„Antibiotikum“ gegen Nato-Kanonen: Russlands neues Artillerie-Aufklärungs-System

  05 Dezember 2018    Gelesen: 1045
„Antibiotikum“ gegen Nato-Kanonen: Russlands neues Artillerie-Aufklärungs-System

Egal ob Minenwerfer, Mehrfachraketensysteme oder schwere Artilleriewaffen – der neueste russische Artillerieaufklärungs-Komplex „Penizillin“ kann praktisch jede Feuerposition des Gegners auf eine Entfernung von vielen Kilometern bestimmen. Dabei lässt er sich selbst kaum orten. Die russische Armee wird diese Waffensysteme vermutlich 2020 erhalten.

Einer der wichtigsten Vorteile des „Penizillin“-Systems besteht darin, dass es auf ziemlich große Entfernung vom Gegner funktioniert. Dadurch werden die Risiken für die Besatzung minimiert, die das Feuer lenkt. Dabei kann dieses System, das den Namen des bekannten Antibiotikums trägt, auch völlig automatisch funktionieren.

Aufklärung auf Entfernung

Das Ortungsgerät funktioniert folgenderweise: Es gibt vier Schallempfänger auf der Erdoberfläche, die den Schall und die kinetische Energie nach den Schüssen aus Minenwerfern, Artilleriewaffen oder Raketenanlagen messen. Das System analysiert die entsprechenden Daten und gibt an, wo die jeweilige Munition explodiert ist, inwieweit präzise der Schuss war und wo sich die Waffen befinden.

Anhand dieser Informationen wird gegen die Positionen des Gegners ein Gegenschlag versetzt. Die Koordinaten des jeweiligen Ziels erhalten die Artilleristen binnen von fünf Sekunden. Darüber hinaus verfügt das „Penizillin“-System über automatische Video- und Wärmebildkameras, die die Flugbahn der Geschosse, Raketen usw. verfolgen. Das „Penizillin“-System kann gegnerische Artilleriewaffen auf eine Entfernung von 25 Kilometern „sehen“.

Erprobte Methode

Erste Schallmessgeräte hatte die sowjetische Armee noch in den 1970er Jahren erhalten. Damals wurden im Konstruktionsbüro „Molnija“ in Odessa die automatisierten Komplexe AZK-5 und AZK-7 entwickelt. „AZK-5-Geräte funktionierten ziemlich eigenartig“, sagte der Militärexperte Viktor Murachowski, Chefredakteur des Magazins „Arsenal otetschestwa“ („Arsenal des Vaterlandes“). „Auf flachem Gelände waren sie effizient, aber im Gebirge war die Fehlerbreite ziemlich groß.“ Deshalb seien diese Anlagen tatsächlich in die Bewaffnung aufgenommen, aber nicht besonders intensiv eingesetzt worden. „Inzwischen ist es russischen Konstrukteuren gelungen, die Prinzipien der Schall-und der Video- bzw. Wärmebild-Ortung in einem Komplex zu kombinieren, und die Präzision wurde wesentlich gesteigert.“

Auch die rein technischen Möglichkeiten des einstigen AZK-5-Systems waren ziemlich begrenzt. Minenwerfer konnte es aus acht Kilometern und Artilleriewaffen aus 15 Kilometern orten. Dabei war sein Aufklärungsbereich nur zehn Kilometer breit.

Die russischen Militärs haben ein weiteres Mittel zur Ortung gegnerischer Feuerstellen: Funkmessstationen zur Artilleriebekämpfung. Diese Anlagen können gegnerische Waffen anhand der Geschoss- bzw. Raketenflugbahn orten. Bei diesen Waffen sind die Zahlen noch beeindruckender: Die Radarstation „Zoopark-1M“ mit aktivem Phasengitter kann Artilleriegeschosse auf mehr als 20 Kilometer entdecken, reaktive Geschosse auf 45 Kilometer und operativ-taktische Raketen sogar auf 65 Kilometer. Dabei kann eine Anlage bis zu zwölf Zielen auf einmal verfolgen und bis zu 70 Geschossen innerhalb einer Minute orten.

Allerdings haben die Funkmessstationen auch einige Nachteile, von denen der größte in ihrer Elektromagnetstrahlung besteht: Eine solche Station kann mithilfe von funktechnischen Kontrollmitteln entdeckt werden – im Unterschied zu passiven Artillerieaufklärungskomplexen, die praktisch keine Strahlung haben. Deshalb braucht jede diese Anlage eine gute Deckung oder muss ständig an andere Orte verlegt werden.

„Diese Stationen haben sehr große Antennen und müssen starke Funksignale ausstrahlen, um Strahlen, die sich vom jeweiligen Geschoss widerspiegeln, zu analysieren und die nötige Flugbahn zu berechnen“, so Experte Murachowski. „Aber der Komplex ‚Penizillin‘ strahlt nichts aus – und lässt sich deshalb kaum orten.“

Nicht anerkannte Vorteile

Die Methode zur Ortung von Artilleriewaffen durch Schall-Lokatoren ist noch seit dem frühen 20. Jahrhundert bekannt, als gegnerische Flugzeuge bzw. Artilleriewaffen mithilfe von Anlagen aus mehreren Schalltrichtern geortet wurden. Allerdings verzichteten viele westliche Armeen bald darauf, vor allem wegen der mangelhaften Präzision der Schallmesskomplexe. Deshalb wurden solche Anlagen im Westen kaum entwickelt, und jetzt kommen dort vor allem Radarstationen zum Einsatz, zum Beispiel amerikanische Funkmessstationen für Artilleriebekämpfung des Typs AN/TPQ-36, die Minenwerfer und Artilleriewaffen auf 20 Kilometer entdecken können. Übrigens haben die USA vor einigen Jahren mehrere solche Radare der Ukraine überlassen.

Westliche Militärexperten machen sich große Sorgen gerade wegen der enorm geringen Auffälligkeit des „Penizillin“-Systems. So nannte die Zeitschrift „The National Interest“ diese neue russische Waffe „ein neues Mittel zur Vernichtung amerikanischer schwerer Artilleriewaffen“. Der Hauptgrund für diese Befürchtungen besteht darin, dass der Gegner gar nicht ahnt, dass die Stellungen seiner Artilleriewaffen von den Russen entdeckt worden sind – bis der Schlag versetzt wird.

sputniknews


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