Imran Khan in Pakistan - Der Mann, der viele Wunder braucht

  18 Auqust 2018    Gelesen: 916
Imran Khan in Pakistan - Der Mann, der viele Wunder braucht

Imran Khan wird neuer Regierungschef von Pakistan, seine Fans feiern euphorisch. Doch auf den Ex-Cricket-Star wartet einer der schwierigsten Politikerjobs der Welt.

 

Vor der Einfahrt zur Villa stehen Dutzende Polizisten. Hin und wieder braust eine Limousine mit einem Politiker oder einem ausländischen Diplomaten heran. Oben in Bani Gala, in den sanften Hügeln mit Blick auf Pakistans Hauptstadt Islamabad, wohnt Imran Khan, früher Cricket-Star, demnächst Regierungschef.


Auf den Straßen feiern die Menschen ihren kommenden Anführer, schwenken rot-grüne Parteiflaggen. Auch wenn Khan als Mann der Armee gilt - manche bezeichnen ihn gar als "Marionette der Generäle": Sie sind doch froh, dass ihnen ein weiterer Militärherrscher erspart bleibt. Sie rechnen ihm zudem hoch an, dass er es geschafft hat, die Jahrzehnte währende Macht der beiden Dynastien Bhutto und Sharif zu durchbrechen.

Die Stimmung ist gut und auf jeden Fall besser als die Lage. Denn so sehr Khan sein "neues Pakistan" verkörpern mag, vom dem er seit Jahren spricht, so schwierig dürfte es für ihn werden, es auch umzusetzen. Denn das Land plagen zahlreiche Probleme, jedes so groß, dass schon die Lösung eines davon eine politische Meisterleistung wäre.

Das Bakschischsystem ersetzt das Steuersystem

So steht das Land kurz vor der Pleite und ist, wieder einmal, auf Rettung durch den Internationalen Währungsfond (IWF) angewiesen. Die pakistanische Zentralbank verfügt über nur noch neun Milliarden Euro, was gerade einmal für zwei Monaten reicht. Pakistan wird, heißt es in Islamabad, um zehn bis zwölf Milliarden Dollar Kredit bitten. Damit würde das Land, wie schon zwölf Mal in den zurückliegenden Jahrzehnten, Hilfe des IWF in Anspruch nehmen. Der Wert der pakistanischen Rupie verfällt, ausländische Investitionen bleiben wegen politischer Instabilität und Sicherheitsbedenken weitgehend fern.

Ein weiteres Riesenproblem liegt darin, dass in Pakistan kaum jemand Steuernzahlt. Die Staatseinnahmen finanzieren sich überwiegend aus indirekten Steuern wie die Mehrwertsteuer, was arme Menschen überproportional belastet. Großgrundbesitzer und Industrielle setzen alles daran, eine Besteuerung von Einkommen und Kapital zu verhindern. Stattdessen nimmt die jeweilige Regierung teure Kredite auf. Khan hat eine "neue Steuerkultur" versprochen. Das sind erstaunlich deutliche Worte, wie sie bislang noch kein Politiker in Pakistan gefunden hat. Khan braucht Geld, wenn er seinen "islamischen Wohlfahrtsstaat" durchsetzen will.

Hinzu kommt die weitverbreitete Korruption. Abgesehen von Militärs verdienen Staatsbedienstete in Pakistan wenig und sind damit anfällig für Korruption. Auf manchen Behörden beginnen die Arbeitsprozesse erst nach Zahlung von Schmiergeld. Das Bakschischsystem ersetzt das Steuersystem. Auch dies ist ein Grund, weshalb viele ausländische Unternehmen vor einem Markteintritt in Pakistan zurückschrecken. Khan hat die Bekämpfung der Korruption schon vor Jahren zu seinem wichtigsten Ziel erklärt.

Brutstätte des Terrors

Eine Herausforderung für Khan wird sein, den Einfluss des mächtigen Militärs einzudämmen. Über Pakistan heißt es oft, es sei kein Land mit einer Armee, sondern eine Armee mit einem Land. Tatsache ist, dass es seit Staatsgründung 1947 vier Militärdiktatoren erlebt hat und auch sonst die Generäle die Strippen im Hintergrund zogen. Khan wird von ihnen protegiert. Doch die Militärausgaben machen etwa vier Prozent des BIP aus. Khan hat Kürzungen angekündigt. Sollte er das umsetzen, wäre ein Konflikt mit seinen Förderern unausweichlich.

