Besoffen Schaufenster anpissen: Für Nato-Rambos im Baltikum normal

  14 Juni 2018    Gelesen: 933
Besoffen Schaufenster anpissen: Für Nato-Rambos im Baltikum normal

Nato-Soldaten fluten das Baltikum: 18.000 Militärs aus 19 Ländern nehmen teil an den Manövern „Saber Strike“ und „Baltops“ in der Region. Truppenübungen findben in den baltischen Staaten mehrmals pro Jahr statt – angesichts eines „aggressiven Russlands“ ein Muss, sagen die Regierungen. Nur: Die einfachen Bürger wollen das nicht so recht einsehen.

In der litauischen Hafenstadt Klaipeda ist es proppenvoll: 37 Kampschiffe aus allerlei Nato-Ländern sind in den Hafen eingelaufen. Man müsse die Auslandssoldaten mit aller gebotenen Gastfreundschaft empfangen, hat der Stadtrat beschlossen. Sie schützten ja schließlich die Stadt und das Land. Also wurde den Nato-Truppen für die Zeit des Manövers kurzerhand die kostenfreie Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs gewährt – ohne Wenn und Aber: Der Bürgermeister hatte sich gar keine Zeit dafür genommen, diese Entscheidung im Stadtrat zu diskutieren.

„In den letzten 25 Jahren hat man bei uns auf alles eine Gebühr eingeführt, worauf sich eine Gebühr erheben lässt“, sagt Wjatscheslaw Titow, Stadtratsmitglied in Klaipeda von der Fraktion „Union litauischer Russen“. „In unserer Stadt haben nur Kinder bis sieben Jahre das Recht auf kostenlose Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel – und das auch nur, wenn sie keine Sitzplätze einnehmen. Ein Ticket kostet 80 Cent. Schüler, Studenten und Rentner im Alter von über 70 Jahren zahlen die Hälfte. Und selbst die, die über 80 sind, fahren nicht kostenlos mit: Sie haben einen Rabatt von 80 Prozent. Es ist also so, dass die sozial Schwachen in die Tasche greifen müssen, während die gut besoldeten Nato-Soldaten kostenlos herumfahren. Ich persönlich sehe das nicht ein. Die Soldaten haben ihre Übungsplätze, da sollen sie kostenlos herumfahren und herumschießen, so viel sie wollen“, kritisiert der Kommunalpolitiker.

Wie gesagt, Truppenübungen und Manöver finden hier im Baltikum häufig statt. Die Kommunalverwaltung von Klaipeda ruft die Stadtbürger jedes Mal dazu auf, doch bitte keine Angst davor zu haben. Viele fürchten sich trotzdem – und würden es gut finden, wenn die Nato-Soldaten fernab der Wohnsiedlungen für den Krieg trainierten.

Als im April dieses Jahres die Übung „Tapferer Greif („Narsus Grifonas“) innerhalb der Stadtgrenzen abgehalten wurde, schrieb die Klaipeda-Bürgerin Julia Dobilene im Netz:

„Man könnte das Ganze natürlich mit einem Lächeln hinnehmen. Man könnten den Kindern von der Übung erzählen und dieses ganze ‚Habt keine Angst, das sind gute Onkel‘. Aber in der Stadt wird seit über einer Stunde geschossen. Bei uns in der Nähe sind drei Krankenhäuser (eins davon für Senioren), mehrere Schulen und Kindergärten. Und ich als litauische Bürgerin möchte sagen: Ich bin gegen Truppenübungen innerhalb der Stadt!“

Julias Beitrag fand große Resonanz, Menschen schrieben sich den Frust von der Seele: „Für Truppenübungen gibt es Übungsplätze. Da gibt es spezielle Anlagen, man kann herumrennen, so viel man will, und stört niemanden dabei. Mir ist nicht ganz klar, warum ich mehrmals in der Nacht aufwachen muss, weil 20 Meter vor meinen Fenstern rund um die Uhr Armeeschrott verkehrt“, schrieb Nikolai Morosow.

„Der Staat wirft demonstrativ Geld zum Fenster heraus. Renten werden nicht erhöht, Krankenhäuser nicht repariert. Stattdessen werden unsinnige Militärmanöver durchgeführt, mit einer großen Zahl von Schaulustigen und infolge dessen mit hohem potentiellem Risiko für diese Sensationsgeilen“, schrieb eine weitere Nutzerin, Julia Baranezkaja.

Ein Segen für die Russenpropaganda

Der Hinweis auf das Risiko ist nicht aus der Luft gegriffen. Die Armeetechnik ist durchaus eine Gefährdung für den Straßenverkehr. Vor sieben Tagen erst stießen in der Bezirksgemeinde Prienai vier Schützenpanzer vom Typ „Stryker“ zusammen: 13 US-Soldaten wurden verletzt. Zwei Tage später ein weiteres Unglück: Ein „Stryker“-Fahrer verlor die Kontrolle über sein Gefährt und fuhr gegen einen Baum am Straßenrand. Ein Crewmitglied musste mit einem Knochenbruch ins Krankenhaus gebracht werden. Kurz darauf noch ein Unfall: Ein Armee-Jeep überschlug sich in der Nähe der Stadt Pabrade. Da ist es wohl eine Ironie des Schicksals, dass Litauen die Europäische Union in diesen Tagen um 430 Millionen Euro für die Straßensanierung bitten will.

