Türkei - Menschenrechtler oder extremistische Aktivisten?

  21 Juli 2017    Gelesen: 1928
Türkei - Menschenrechtler oder extremistische Aktivisten?
Ein Workshop von einer Menschenrechtsorganisation für Menschenrechtler, die jedoch ganz anderes im Sinn haben als Menschenrechte zu wahren oder Verstöße zu dokumentieren? Das jedenfalls behaupten die türkischen Tageszeitungen "Aksam" und "Günes". Die Zeitungen veröffentlichten am Donnerstag mehrere Inhalte von Dokumente sowie einen "geheim" eingestuften Bericht des Nachrichtendienstes an den parlamentarischen Ausschuss.
tanbul / TP - Die Chancen auf eine schnelle Freilassung der sechs inhaftierten Menschenrechtler, darunter einem Deutschen und einem schwedischen Staatsbürger sinken von Tag zu Tag. Nur wenige Informationen sickern aus Sicherheitskreisen und die allein sind von brisanter Natur. Die Anfang Juli während eines Workshop auf der Insel Büyükada bei Istanbul von der Polizei verhafteten zehn Menschenrechtsaktivisten hatten neben Karten und Dokumenten auch Laptops und Handys mit digitalen Inhalten. Einzelne Datensätze wurden nun von den türkischen Tageszeitungen "Aksam" und "Günes" veröffentlicht und die Sache scheint ernster zu sein, als bislang vermutet. Beide Tageszeitungen werfen den Aktivisten vor, nicht für Menschenrechte einzustehen oder Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren, sondern knallharte Politik zu betreiben und dabei auch auf Chaos zu setzen oder die türkische Parteilandschaft sowie NGO´s zu missbrauchen.

Während eine sprachwissenschaftliche- oder etymologische Karte der Türkei und des Nahen Ostens, die mutmaßlich vom iranischstämmigen Schweden Ali Gharavi stammt und während des Workshops am 5. Juli verwendet wurde, sich nicht nachteilig auf die Inhaftierten auswirken wird, ist die Brisanz eines anderen Schriftstücks jedoch gravierend. Dabei geht es um eine Reihe von "geheim" eingestuften Dokumenten, die im Jahre 2012 vom türkischen Nachrichtendienst MIT an den parlamentarischen Ausschuss überreicht wurde. Der Inhalt: ein Bericht der MIT über eine Razzia gegen ein FETÖ-Gremium und deren Zerschlagung. Als FETÖ wird die terroristische Gülen-Bewegung bezeichnet, die für den gescheiterten Putschversuch vom vergangenem Jahr mitverantwortlich gemacht wird.

Wie der geheime Bericht in die Hände von Nalan Erkem von der türkischen Sektion der Helsinki-Bürger-Versammlung geriet, ist nachwievor unbekannt. Der Bericht wurde an einen nichtöffentlichen Ausschuss des türkischen Parlament übergeben, deren Mitglieder der Schweigepflicht unterliegen und "geheim" oder "vertraulich" gekennzeichnete Dokumente nur zur Einsicht den Mitgliedern zur Verfügung stehen.
Beide Tageszeitungen, die "Aksam" und "Günes" haben am Donnerstag auch einzelne Inhalte von Chats, die über Handys getätigt wurden, veröffentlicht. In einem Chatverlauf, die mutmaßlich von Özlem Dalkıran stammt, heißt es unter anderem, man könne nicht auf einen Ausbruch eines Widerstands warten, man müsse den Sommer ausnutzen, um z.B. "Gerechtigkeits-Aktionen" zu initiieren. Im weiteren Verlauf des Chats fordert Özlem Dalkıran die Chatpartner auf, mit Akademikern die suspendiert oder vom Dienst entlassen wurden in Kontakt zu treten und Seminare abzuhalten. Des Weiteren befürwortet sie auch Aktionen, um die amtierende Regierungspartei durch wirtschaftliche Einbußen in die Knie zu zwingen. Hier könnten, so Özlem Dalkıran weiter, Marktmanipulationen helfen, die Wirtschaftskraft zu beeinflussen und die Regierung damit zu konfrontieren.

