Wo die Reallöhne am stärksten steigen

  23 September 2016    Gelesen: 497
Wo die Reallöhne am stärksten steigen
Die Reallöhne der Deutschen steigen. Aber nicht überall sind die Arbeitnehmer so gut durch die Krise gekommen. Vor allem in einer Branche gibt es wenig zu lachen.
Die Löhne und Gehälter in Deutschland steigen in diesem Jahr um durchschnittlich 2,5 Prozent. Weil die Lebenshaltungskosten nur um 0,3 Prozent zulegen, bleiben den Deutschen real rund 2,2 Prozent mehr im Portemonnaie. Zu diesem Ergebnis kommt eine umfangreiche Gehaltsstudie der Personalberatung Korn Ferry Hay Group. Dabei haben sich die Branchen leicht unterschiedlich entwickelt. Vor allem die Unternehmen in der Automobil- und Chemieindustrie sowie im Gesundheitssektor haben die Bezahlung ihrer Mitarbeiter überdurchschnittlich erhöht. In allen drei Branchen stiegen die Reallöhne um 2,5 Prozent.

Am geringsten sind die Zuwächse bei den Energieversorgern ausgefallen (siehe Grafik). Die gebeutelten Energieversorger werden wohl auch künftig keine großen Sprünge machen – zu schlecht ist deren wirtschaftliche Lage in Zeiten der Energiewende. Im Vergleich zu den Aktionären, die in den vergangenen Jahren hohe Wertverluste in Kauf nehmen mussten, scheinen die Angestellten in der Branche noch glimpflich davonzukommen. Für das nächste Jahr prognostizieren die Vergütungsfachleute von Korn Ferry in dieser Branche immerhin noch einen minimalen Anstieg.

Überhaupt werden die Reallöhne in Deutschland nach Einschätzung von Korn Ferry nächstes Jahr nicht mehr so stark steigen: „Wir gehen davon aus, dass die reale Lohnerhöhung im nächsten Jahr nur bei rund einem Prozent liegen wird“, sagt Thomas Gruhle, Vergütungsexperte bei Korn Ferry. Zwar werden die Nominallöhne weiter ähnlich wie in diesem Jahr zulegen, doch wenn die Inflation – wie von der Europäischen Kommission in Deutschland erwartet – auf 1,5 Prozent steigt, wird das Lohnplus real deutlich geringer ausfallen.

Seit 2008 sind die Reallöhne um insgesamt 5 Prozent gestiegen
Interessant ist aber vor allem der längerfristige internationale Vergleich: Der zeigt, dass die Deutschen vergleichsweise gut durch die schwierigen Jahre seit der Finanzkrise gekommen sind. Seit 2008, dem Beginn der globalen Verwerfungen in der Wirtschafts- und Finanzwelt, sind die Reallöhne in Deutschland insgesamt um 5 Prozent gestiegen (siehe Tabelle). Im internationalen Vergleich der westlichen Industrieländer liegt Deutschland damit auf dem vierten Platz, nach Kanada (7,2 Prozent), Australien (5,9 Prozent) und Frankreich (5,2 Prozent).

In einigen anderen Industrieländern mussten die Arbeitnehmer seither real Einbußen hinnehmen. So ist das um die Inflation bereinigte Gehaltsniveau in den Vereinigten Staaten seit 2008 um 3,1 Prozent gesunken. Auch in Japan und Großbritannien sind die Reallöhne in dieser Zeit leicht gesunken, zeigt die Analyse, für die Korn Ferry auf eine Gehaltsdatenbank zurückgegriffen hat, die Einträge von mehr als 20 Millionen Arbeitnehmern auf der ganzen Welt enthält. Die untersuchten Daten basieren auf den Angaben von 25.000 Unternehmen, die Datenbank ist nach Angaben des Unternehmens die größte ihrer Art für Löhne und Gehälter.

