Warum die Polizei wieder Grenzen schützt

  03 Januar 2018    Gelesen: 687
Warum die Polizei wieder Grenzen schützt
Im Grenzstreit um die Bucht von Piran wollen Slowenien und Kroatien ihre Hoheitsrechte notfalls auch mit Polizeigewalt durchsetzen. Was diesen Grenzstreit brisanter macht als andere – und was er für die EU bedeutet.
Als Ecio Kocijancic am Samstagmorgen mit seinem Fischkutter in die Bucht von Piran steuert und seine Netze in der Adria auswirft, sind alle Augen auf ihn gerichtet. Slowenien hat an diesem Tag die in der Bucht verlaufende umstrittene Grenze zu Kroatien einem internationalen Schiedsgericht folgend neu gezogen - und plötzlich wird das Alltagsgeschäft des kroatischen Fischers zum Politikum. Es dauert nicht lange, bis kroatische Boote auftauchen, die Kocijancic in dem nun von Slowenien beanspruchten Gewässer eskortieren. Denn für Kroatien ist das Urteil des Gerichts, das Slowenien 80 Prozent der Bucht zuspricht, "null und nichtig". Trotzdem sind es nur Polizeiboote, die Kroatien schickt, keine Kriegsschiffe. Und die slowenische Polizei beobachtet den kroatischen Fischer und seine Eskorte zwar aus der Ferne und verwarnt sie, greift aber nicht direkt ein, berichtet Kocijancic später dem Zagreber TV-Sender N1.

Bislang verläuft alles glimpflich im aktuellen Kapitel des seit 1991 schwelenden Streits um die Bucht von Piran, in der der genaue Grenzverlauf seit dem Zerfall Jugoslawiens umstritten ist. Aber beide Länder wollen ihre Hoheitsrechte in dem Gebiet durchsetzen - notfalls auch mit Polizeigewalt. Slowenien beansprucht einen freien Zugang zum Meer und die vom Schiedsgericht zugesprochenen 80 Prozent der Bucht, Kroatien beharrt darauf, dass die Grenze in der Mitte gezogen wird. Das Land erkennt das Urteil nicht an, weil eine slowenische Vertreterin geheime Informationen aus dem Prozess an eine Diplomatin in Ljubljana weitergegeben haben soll.

31 Quadratkilometer Wasser mitten in der EU sorgen nun dafür, dass Slowenien den Beitritt Kroatiens in den Schengenraum, die Eurozone und die OECD blockieren will. Und 31 Quadratkilometer Wasser sorgen auch dafür, dass sich an einer innereuropäischen Grenze Polizeiboote gegenüberstehen. Dabei haben auch Belgien und Holland nur einen Tag nach der Übernahme der Bucht von Piran durch Slowenien ebenfalls ihre Grenze korrigiert. Belgien schrumpfte dabei um eine Fläche von etwa 19 Fußballfeldern. Dass das Land versuchen könnte, diese mit Polizeigewalt festzuhalten, scheint undenkbar. Und auch den seit dem Mittelalter unklaren Verlauf der Grenze in der Ems zwischen Deutschland und den Niederlanden gehen beide Länder mit pragmatischer Zusammenarbeit und friedlichen diplomatischen Lösungen an. In der niederländischen Gemeinde Baarle-Nassau verläuft die Staatsgrenze zu Belgien sogar quer durch die Fußgängerzone und durch Wohnhäuser, ohne dass sich jemand daran stört - ganz so, wie es in einem friedlichen Europa sein sollte.

Für einen Eklat reicht Schokolade

Wer verstehen will, warum das im Fall von Slowenien und Kroatien anders ist, muss in die Vergangenheit blicken. Der Politologe Dušan Reljić von der Stiftung Wissenschaft und Politik sieht die Wurzel des Konflikts in der Art der politischen Herrschaft, die mit dem Zerfall Jugoslawiens entstand. "Alle separatistischen Bewegungen im ehemaligen Jugoslawien waren stark nationalistisch, und dieser radikale Nationalismus ist oft in Rechtsradikalismus umgeschlagen." An den nationalistischen Strömungen in vielen Ländern trage der Westen eine Mitschuld, sagt Reljić n-tv.de: "Man dachte, die Nationalisten würden den Kommunismus zu Fall bringen, unterstützte sie ziemlich kritiklos, und hoffte, dann würden diese Extremisten irgendwie vorbildhafte Demokraten werden. Aber das ist nicht passiert. Die Geister, die man damals gerufen hat, kann man nun nicht mehr vertreiben."

