„Quantenhype“: Forscher sieht Quantentechnologien in Russland auf dem Sprung

  10 Auqust 2018    Gelesen: 828
„Quantenhype“: Forscher sieht Quantentechnologien in Russland auf dem Sprung

Die Konferenz „Supraleitende Quantentechnologien“ ist in Moskau zu Ende gegangen. Im Interview schildert der Spitzenforscher Alexej Ustinow, einer ihrer Organisatoren, die Entwicklungstendenzen beim Thema supraleitende Quantentechnologien in Russland.

Ustinow ist Professor an der Technischen Universität Karlsruhe und Leiter des Labors „Supraleitende Metamaterialien“ an der Nationalen Technologischen Forschungsuniversität MISIS (Moskau) sowie Leiter einer Forschungsgruppe am russischen Quantenzentrum.

Alexej Valentinowitsch, welchen Platz nimmt Russland auf dem Gebiet der supraleitenden Quantentechnologien ein?

Traditionell nimmt Russland auf diesem Gebiet einen sehr wichtigen Platz ein. Es genügt, an die wissenschaftliche Gruppe von Konstantin Licharjow zu erinnern, in der die bereits existierende klassische Architektur supraleitender Schaltkreise in den 1980er Jahren fast von Grund auf neu geschaffen wurde. Dieser Bereich hat sich recht erfolgreich entwickelt, jedoch auf dem Markt für digitale Technologien keinen nennenswerten Platz eingenommen.

Dies geschieht aufgrund der Tatsache, dass sich in der Welt längst und erfolgreich Halbleitertechnologien entwickeln, die nicht auf niedrige Temperaturen heruntergekühlt werden müssen, obwohl Supraleiter im Vergleich zu Halbleitern mehrere hundert Mal höhere Taktfrequenzen haben können.

Vor etwa 15 Jahren begann eine Renaissance auf unserem Gebiet, die dadurch gekennzeichnet war, dass neue Ideen entstanden sind, die mit der Transformation von Technologie in die Quantentechnologie, mit der Anwendung von Gesetzen der Quantenmechanik für die Ausführung von logischen Operationen und für die Schaffung von nützlichen Anwendungen zusammenhingen.

In Russland begann sich beispielsweise die Technologie von supraleitenden Quantenschaltkreisen zu entwickeln, es wurden die ersten wissenschaftlichen Gruppen ins Leben gerufen, die mit Geräten ausgestattet waren, die ultraniedrige Temperaturen gewinnen konnten, und Messsysteme für die Manipulation solcher Schaltkreise entwickelten.

Welche wissenschaftlichen Errungenschaften und Perspektiven in diesem Bereich erachten Sie heute als besonders wichtig?

Wir haben vier Quantenlabors, die auf globaler Ebene arbeiten – das Labor für künstliche Quantensysteme unter der Leitung von Oleg Astafijew (Moskauer Institut für Physik und Technik, MIFT), mein Labor für supraleitende Metamaterialien (Nationale Technologische Forschungsuniversität Moskau, MISIS) sowie Laboratorien im russischen Quantenzentrum und die Staatliche Technische Universität Nowosibirsk. Derzeit arbeitet unser Team unter der Leitung von Valeri Rjasanow an einem russischen Projekt, das von Rosatom und dem Fonds für zukunftsträchtige Forschungen unterstützt wird.

Im Rahmen dieses Projekts haben wir in den letzten zwei Jahren einen bedeutenden Schritt gemacht und faktisch Weltniveau erreicht. Natürlich werden wir noch viel zu tun haben, um mit solchen globalen Giganten in diesem Bereich wie IBM, Intel, Google und anderen zu konkurrieren.

Kann man bereits sagen, dass wir kurz vor der Schaffung eines vollwertigen Quantencomputers stehen?

Die Antwort auf Ihre Frage hängt davon ab, mit wem Sie sprechen. Es gibt ernsthafte Ankündigungen, dass ein solcher Quantencomputer bereits ins Leben gerufen wurde. Zum Teil ist das wahr. Auf unserer Konferenz gab es den Vertreter der kanadischen Firma D-Wave, Paul Bunyk, der sagte, dass ihr Unternehmen diese Computer bereits seit mehreren Jahren verkauft.

