Diplomatie statt Demokratie

  19 September 2015    Gelesen: 642
Diplomatie statt Demokratie
Der türkische Präsident Erdogan bekämpft die Kurden, gängelt die Opposition und schikaniert die Medien. Trotzdem trifft Außenminister Steinmeier ihn. Er glaubt: Ohne die Türkei lässt sich die Flüchtlingskrise kaum lösen.

Es kommt nicht häufig vor, dass der Außenminister eines anderen Landes so gut Deutsch spricht, dass er Frank-Walter Steinmeiers Ausführungen ohne Simultan-Kopfhörer folgen kann. Der türkische Außenminister Feridun Sinirlioglu versteht nicht nur Deutsch, er hat sogar über Immanuel Kant promoviert, verrät Steinmeier bei der gemeinsamen Pressekonferenz im Außenministerium von Ankara und sagt: "Nichts brauchen wir in diesen Tagen so sehr wie praktische Vernunft."

Außenpolitisch mag der Besuch Steinmeier an diesem Freitag vernünftig sein, innenpolitisch ist er durchaus heikel. In sechs Wochen wird in der Türkei gewählt, da ist es eigentlich unüblich, dass ein deutscher Regierungsvertreter so kurz vorher der amtierenden Regierung die Aufwartung macht.

Noch dazu vor einem derart umstrittenen Urnengang, schließlich verlor die konservativ-islamische AKP von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan bei den regulären Wahlen am 7. Juni die absolute Mehrheit, was der lupenreine Demokrat Erdogan prompt einen "Fehler" nannte, den es bei den anstehenden Neuwahlen zu "korrigieren" gelte.

Dass Steinmeier sich mit seinem Besuch über manche Bedenken auch im eigenen Haus hinwegsetzte, zeigt, welch zentrale Rolle die deutsche Regierung der Türkei bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise und der Bekämpfung der Fluchtursachen zumisst. Und die Zeit für eine diplomatische Lösung rennt davon.

Warum die Zeit knapp wird

Russland rüstet den syrischen Diktator Baschar al-Assad auf, sogar den Einsatz von Bodentruppen erwägt Moskau. Dadurch könnte, so die Befürchtung im Auswärtigen Amt, Assads Bereitschaft sinken, an einer diplomatischen Lösung mitzuwirken.

"Es ist ein wichtiger Besuch und trotz einer Wahlsituation, glaube ich, der richtige Zeitpunkt, um hier zu sein", sagte Steinmeier bei einem Besuch einer Hilfsorganisation. Er sprach dort unter anderem mit einer irakischen Familie, die in den letzten zehn Jahren gleich mehrmals vertrieben wurde.

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