Der real existierende Millionär

  25 Mai 2018    Gelesen: 900
Der real existierende Millionär

Siegfried Kath lebte den amerikanischen Traum - in der DDR. Vom Kellner stieg er auf zum Handelsmillionär, residierte prunkvoll, fuhr teure West-Autos. Das Regime profitierte von seinem Geschäftssinn. Dann schlug es zu.

 

Für Siegfried Kath lag das Geld auf der Straße. "Du musst dich nur bücken und es aufheben", sagte er seiner Frau Annelies. Und wenn die mit Geld gepflasterten Straßen in der sozialistischen DDR lagen - dann eben dort.

Siegfried Kath wollte reich werden, und er wollte Kunst und Antiquitäten sammeln. "Mir war es völlig gleichgültig, ob ich mir diese Existenz in einem sozialistischen oder kapitalistischen Staat aufbauen konnte", gab er Offizieren der Stasi einmal zu Protokoll. Eine Existenz hatte er sich wahrlich aufgebaut: Mitte der Siebzigerjahre betrug sein Vermögen wohl etwa fünf Millionen Ostmark.

Ein Millionär, der zudem betont protzig auftrat, im sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat?

Es war sogar noch abstruser. Denn Siegfried Kath kam aus dem Westen und lebte erst seit 1961 in der DDR. Vier Monate nach dem Bau der Berliner Mauer setzte er sich, frisch geschieden und arbeitslos, in den Interzonenzug, um seine Großeltern in Thüringen zu besuchen. Er suchte eine Luftveränderung - und fand ein neues Leben. DDR-Grenzer holten ihn aus dem Zug und brachten ihn in ein Aufnahmelager für westdeutsche Migranten.

Er kam freiwillig, musste bleiben, wollte wieder raus


Damit war er nicht allein: Mehr als eine halbe Million Westdeutsche zogen in die DDR. Manche lockten die Versprechen des Sozialismus - sichere Arbeit, gutes Gesundheitswesen. Selbst im Jahr des Mauerbaus strömten noch etwa 17.000 in die DDR.

Siegfried Kath, geboren 1936 in Pommern, aufgewachsen in Niedersachsen, hatte Bergmann gelernt. Sein DDR-Empfang muss ihm wie der Plot eines schlechten Films vorgekommen sein: Freiwillig war er eingereist, unfreiwillig musste er bleiben. Beamte nahmen ihm seine Papiere ab, drückten ihm einen vorläufigen DDR-Ausweis in die Hand - und schickten ihn zur Arbeit ins Metallwerk.

naufhörlich schrieb Kath Ausreiseanträge. Vergebens. Seinen DDR-Verbleib habe man als "Kompensation für die in den Westen abgeworbenen Fachkräfte" betrachtet, erinnert sich Kath später. Schon im Sommer 1962 wagte er einen Fluchtversuch, wurde geschnappt und wegen Republikflucht verurteilt.

Was dann folgte, war der Aufstieg vom Tellerwäscher zum Millionär, der American Dream - nur im Sozialismus. Nach einiger Zeit als Kellner eröffnete Kath mit seiner Frau 1966 das Café Baltimore in Dresden. Wie besessen arbeitete er, knüpfte Kontakte und umging die sozialistische Mangelwirtschaft, wo immer er konnte. Ein ruheloser Geist, spontan, mit enormem Fleiß, oft aufbrausend.

spiegel

 


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