Ganz so grenzenlos, wie Europa oft wirkt, ist es also nicht - und Konflikte gibt es nicht nur in Osteuropa. "Jede Grenze hat ihr Konfliktpotential, das sieht man auch in Gibraltar, an der türkisch-griechischen Grenze oder jetzt in Irland mit dem Brexit", sagt Reljić. Eine EU-Mitgliedschaft könne zwar das Konfliktpotential mindern, letztlich sei es aber die Art der politischen Herrschaft jedes einzelnen Staates, die entscheidet, ob ein Konflikt überwindbar ist - oder ob er sich zuspitzt.

Und gerade in Südosteuropa sind die Gräben tief. Wie leicht die Emotionen zwischen den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens hochkochen, zeigen gleich zwei durch Schokolade verursachte Krisen. So verursachte eine kroatische Diplomatin vor einem Jahr einen Eklat, als sie slowenischen Politikern und Diplomaten als Weihnachtsgruß eine Pralinenpackung zuschickte, auf der eine Reliefkarte Kroatiens abgebildet war - inklusive der strittigen Adriagrenze in der Bucht von Piran. Den vermeintlich gutgemeinten Weihnachtsgruß erhielt sie vom slowenischen Außenminister deshalb umgehend zurück, hübsch verpackt in einem Beutel mit dem PR-Slogan "I feel Slovenia". Und die kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović musste sich in aller Form entschuldigen, nachdem sie in Serbien hergestellte Schokoriegel an Kindergartenkinder im kroatischen Dubrovnik verteilt hatte.

Grenzkonflikte bremsen EU-Beitritte aus

Auch vor den EU-Beitrittskandidaten Albanien, Mazedonien, Serbien und Montenegro machen die Streitigkeiten nicht Halt. Kroatien beispielsweise streitet auch mit Montenegro, Bosnien und Serbien um den genauen Grenzverlauf an einzelnen Stellen – und das kann durchaus Auswirkungen auf die Beitrittsverhandlungen haben. "Die Grenzkonflikte bereiten den EU-Beitrittsländern gewaltige Probleme, weil die involvierten EU-Länder zweifellos ihr Vetorecht nutzen werden", sagt Politologe Reljić. Slowenien sei seinerzeit aber deutlich in die Schranken gewiesen worden, als das Land zwischen Alpen und Adria den EU-Beitritt Kroatiens wegen des Grenzstreits blockieren wollte - auch, wenn sowohl die EU-Kommission als auch die Bundesregierung nun das Urteil zugunsten Sloweniens unterstützen.

Und einen Krieg anzetteln wegen 31 Quadratkilometern Wasser? Das werden die Streithähne nach Ansicht von Reljić ohnehin nicht. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ljubljana oder Zagreb sich ernsthaft mit den Europäischen Institutionen anlegen und letztlich sogar auf die Vergünstigungen, die sie in der EU genießen, verzichten würden." Hinzu kommt, dass beide Staaten stark in den EU-Markt integriert sind, die wirtschaftliche Lage ist stabil. Und Zagreb wolle das ohnehin angeschlagene Ansehen des Landes nicht weiter ramponieren. Das kroatische Nachrichtenportal "Index" sprach gar von einem "für die ganze Welt lächerlichen und unverständlichen Streit" um "ein paar Dutzend Fischerboote" – und warnt vor den damit zusammenhängenden politischen Nachteilen und der negativen Berichterstattung.

Trotzdem: die Situation bleibt unversöhnlich. Slowenien will nun Geldstrafen von Fischern verlangen, die die Bucht im von Slowenien beanspruchten Teil befahren, Kroatien fordert die Fischer wenig verwunderlich dazu auf, diese nicht zu bezahlen. Neutrale EU-Länder wie Finnland oder Schweden könnten laut Reljić jetzt bei einer politischen Schlichtung des Konflikts eine Rolle spielen, "möglicherweise auch Deutschland als wichtigster politischer und wirtschaftlicher Partner beider Länder und als 'Hebamme' ihrer Unabhängigkeit im Jahr 1991". Bis dahin ist Ecio Kocijancic auf seinem Fischkutter wohl weiterhin eine Menge Aufmerksamkeit gewiss.

Quelle: n-tv.de

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