Rom geht über Leichen

  20 Juli 2018    Gelesen: 904
Rom geht über Leichen

Italien will künftig auch Flüchtlinge abweisen, die im Rahmen der EU-Operation "Sophia" aus dem Mittelmeer gerettet werden. Sollte Rom Ernst machen, wird das nicht nur Europa schwer schaden. Es wird Menschenleben kosten.

Bisher galt es nur für private Hilfsorganisationen. Jetzt droht Italien also auch damit, seine Häfen für Schiffe der EU-Operation "Sophia" zu sperren. Zumindest, wenn sie Flüchtlinge an Bord haben. Die Schiffe sollen auch andere Mitgliedstaaten anlaufen, nicht immer und immer wieder Italien, so die Argumentation Roms. Das klingt zunächst einleuchtend. Doch an Zynismus ist diese Argumentation kaum zu übertreffen.

Wer nur einen Blick auf die Landkarte wirft, sieht sofort: Italiens Vorschlag, dass die Schiffe bitte auch andere Häfen anlaufen sollen, lässt sich nur umzusetzen, wenn sie große Umwege in Kauf nehmen. Und Umwege kosten im Mittelmeer Menschenleben. Rom geht über Leichen.

Derzeit legen die meisten Flüchtlingsboote von Libyen aus ab, genauer gesagt von den Stränden rund um Tripolis. Die Hotspots tragen Namen wie Garabulli oder Zuwara und liegen im Nordwesten des Landes. Wenn die Menschen, die im Mittelmeer aus dem Wasser gerettet werden, nicht alle nach Italien gebracht werden sollen, wohin dann?

Sollen künftig noch mehr Flüchtlinge auf die kleine Insel Malta? Wohl kaum. Sollen sie an Italien vorbei nach Griechenland? Oder am italienischen Sardinien vorbei nach Korsika? Vielleicht besser gleich nach Spanien - um Tunesien herum, an Algerien vorbei? Vielleicht sogar nach Deutschland - über die Nordsee? Klar ist: Sind die Schiffe auf dem Weg in einen anderen Staat, sind sie nicht im Einsatzgebiet, wo die Kriegschiffe der Operation "Sophia" gegen Schlepper kämpfen sollen und wie auch die privaten Helfer Menschen aus Seenot retten. Verschwenden die Schiffe auf ihrem Weg nach Griechenland oder Spanien Zeit, sterben in ihrer Abwesenheit Menschen vor der Küste Libyens.

Holzkähne statt Schlauchboote

Natürlich spricht Rom ein ernst zu nehmendes Problem an: Europa fehlt es auch noch im Jahr 2018 an einem funktionierenden Asylsystem. In Deutschland und Österreich wird derzeit lieber über den Schutz nationaler Grenzen gesprochen. Ungarn hat längst dichtgemacht. Die Staaten am Rande der Union werden allein gelassen. Von Solidarität kann keine Rede sein. Die Mitgliedstaaten müssen sich auf eine gerechte Verteilung der Ankommenden einigen - und diese vor allem auch umsetzen. Dass Europa dabei bisher nur langsam vorankommt, rechtfertigt aber nicht, im Mittelmeer mehr Menschen sterben zu lassen.

Italien verschleiert diese Dimension nur allzu gern. Insbesondere Italiens Innenminister Matteo Salvini gehört zu den Vertretern einer fragwürdigen Strategie. Er glaubt: Sind keine Rettungsschiffe in der Nähe der libyschen Küste, würden auch keine Flüchtlingsboote mehr die gefährliche Reise wagen. Seine Argumentation: Flüchtlinge steigen nur in die Boote, wenn sie darauf setzen können, dass sie jemand aus Seenot rettet. Denn die Schlauchboote sind kaum seetüchtig. Ist keine Hilfe von der EU oder privaten Rettern in Sicht, machen sich die Menschen auch nicht auf den Weg, glaubt Salvini. Deswegen hat Salvini Italiens Häfen schon für die Boote privater Retter sperren lassen. Der Innenminister wirft ihnen vor, gemeinsame Sache mit den Schleusern zu machen oder ihnen ihr Geschäft zumindest erheblich zu erleichtern. Ein Vorwurf, den einige Kritiker auch den Kriegsschiffen der Operation "Sophia" machen.

Die Erklärung klingt zunächst vielleicht schlüssig, sie stimmt aber nicht. Sind keine Rettungsboote vor Ort, sei es nun von privaten Organisationen oder im Rahmen einer internationalen Operation, müssen Handelsschiffe einspringen, die es in der Region zuhauf gibt. Für Seemänner ist die Seenotrettung nun mal Pflicht - moralisch und juristisch.

Vermutlich reichen diese Schiffe nicht. So war es ja auch schon in der Vergangenheit. Aber es wäre unwahrscheinlich, dass die Schlepper ihr Geschäft deshalb einstellen. Erstens, weil für sie Menschenleben nicht viel zählen. Und zweitens, weil sie mit Flüchtlingen Millionen verdienen.

Gibt es im Mittelmeer keine Schiffe, die Flüchtlinge an Bord nehmen, setzen Schlepper eben wieder auf etwas stabilere Holzkähne, die es zumindest theoretisch selbstständig nach Italien schaffen können, statt auf Schlauchboote. Für viele der Migranten ist schon der Hauch einer Überlebenschance Grund genug, sich auf den Weg zu machen. Vor allem, wenn sie in der Hölle Libyen festsitzen.

Was also tun? Wenn Italiens zynische Drohung Wirklichkeit wird, müssen die Staaten Europas einspringen, die sich noch den Menschenrechten und internationalen Abkommen zum Schutz von Flüchtlingen verpflichtet fühlen. Sie müssen wieder zusichern, Italien die Flüchtlinge abzunehmen, die in Roms Häfen ankommen. Selbstverständlich ist das nur eine Notlösung. Europa muss sich endlich zusammenraufen. Wir brauchen eine solidarische und menschenwürdige europäische Flüchtlingspolitik. Und wir brauchen sie schnell. Denn auch dabei gilt: Umwege kosten Menschenleben.

Quelle: n-tv.de


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