In der Wissenschaft werden solche Statements jedoch oft mit Skepsis wahrgenommen. Was macht einen Computer wirklich zu einem Quantencomputer? Es gibt keine eindeutige Antwort darauf. Es müssen mehrere Tests durchgeführt werden, und diese Tests werden von verschiedenen Experten unterschiedlich dargelegt. Aus der Sicht der D-Wave-Entwickler sind ihre Computer nicht global, sondern lokal quantenmechanisch. Das heißt, lokale Knoten funktionieren nach den Gesetzen der Quantenmechanik. Aber bringt das einen Quantenvorteil? Eine große Frage, auf die es noch keine überzeugende Antwort gibt.

Ja, die ersten Quantencomputer wurden bereits geschaffen. Anerkennung zu bekommen, den nächsten Schritt zu machen, die Computer nützlich anzuwenden – das alles haben sie aber noch nicht erreicht. Aber ich bin überzeugt, dass dies in den kommenden Jahren geschehen wird.

Wie laufen Ihre Studien zu Qubits (den Hauptrechenzellen eines Quantencomputers)? Sie haben mit Ihren Kollegen ein grundlegend neues Qubit geschaffen, das nicht auf dem Josephson-Übergang mit einem Bruch im Supraleiter basiert, sondern auf einem durchgehenden supraleitenden Nanodraht.

Ziemlich erfolgreich. Dieses Jahr haben wir einen Artikel in der Zeitschrift „Nature Communications“ veröffentlicht, in dem wir die Schaltkreise von 15 Qubits untersucht haben. Sie zeigten eine interessante kollektive Eigenschaft.

In diesem Fall haben wir kein digitales Gerät untersucht, das auf Disketten läuft, sondern verwendeten die kollektive Physik von Mehrkomponenten-Quantensystemen. In diesem Bereich sind wir Pioniere geworden, und wir haben Ideen, wie wir weitermachen.

Und wie?

Wir werden uns Richtung Quantencomputer für spezielle Zwecke bewegen. Es ist keineswegs offensichtlich, dass die ersten nützlichen Anwendungen von Quantengeräten und Prozessoren mit universellen Prozessoren verbunden werden, mit denen es möglich sein wird, alle Aufgaben durchzuführen. Höchstwahrscheinlich werden dies spezielle Prozessoren sein – so genannte Quantensimulatoren oder Simulationsanlagen.

Sie funktionieren nach den Prinzipien der Quantenmechanik, als wiederholten oder versuchten sie, die Eigenschaften von komplexeren mikroskopischen Systemen zu simulieren, die auf herkömmlichen Computern schwer zu berechnen sind. In diesem Fall handelt es sich um Analoga oder „Quantenwürfel“, aus denen man etwas Interessantes zusammenbauen kann. Wenn ich also ein Gebäude bauen will, baue ich zuerst ein Modell, und dafür muss ich etwas zusammenfügen. Diese Simulatoren sind sozusagen eine Art Modell-Geräte, um etwas Komplexeres zu modellieren.

Wie weit sind Sie bereits mit der Schaffung dieser Computer?

Wir bauen bereits diese Geräte für spezielle Aufgaben und Objekte, die wir aus der Sicht der Physik erforschen wollen. Dies kann die Wissenschaft über Materialien und Quantenchemie wesentlich voranbringen. Um wirklich nützliche Angebote zu machen, müssen wir noch einen langen Weg gehen.

Wer und wie wird dieses Thema in Russland finanziell gefördert?

Es gibt eine solide finanzielle Unterstützung durch den Fond für zukunftsträchtige Studien und dem Ministerium für Bildung und Wissenschaft, die den Erwerb von teuren Geräten für unsere Universitäten finanziert haben. Wenn wir jedoch die Gelder vergleichen, die unsere westlichen Kollegen hauptsächlich von privaten Investoren erhalten, wird der Unterschied enorm sein.

Meiner Meinung nach wurde in Russland in kurzer Zeit eine ernsthafte Grundlage geschaffen, um einen Durchbruch zu erzielen und unser Land auf dem Gebiet der Quantentechnologien auf eine Spitzenposition zu bringen. Wir haben gleichzeitig in mehreren Laboratorien gearbeitet, ein wissenschaftliches Umfeld geschaffen, wir machen unseren internationalen Kollegen bei der Marktführerschaft Konkurrenz, wir bieten neue Dinge an. Es ist wichtig, dass diese Aktivität in Russland weiter ausgebaut wird.

Obwohl es überall auf der Welt einen „Quantenhype“ gibt, wird er höchstwahrscheinlich nicht ewig dauern. Es ist wichtig, dass wir diesen Moment nutzen können, um mehr langfristige russische Projekte, Expertisen und Know-how zu schaffen.

sputniknews


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