Das Problem mit den Nato-Soldaten hat viele Formen. Letzten Herbst hatten Hundeliebhaber aus Riga Fotos bei Facebook veröffentlicht, die alles sagen: Müll, den die Nato-Angehörigen in einem Wald unweit ihres Stützpunkts hinterlassen haben. Plastikflaschen, Aludosen, Papierfetzen… „Den Wald haben sie auch zerwühlt, mir tut es in der Seele weh“, schrieben die Einheimischen. „Entschuldigt, aber wir haben hier eigene Schweine genug!“

Insgesamt ist das Verhältnis der baltischen Bürger zu den Nato-Soldaten gespalten. Die Litauer, Letten und Esten nehmen sie eher positiv wahr – die Staatspropaganda hat ihnen eingedrillt (und sie glauben es), dass Russland jeden Augenblick angreifen könnte. Die einheimischen Russen verstehen indes, dass Moskau keinen Krieg will. Und die im Baltikum stationierten Soldaten werden eingeschüchtert: Jeder Fehltritt sei eine Steilvorlage für die „Kremlpropaganda“.

Ein echtes Geschenk für die Kämpfer gegen den russischen „Infokrieg“ war ein Vorfall vom letzten Jahr in Litauen. Litauische Parlamentsabgeordnete erhielten einen anonymen Brief, in dem es hieß, Bundeswehrsoldaten aus dem Nato-Kontingent hätten in der Stadt Jonava eine 15-jährige Schülerin vergewaltigt. Die Angaben konnten nicht bestätigt werden, der Vorsitzende des Nato-Ausschusses erklärte sogleich, hinter dieser „Ente“ steckten „prorussische Elemente“.

Tatsächlich ist es aber so, dass die „russischen Infokrieger“ sich nichts auszudenken brauchen. Schauen wir wieder nach Klaipeda: Dort haben Polizisten unlängst fünf betrunkene Soldaten aus Tschechien festgenommen, die sich an einem Nachtclub eine Schlägerei mit der örtlichen Jugend geliefert hatten. Erst Stromschläge aus dem Elektroschocker konnten die tschechischen Jungs zur Vernunft bringen. Nicht selten sind solche Vorfälle auch in Lettland. So demolierten vier betrunkene britische Soldaten ein Taxi in Riga, indem sie auf dessen Dach tanzten. Und 2015 hatte ein US-Soldat einen Unfall verursacht, bei dem fünf Menschen schwer verletzt wurden. Einer Strafe konnte der Unfallverursacher entkommen, weil er rechtzeitig in die Heimat abgefahren war.

Seltener Fall von Gerechtigkeit

Im Mai 2014 endete der Besuch eines Nato-Geschwaders in der lettischen Stadt Ventspils während des Manövers „Open Spirit“ mit einem Skandal. Mehrere Auslandssoldaten hatten sich in der Stadt mit den Einheimischen geprügelt – Bilanz: Ein niederländischer Seemann musste im Zustand der Bewusstlosigkeit mit Schädelknochenbrüchen und einem Hirnödem ins Krankenhaus gebracht werden, 23 weitere Soldaten wurden von der Polizei bestraft – wegen öffentlichen Alkoholkonsums und Erregung öffentlichen Ärgernisses.

Der Bürgermeister von Ventspils, Aivars Lembergs, teilte die Details mit: „Die Nato-Matrosen benehmen sich wie die Schweine. Sie ignorieren das lettische Gesetz und die Vorschriften der Kommunalverwaltung von Ventspils. Sie urinierten im betrunkenen Zustand gegen Schaufenster, erbrachen sich, tranken Alkohol im öffentlichen Raum, was bei uns verboten ist. Zudem rissen sie Blumen aus den Blumenbeeten, um sie Prostituierten zu schenken.“ Die Einheimischen hätten auf die Seeleute eingeschlagen, um ihre Frauen vor Belästigungen zu schützen, mutmaßte der Stadtvater.

Und dafür erhielt er auch eine Rüge. Litauens Außen- und Innenminister bezeichneten dessen Äußerungen über die Verbündeten als „verantwortungslos“, „inakzeptabel“, eine „Gefahr für die nationale Sicherheit“ und „Wasser auf die Mühlen der Russenpropaganda“. Der ehemalige lettische Verteidigungsminister Artis Pabriks wollte die Vorfälle gar nicht wahrhaben. Sie könnten inszeniert worden sein, um Lettland und die Nato zu spalten, sagte er. „Man stellt die Sache also so dar, dass nicht die Nato-Soldaten sich unbotmäßig verhalten haben, sondern ich. Das ist absurd“, konterte Lembergs.

Im Herbst 2016 überfiel ein britischer Soldat einen jungen Letten in einem McDonald´s in Riga und brach ihm die Nase. Die britischen und lettischen Medien schrieben daraufhin von einer Attacke gegen den britischen Soldaten, die von prorussischen Aktivisten geplant worden sei. „Man kann sagen, dass ich einen zweiten Schlag gegen den Kopf gekriegt habe, begleitet von einem Riesenschock“, schrieb der junge Mann daraufhin. Auf lettischen Portalen habe es einen Shitstorm wegen angeblicher „Willkür der Russen“ und „Putins Plänen“ gegeben. Später jedoch triumphierte die Gerechtigkeit: Ein britisches Gericht verurteilte den britischen Rambo zu einer Geldstrafe von über 1.000 Euro.

sputnik.de


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