Jede Form des Widerstands wird dabei als legitim betrachtet; das geht jedenfalls aus dem Chatverlauf hervor. Dalkıran zufolge hätten die Gezi-Proteste zwar das Potential besessen, auch weil sie militant geführt worden wäre, doch die Proteste seien auch zu schnell abgeebt, hätten ihre Wirkung verfehlt. Daher müsse man alle NGO´s und Parteien mit ins Boot holen, um schlagkräftiger zu werden. Gedacht wird dabei an die Oppositionsparteien CHP und HDP, aber auch an die PKK-nahe HDK (Demokratischer Kongress der Völker), der LGBT oder der "Einheit für die Demokratie" (DIB). Dalkıran spricht aber auch von einer parlamentarischen Kraft, derer man sich bedienen könne, so wie am 16. April - der Tag an dem das Volksreferendum zur Verfassungsreform stattfand.
Erschwerend kommt hinzu, dass in einem weiteren Chat sich ein "PKK-Mitglied" namentlich meldet, um Mitglied in einer Menschenrechtsorganisation zu werden. Dabei bezeichnet sich dieses Mitglied als Arzt, der angeblich Verletzte der Terrororganisation PKK behandelt. Auf einem der beschlagnahmten Handys soll zudem das Handy-App "ByLock" installiert gewesen sein. Für die Jusitz ein Indiz dafür, dass die FETÖ direkt oder indirekt mitagiert. Ausserdem soll bei der Durchsuchung der Wohnung von Dalkıran eine ganz bestimmte US-Dollarnote gefunden worden sein. Diese bestimmte One-Dollar US-Banknote mit der Ident-Nr die mit "F" anfängt, wurde bei zahlreichen FETÖ-Verdächtigen gefunden und wird von der Justiz ebenfalls als Anzeichen einer Verbindung zur FETÖ gewertet.
Am 2. Juli hatten sich fast ein Dutzend Menschenrechtsaktivisten zu einem Worhshop auf der Insel Büyükada bei Istanbul getroffen, um sich vom deutschen Peter Steudtner und dem Schweden Ali Ghavani zum Thema "Digitale Sicherheit und Informationsmanagement" weiter bilden zu lassen. Der Workshop soll Medienberichten zufolge bereits am ersten Tag des Seminars vom türkischen Nachrichtendient MIT und der türkischen Polizei beschattet worden sein. Am 5. Juli stürmte die Polizei das Seminar, verhaftete 10 Aktivisten, darunter auch Steudtner und Ghavani. Am Montag verhängte ein Haftrichte in Istanbul gegen 6 Teilnehmer des Workshops Untersuchungshaft, darunter auch gegen Peter Steudtner und Ali Ghavani.
Laut Polizei sollen die Teilnehmer noch versucht haben, ihre Laptops und Handys zu verschlüsseln und so der Polizei die Ermittlungen zu erschweren. In den vergangenen Tagen berichteten Medien über Mitschnitte der Abhöraktion, wobei die Teilnehmer des Workshops während der polizeilichen Razzia panisch versucht hätten, ihre Datenbestände zu zerstören bzw. zu verschlüsseln. Eine Teilnehmerin soll noch geäussert haben, dass die Entdeckung von Informationsinhalten durch die Polizei vielen weiteren Personen Schwierigkeiten bereiten werde.

Experten gehen davon aus, dass die bislang publik gewordenen Informationen ausgewählter Natur sind, den Errmittlern höchstwahrscheinlich noch brisantere Informationen vorliegen, die jedoch derzeit nicht veröffentlicht werden sollen oder die nationale Sicherheit betreffen und daher nicht geteilt werden dürfen.

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