Dabei zeigt sich auch, dass die Löhne in Deutschland auf einer soliden Basis gestiegen sind. Die Unternehmen konnten in den vergangenen Jahren trotz Reallohnsteigerung mehr Menschen einstellen, die Arbeitslosigkeit ging stetig zurück, mittlerweile ist sie auf dem tiefsten Stand seit 25 Jahren angelangt. Die Wirtschaft insgesamt wuchs hierzulande noch stärker als die Reallöhne. Das ist nicht überall der Fall. In Frankreich etwa stiegen die Löhne und Gehälter stärker als in Deutschland, obwohl das Bruttoinlandsprodukt in der selben Zeit langsamer wuchs. Das dürfte mit ein Grund für die hohe Arbeitslosenquote in unserem Nachbarland sein, die laut Eurostat dort etwa doppelt so hoch ist wie in Deutschland.

In Großbritannien haben vor allem die einfachen Angestellten gelitten
Ein weiterer Punkt spricht für die Solidität des deutschen Modells: Die Lohnzuwächse sind hierzulande gleichmäßiger verteilt als in vielen anderen Ländern. Zwar haben laut der Untersuchung auch in Deutschland die Führungskräfte mit rund 6 Prozent seit dem Jahr 2008 die höchsten Lohnsteigerungen bekommen, „der Unterschied zu einfachen Angestellten ist dabei aber weniger groß als vermutet“, sagt Thomas Gruhle mit Blick auf die Debatte über Einkommensungleichheit in Deutschland. Auch einfache Angestellte haben in den vergangenen Jahren in Deutschland Reallohnzuwächse erhalten, sie verdienen heute 4,2 Prozent mehr als 2008.

Das Statistische Bundesamt kam jüngst zu dem Befund, dass in Deutschland mittlerweile der „langjährige Trend einer zunehmenden Lohnspreizung gestoppt“ sei. Die Spreizung zwischen Geringverdienern und Hochverdienern sei zwar noch immer größer als im Jahr 2006, aber kleiner als 2010. Die Gehaltsanalyse von Korn Ferry zeigt aber auch, wer die Verlierer der vergangenen Jahre sind: In Großbritannien haben seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 laut der Studie vor allem die einfachen Angestellten gelitten. Sie mussten tatsächlich real Lohneinbußen hinnehmen, während die Führungskräfte leicht zugelegt haben.

Noch deutlicher ist die Spreizung in Amerika. Dort sind die Löhne der einfachen Angestellten inflationsbereinigt seit 2008 um insgesamt 14,8 Prozent gesunken, wohingegen die Führungskräfte 3,5 Prozent hinzubekommen haben. Auch die Mittelschicht ist dort wirtschaftlich nicht vorangekommen.

In Amerika „finanzieren die unteren Gehaltsklassen das Wirtschaftswachstum bis heute durch massive Einschnitte in ihre Löhne und Gehälter“, sagt Gehaltsfachmann Gruhle. Jüngste Daten der amerikanischen Volkszählungsbehörde Census zeigen zudem ein eklatantes Stadt-Land-Gefälle. Abgekoppelt scheint vor allem das ländliche Amerika, das wenig vom Wirtschaftswachstum des Landes profitiert.

Das könnte einen Teil des Frusts der dort lebenden amerikanischen Unterschicht erklären, die sich selbst oft als Globalisierungsverlierer sieht und deren prekäre Lage zur politischen Radikalisierung des Landes maßgeblich beigetragen hat.

Zuletzt zeigten die amerikanischen Census-Daten aber zumindest einen Lichtblick. Demnach sind im vergangenen Jahr erstmals seit Ausbruch der Finanzkrise die realen Löhne und Gehälter aller Einkommensklassen – insbesondere auch die am unteren Ende – gestiegen. Allerdings konnte das jüngste Plus die Realeinkommensverluste der vergangenen Jahre nicht vollständig ausgleichen.


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