Streubomben bleiben jahrelang gefährlich

  11 Mai 2022    Gelesen: 562
  Streubomben bleiben jahrelang gefährlich

Russlands Krieg in der Ukraine ist ein besonders barbarischer. Der Kreml setzt bei seinem Feldzug auch Streumunition ein. Eine hinterhältige Kriegsstrategie, die besonders viele Zivilisten schwer verwunden oder töten kann - auch in vielen Jahren noch.

Streubomben sind eigentlich weltweit verboten, in der Ukraine werden sie aber vor allem von Russland trotzdem eingesetzt. Und zwar schon seit Kriegsbeginn Ende Februar. Unter anderem in der Region rund um Kiew hat das russische Militär diese Munition benutzt. Dort haben die russischen Soldaten besonders heftig gewütet, ihnen werden schwerste Kriegsverbrechen vorgeworfen.

Das Investigativteam "Bellingcat" hat Beweise dazu gesammelt. Die Journalisten fanden etwa in Butscha, Hostomel und Borodianka Spuren von Streumunition in den Trümmern von zerstörten Häusern, Straßen und Autos. Auch bei der Untersuchung von Leichen fanden sie Hinweise darauf. In Charkiw, im Osten der Ukraine, soll demnach ebenfalls Streumunition zum Einsatz gekommen sein.

"Das haben mehrere Menschenrechtsorganisationen, mit denen wir eng zusammenarbeiten, bestätigt. Zum Beispiel Amnesty International und Human Rights Watch", berichtet Eva Fischer im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". Die Minenexpertin leitet die politische Abteilung bei der Münchner Hilfsorganisation Handicap International. Demnach habe Russland im laufenden Krieg in mindestens zwei Dutzend Fällen Streumunition eingesetzt. Die "New York Times" berichtet zudem, dass auch das ukrainische Militär Anfang März eine Streumunitionsrakete abgefeuert hat - beim Versuch, das ostukrainische Dorf Husarivka zurückzuerobern.

Streubombe enthält Hunderte Submunitionen

Beim Abwurf von Streumunition wird eine Bombe als Behälter für Hunderte kleinere Submunitionen genutzt. Solch ein Behälter kann aus der Luft abgeworfen oder von Boden-Raketen abgeschossen werden. Nach kurzer Fallzeit öffnet sich die äußere Hülle des Behälters per Zeitzünder und die kleineren Sprengkörper gehen dann einzeln in einem Bombenhagel auf das Zielgebiet nieder.

Das präzise Anvisieren eines Ziels ist dabei weder technisch möglich, noch beabsichtigt. "Die Problematik ist einerseits, dass die Munition über große Flächen verstreut wird. Es handelt sich um Waffen, die völlig ungezielt eingesetzt werden. Dadurch gibt es bei jedem Einsatz erfahrungsgemäß vor allem zivile Opfer", erklärt Expertin Fischer.

Die zweite Gefahr ist, dass es bei der Streumunition verhältnismäßig viele Blindgänger gibt. Ein gewisser Anteil der Submunition explodiert nicht - bis zu 40 Prozent eines Munitionsbehälters bleiben als Blindgänger liegen und sind jahrelang gefährlich.

"Sehr grausame Verletzungen durch Blindgänger"

Auch das Bergen der kleinen Sprengkörper ist gefährlich. An sich ist ein Blindgänger eine defekte Waffe - aber noch mit möglicherweise funktionierender Munition drin. Das heißt, man weiß nicht, wann sie explodiert oder ob sie überhaupt explodiert. Die einzelnen Munitionsteile sind so klein und leicht, dass jedes Kind sie aufheben und damit spielen kann. Und dann kann es sein, dass der Blindgänger nach einer gewissen Zeit plötzlich explodiert.

"Eine riesige Fliegerbombe, die nicht explodiert, ist natürlich auch eine hochgefährliche Angelegenheit, aber die wird eben in der Regel nicht von einem Kind ausgelöst. Die Sensibilität und Kleinheit macht Streumunition besonders gefährlich. Viele Kinder nehmen neugierig solche Blindgänger in die Hand und werden schwer verletzt oder getötet", erzählt Fischer im Podcast.

Blindgänger können in den Händen explodieren, Gliedmaßen abreißen, das Augenlicht rauben oder den Körper mit Splittern durchsetzen. "Es sind sehr, sehr grausame Verletzungen, die da zurückbleiben. Wenn die Menschen überleben, führt es in der Regel dazu, dass sie eine lebenslange Behinderung haben."

Nachweislich wurden mit Stand 2020 weltweit fast 23.000 Zivilisten Opfer von Streubomben - die tatsächliche Anzahl schätzt Handicap International auf bis zu 100.000.

Laos am stärksten betroffen

Vorläufer heutiger Streumunition wurden schon im Zweiten Weltkrieg eingesetzt. Die deutsche Wehrmacht hat sie in Großbritannien abgeworfen. Später hat auch die US-Armee in Südostasien Streumunition eingesetzt. Allein über Laos haben die Amerikaner damals 260 Millionen Submunitionen abgefeuert - damit ist Laos das am stärksten betroffene Land der Welt. "Ein Land, das eher am Rande des Vietnamkrieges von der US-Armee so massiv bombardiert wurde, dass es niemals von allen Blindgängern geräumt werden kann. Da liegen bis heute Hunderttausende Blindgänger", berichtet Streubomben-Expertin Fischer.

Später folgten größere Streubomben-Abwürfe im Irak und in Afghanistan. Ein massiver Einsatz von Streumunition durch die israelische Armee im Libanon 2006 führte dann zu neuen Diskussionen über ein Verbot. Diese mündeten schließlich in der sogenannten Streubomben-Konvention, die ab 2010 in Kraft trat. Mittlerweile haben 123 Staaten das Abkommen unterschrieben. Große Militärmächte wie die USA, China, Indien oder Pakistan gehören aber nicht dazu - Russland auch nicht. Doch auch die Ukraine hat den Vertrag bis heute nicht unterzeichnet.

"Die Staaten, die Streumunition verboten, haben das gemacht, weil sie gesagt haben, diese Waffe kann eigentlich gar nicht völkerrechtskonform eingesetzt werden, weil sie über einen Kriegsfall hinaus so viele Auswirkungen hat. Und vor allem, weil sie nicht unterschiedslos - das ist dann der Begriff des Völkerrechts - eingesetzt werden kann", betont Fischer und merkt an: "Wenn man den Vertrag nicht unterzeichnet hat, bindet er den Staat natürlich auch nicht."

In der Ukraine dürfte schon seit Jahren Streumunition im Boden liegen. Schon 2014 wurde sie im Donbass im Osten der Ukraine eingesetzt. Damals auch von beiden Seiten. Zwar streiten die Ukraine und Russland das ab. Organisationen wie Handicap International sehen das hingegen als bewiesen an.

Quelle: ntv.de


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