Wie lange reichen unsere Gasvorräte?

  09 Auqust 2022    Gelesen: 625
  Wie lange reichen unsere Gasvorräte?

Russland pumpt weniger Gas nach Deutschland, trotzdem füllen sich die Speicher. Doch der Winter naht, und Gazprom könnte die Lieferung komplett einstellen. Dafür gibt es allerdings eine Lösung.

Die deutschen Gasspeicher füllen sich schneller als geplant. Doch es ist durchaus möglich, dass der Kreml die Lieferungen ganz einstellt. Wie lange ist dann die Versorgung von Haushalten, Krankenhäusern und Industrie gesichert? Die kurze Antwort: Es kommt darauf an.

Die lange Antwort: Dem Branchenverband Ines zufolge können die Speicher in Deutschland insgesamt Gas mit einem Energiegehalt von maximal rund 256 Terawattstunden speichern. Das entspricht etwa einem Viertel des jährlichen Gasverbrauchs in Deutschland (rund 1000 Terawattstunden). "Dieses Speichervolumen alleine kann Deutschland zwei bis drei durchschnittlich kalte Wintermonate mit Gas versorgen", sagt die Bundesregierung.

Derzeit sind die Speicher zu rund 72 Prozent gefüllt - und das, obwohl der vom Kreml kontrollierte Gazprom-Konzern die Lieferung durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 stark gedrosselt hat. Das sogenannte Gasspeichergesetz verlangt, dass die Speicher an Stichtagen Mindestfüllstände aufweisen müssen. Vorgeschrieben ist, dass sie Anfang September zu 75 Prozent gefüllt sein müssen, Anfang Oktober zu 80 Prozent und Anfang November zu 90 Prozent. Im Februar müssen es dann noch mindestens 40 Prozent sein.

Die momentan erreichten knapp drei Viertel des maximalen Speicher-Volumens würden im Winter also für sechs bis neun Wochen reichen - bei unverändertem Verbrauch und lediglich theoretisch.

Denn es gibt viele Faktoren, die eine Rolle spielen. Zunächst ist derzeit völlig offen, wie lange und in welcher Menge Russland weiter Gas nach Deutschland liefert. Zudem ist völlig unklar, wie kalt der Winter und wie hoch damit der Heizbedarf sein wird. Hinzu kommt: Allein die hohen Gaspreise dürften dazu führen, dass Privatverbraucher ihren Verbrauch reduzieren und Unternehmen sich um Alternativen kümmern oder sogar die Produktion herunterfahren.

LNG-Terminals sollen helfen

Deutschland hat die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen weiter reduziert. Der Anteil russischer Gaslieferungen lag laut Bundeswirtschaftsministerium Ende Juni noch bei 26 Prozent, vorher hatte er im Mittel bei 55 Prozent gelegen. Fallen die russischen Lieferungen weg, würde weiterhin etwa Gas aus den Niederlanden und Norwegen fließen. Außerdem kann Deutschland über bestehende Terminals im Ausland weiterhin verflüssigtes Erdgas (LNG) bekommen. Zudem soll bis Jahresende in Wilhelmshaven ein schwimmendes LNG-Terminal ans Netz gehen, ein weiteres in Brunsbüttel. Zwei weitere Schiffe sollen in Stade und Lubmin an der Ostsee eingesetzt werden. In Lubmin soll außerdem bis Ende 2022 ein weiteres, fünftes Flüssigerdgas-Terminal durch ein privates Konsortium entstehen. Darüber hinaus wird auch in Deutschland Erdgas gefördert. Die Frage, wie lange Deutschland mit dem aktuell gespeicherten Erdgas hinkäme, ist also nur näherungsweise zu beantworten.

Doch komplett lässt sich russisches Gas nicht sofort ersetzen. Bundesnetzagentur-Chef Klaus Müller ruft deshalb zum Sparen auf. Deutschland müsse 20 Prozent Gas einsparen, um gut über den Herbst und den Winter zu kommen. Im bisherigen Jahresverlauf liege der Gasverbrauch 14 Prozent niedriger als im Vorjahreszeitraum, so Müller.

Aus Sicht von Ökonomen ist die Fokussierung auf die Speicher ein Fehler. Eine Gruppe von Wirtschaftswissenschaftlern kommt in einer Studie zu dem Ergebnis, dass Deutschland im Fall eines Komplettausfalls russischer Gaslieferungen in den nächsten Wochen den Gasverbrauch bis zum Ende der kommenden Heizperiode im April 2023 um etwa 25 Prozent reduzieren müsse. Das sei auch dann der Fall, wenn die geplanten Flüssiggasterminals im Winter wie geplant in Betrieb gehen.

"Wenn man die Einsparungen im Gasverbrauch einrechnet, die sich durch alternative Energiequellen in der Stromerzeugung erzielen lassen, verbleibt eine Anpassung von rund 20 Prozent, die von Industrie, Haushalten, Gewerbe und dem öffentlichen Sektor getragen werden muss", heißt es weiter. Eine solche Reduzierung sei umsetzbar. Allerdings müssten schnell Maßnahmen getroffen werden, um Gas einzusparen. "Die gute Nachricht unserer Studie ist (...), dass Deutschland ohne russisches Gas durch den Winter kommen kann. Panikmache ist fehl am Platz."

Dann sitzen wir "alle in der Sch..."

Derweil bereitet sich die Europäische Union auf eine drohende Gasnotlage vor, der Gas-Notfallplan zur Vorbereitung auf einen möglichen Stopp russischer Gaslieferungen ist heute in Kraft getreten. Er sieht vor, dass alle EU-Länder ihren Gasverbrauch von Anfang August bis März nächsten Jahres freiwillig um 15 Prozent senken, verglichen mit dem Durchschnittsverbrauch der letzten fünf Jahre in diesem Zeitraum. Falls nicht genug gespart wird und es weitreichende Versorgungsengpässe gibt, kann im nächsten Schritt ein EU-weiter Alarm mit verbindlichen Einsparzielen ausgelöst werden.

Um einen wirksamen Anreiz zum Sparen zu setzen, fordert die Wirtschaftsweise Veronika Grimm, in Deutschland auch Umsatzsteuer auf die Gasumlage zu erheben. Es müssten diejenigen gezielt entlastet werden, die die Härten nicht tragen können. Die Umlage soll im Oktober für Firmen und Privathaushalte eingeführt werden und Versorgern zugutekommen, die zu hohen Preisen Ersatz für ausbleibende, günstigere Gasmengen aus Russland kaufen müssen. Sie können diese Mehrkosten bisher nicht an ihre Kunden weitergeben, dies soll über die Umlage geschehen.

Sollte Russland die Gas-Lieferungen nach Deutschland einstellen und nicht genug Gas in den Speichern sein, "werde das kein Spaß", twitterte Ökonomin Grimm. Wenn in Deutschland nicht massiv gespart werde, dann sitzen "alle in der Sch...".

Quelle: ntv.de, mit dpa


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