Deutlich erhöht werden müssten hingegen die Bildungsausgaben, die nur gut zwei Prozent des BIP ausmachen. Damit liegt Pakistan auf einem der letzten Plätze weltweit. Nur etwa 60 Prozent der Bevölkerung können lesen und schreiben, eine Schulpflicht gibt es nicht. Schätzungen gehen von bis zu 25 Millionen Kindern im Schulalter aus, die keinerlei Bildung erhalten. Nur wer Geld hat, kann seinen Kindern eine Schulbildung finanzieren.

Oder er schickt sie auf eine Koranschule, Teil eines weiteren Problems: die religiöse Radikalisierung der Gesellschaft. Zwar wird nur an wenigen Madrassas extremistisches Gedankengut verbreitet, aber insgesamt kontrolliert der Staat die Lehrinhalte nur unzureichend. Pakistan gilt als eine Brutstätte des Terrors, Dutzende militante Organisationen haben hier ihren Ursprung. Das Militär verfolgt eigene Interessen wie die Rekrutierung von Extremisten für Stellvertreterkriege gegen Indien. In Pakistan konnte sich Osama Bin Laden, Chef von al-Qaida, jahrelang verstecken, bis er im Mai 2011 von US-Einheiten aufgespürt und getötet wurde. Khan vertritt hier eher weiche Positionen, zeigt oft Verständnis für Personen mit extremistischen Haltungen.

Khan will das Unmögliche schaffen

Das größte Problem Pakistans aber ist eines, über das die meisten Politiker am liebsten schweigen oder gar nicht als Problem erkennen: das rasante Wachstum der Bevölkerung. 1947 zählte das Land noch 27 Millionen Einwohner. Eine Zählung 2017 ergab, dass dort mittlerweile 208 Millionen Menschen leben. Das entspricht einer Verdoppelung alle 25 Jahre. Zwar geht die Geburtenrate langsam zurück, aber hält die Entwicklung an, hat Pakistan im Jahr 2040 mehr als 400 Millionen Einwohner - und noch in diesem Jahrhundert mehr als eine Milliarde. Sexuelle Aufklärung ist ein Tabuthema, Kinderreichtum nach Ansicht vieler Pakistaner "Gottes Wille und Gottes Segen". Dem traut sich kein Politiker zu widersprechen - auch Khan nicht. Die große, junge Bevölkerung könnte dem Land tatsächlich einen ökonomischen Schub bringen, doch dazu wären eine vernünftige Bildung und ein solides Sozialsystem nötig.

Das sind nur die größten Probleme. Zu erwähnen wären noch eine unzureichende Gesundheitsversorgung, ein fehlendes Rentensystem, große Mängel bei der Energieversorgung, die Erzfeindschaft mit dem Nachbarn Indien, das schwierige Verhältnis zum anderen Nachbarn Afghanistan, die zerrütteten Beziehungen zum Westen, insbesondere zu den USA.

 

Trotz allem glaubt Khan offenbar, Pakistan in eine bessere Zukunft führen zu können. In den Augen vieler seiner Landsleute wäre ihm ein solches Wunder durchaus zuzutrauen - so wie 1992, als er die Cricket-Nationalmannschaft als Kapitän zum ersten Weltmeistertitel führte. Seither ist Khan ein Nationalheld.

Die Villa am Stadtrand von Islamabad dürfte der Ort werden, wo er diese Probleme angehen wird, zwischen Orangenbäumen und Bougainvilleen. Niemals würde er in die pompöse Residenz des Premierministers im Regierungsviertel ziehen. "Ich würde mich schämen, dort zu wohnen, während Millionen von Pakistanern unterhalb der Armutsgrenze leben", erklärt er. Die Zeiten, in denen Politiker in unermesslichem Luxus lebten, seien jetzt jedenfalls vorbei.

spiegel


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