Spahn sieht Deutschland am Anfang einer Coronavirus-Epidemie

  27 Februar 2020    Gelesen: 942
Spahn sieht Deutschland am Anfang einer Coronavirus-Epidemie

Berlin/Shanghai (Reuters) - Deutschland steht Gesundheitsminister Jens Spahn zufolge am Anfang einer Coronavirus-Epidemie.

Die Infektionsketten seien teilweise nicht nachzuvollziehen, sagte Spahn am Mittwoch in Berlin. “Vor diesem Hintergrund ist es fraglich, ob unsere bisherige Strategie, das Virus einzugrenzen und Infektionsketten zu beenden, auch weiterhin aufgeht.” Er habe deshalb die Gesundheitsminister der Länder gebeten, ihre Pandemiepläne zu aktualisieren und ein mögliches Inkrafttreten vorzubereiten. Erstmals gab es außerhalb von China, wo das Virus zur Jahreswende ausgebrochen ist, mehr neue Infektionsfälle als im Land selbst.

Unter anderem meldeten Griechenland, Pakistan, Georgien und Nord-Mazedonien erste bestätigte Infektionen. Auch in Lateinamerika ist das Virus angekommen, Brasilien bestätigte den ersten Fall. In Deutschland gab es nach zwei neuen Fällen am Dienstag in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg vier weitere in den beiden Bundesländern. Auch ein deutscher Soldat wurde im Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz positiv auf das Coronavirus getestet, wie der Sanitätsdienst der Bundeswehr via Twitter twitter.com/SanDstBw mitteilte. In Europa ist am stärksten betroffen Italien, dort waren die Infektionszahlen sprunghaft angestiegen. Weltweit sind mittlerweile über 80.000 Menschen infiziert, der Großteil davon in China. An den Börsen setzten sich die Kurseinbrüche aus Sorge um Einbußen für die Konjunktur fort.

Deutschland, Italien und Österreich wollten sich eng abstimmen, Warnketten enger knüpfen und alle notwendigen Maßnahmen zum größtmöglichen Schutz der Bevölkerung treffen, twitterte Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz. Darüber hätte er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Italiens Regierungschef Giuseppe Conte gesprochen. Regierungssprecher Steffen Seibert schrieb auf Twitter twitter.com/RegSprecher, die Ausbreitung des Coronavirus bedeute auch für Deutschland eine neue herausfordernde Lage. Eine Expertengruppe der Bundesregierung beobachte regelmäßig die Entwicklungen und berate über notwendige Maßnahmen. Die EU forderte alle Mitgliedstaaten auf, ihre Notfall-Pläne zu überprüfen, wie EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides in Rom sagte.

Seit Dienstagabend sind die Behörden in Deutschland bemüht, Kontaktpersonen der Infizierten ausfindig zu machen. Da die Infektionsketten teilweise nicht mehr nachvollziehbar seien, gebe es eine neue Qualität, sagte Spahn. “Deswegen komme ich immer mehr zu der Überzeugung, die Wahrscheinlichkeit, dass diese Epidemie an Deutschland vorbeigeht, wird sich nicht erüllen und wird sich nicht ergeben.” Die Ermittlung der Kontaktpersonen gestaltet sich aufwendig, da das betroffene Ehepaar aus dem nordrhein-westfälischen Landkreis Heinsberg – ein 47-jähriger Mann und eine 46-jährige Frau - aktiv und zu einem Kurzurlaub in den Niederlanden war und auch an einer Karnevalssitzung in einem Dorf teilnahm. “Das ist schon eine ziemliche Sisyphos-Arbeit”, sagte der Landrat von Heinsberg, Stephan Pusch. Der Mann wurde in einem kritischen Zustand mit einer schweren Lungenentzündung im Krankenhaus auf einer Intensivstation isoliert. Schulen und Kindergärten bleiben im Kreis bis Montag einschließlich zu.

Die ersten Virus-Fälle in Deutschland hatte es in Bayern gegeben. Von den dort gemeldeten 14 mit dem Virus infizierten Personen ist nach Angaben des Gesundheitsministeriums noch einer in einer Klinik in München.

ITB UND GENFER AUTOSALON FINDEN STATT

Bei der ersten Infektion in Baden-Württemberg handelt es sich laut Landesgesundheitsministerium um einen 25-Jährigen aus Göppingen, der sich in Mailand angesteckt habe. Auch eine Reisebegleiterin und ihr Vater aus Tübingen wurden positiv auf das Coronavirus getestet. Am Abend wurde ein weiterer Fall aus dem Landkreis Rottweil bekannt.

Das Robert-Koch-Institut rechnet mit weiteren Fällen in Deutschland. Eine weltweite Ausbreitung des Erregers sei wahrscheinlich. Weltweit verzeichnet die Weltgesundheitsorganisation WHO 80.988 Infektionen, davon 96,5 Prozent in China. Dort wird der Ursprung des Virus vermutet. Von einer Pandemie - einer weltweiten Epidemie - will die WHO nicht sprechen, da ungerechtfertigte Ängste und Stigmata vervielfacht würden. Die US-Behörden gehen inzwischen davon aus, dass eine weltweite Pandemie wahrscheinlich ist. Dort sind 59 Fälle bekannt. US-Präsident Donald Trump warf jedoch zwei Fernsehsendern, die ihm kritisch gegenüber stehen, vor, alles zu tun, um das Coronavirus so schlecht aussehen zu lassen wie möglich. Sie schürten auch Panik an den Börsen. In den letzten vier Handelstagen wurden an den Börsen weltweit 3,3 Billionen Dollar an Marktwert vernichtet, wie an dem weltweiten MSCI-Index abzulesen ist.

Vor der weltgrößten Tourismusmesse ITB, die kommende Woche in Berlin startet, verschärfen die Veranstalter auf Anweisung der Gesundheitsbehörden ihre Vorkehrungen. Wer innerhalb der letzten 14 Tage in den Risikogebieten in China, Iran, Italien oder Südkorea war, erhält keinen Zutritt zum Messegelände. Die Autoshow in Genf nächste Woche und die für Ende Juli geplanten Olympischen Spiele in Japan sollen laut Veranstalter nicht abgesagt werden.


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