben wir meistens `sponsored by` dazu", sagt Galievsky, "außer, wenn Leonie zum Beispiel die Tasche so gut gefällt, dass sie sich die auch selbst gekauft hätte." Wettbewerbsrechtlich, erklärt Anwalt Schmitt, sind Posts, die in Naturalien bezahlt wurden, ebenso kennzeichnungspflichtig wie bar bezahlte.

Verbraucherschützer halten diese Entwicklung für bedenklich. "Wüssten Verbraucher, dass es sich um keine neutrale Information handelt, würden sie sich möglicherweise nicht zu einem Kauf entschließen. Je stärker soziale Medien genutzt werden, desto häufiger wird auch unzulässige oder unlautere Werbung in diesem Bereich zu finden sein", sagt der Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbandes, Klaus Müller.

Im Café in Mitte sagt "Hauptstadtmutti"-Gründerin Kahnt auf die Frage, ob durch versteckte Werbebotschaften auf ihrem Blog nicht die Meinung der Leser manipuliert werde, sie verstehe die Aufregung nicht. Rechtsanwältin Diercks sagt, so reagierten Blogger häufiger: Mit versteckten Werbebotschaften bei einem so harmlosen Thema wie Mode tue man doch niemandem weh, würden sie argumentieren.

Solche Wildwest-Verhältnisse in der Branche konnten sich wohl ausbreiten, weil staatliche Aufsichtsbehörden fehlen. Niemand kontrolliert, ob Blogger Schleichwerbung machen, sagt Anwältin Diercks. "Und auch die YouTube-Blogger werden zwar theoretisch durch die Landesmedienanstalten kontrolliert – faktisch passiert da aber nichts."

Bundesregierung schreitet nicht ein

Für mehr Aufsicht könnte lediglich die Bundesregierung sorgen. Beim zuständigen Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz heißt es jedoch, man beobachte die Entwicklung zwar mit Sorge, sehe aber gleichzeitig derzeit keinen Grund, tätig zu werden.

Die Bundesregierung setzt stattdessen darauf, dass der Markt sich von selbst reguliert – so nämlich funktioniert das deutsche Wettbewerbsrecht generell: Fühlt sich eine Firma benachteiligt, weil eine andere sich nicht an die Spielregeln hält, kann sie sich einen Anwalt nehmen und den Konkurrenten abmahnen.

In der Praxis versagte dieses System bei den Bloggern aber bislang. Ehrlichen Betreibern fehlt es an Geld für Anwälte, um Schleichwerber abzumahnen. Auch lässt sich nur schwer nachweisen, wann Geld geflossen ist – und außerdem machen einfach zu viele Schleichwerbung, als dass man alle abmahnen könnte.

Selbst die klassischen Medien, also Zeitschriftenverlage oder Fernsehsender, gingen bislang nicht rechtlich gegen schleichwerbende Blogger vor. Vermutlich, weil ihnen die Summen, um die es geht, als Kleckerbeträge erscheinen. Für ein Advertorial zahlen Firmen zwischen 500 und 2000 Euro, sagt Anne Höweler, Chefin der Agentur Cover-PR, die Influencer an Werbekunden vermittelt.

Modehersteller verschieben ihre Budgets

Dabei gehen gerade Modemagazinen dadurch hohe Werbesummen durch die Lappen. Denn Auftraggeber wie Mode- und Konsumgüterhersteller verschieben ihre Budgets immer weiter in Richtung Social Media, wo sie ihre Zielgruppe genauer erreichen. Um wie viel Geld es geht, kann man zumindest schätzen: Schreibt etwa jede der 220 Modebloggerinnen, die an der "Styleranking"-Umfrage teilgenommen haben, pro Monat zehn Advertorials und erhält pro Stück 1000 Euro, erzielten allein diese 220 damit einen Jahresumsatz von 26 Millionen Euro. Für nicht gekennzeichnete Beiträge, heißt es in der Branche, werde tendenziell noch besser gezahlt.

Nutznießer dieses Wildwuchses sind die Produkthersteller, deren Werbung sich für den Leser nicht mehr erkennen lässt. Deshalb gibt es PR-Agenturen, die im Auftrag von Konsumgüterherstellern Blogger auffordern, ihre Werbung nicht zu kennzeichnen. In einer E-Mail, die der Redaktion vorliegt, schreibt die PR-Agentin: "Der Post sollte ganz natürlich sein und gar nicht werbender Natur." 150 Euro sollte es laut Agentur dafür geben.

Auch in Berlin-Mitte, in den E-Mail-Postfächern von Claudia Kahnt und ihren Kolleginnen, finden sich solche Anfragen immer wieder. "Die löschen wir sofort oder schreiben eine entsprechende Antwort zurück", beteuert sie. Generell, erzählt sie, lehne "Hauptstadtmutti" viele Angebote für Advertorials ab. "Wir machen nur, was zu uns passt", erklärt sie. "Sonst machen wir uns ja unglaubwürdig."

Quelle: welt.de

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