BVB hat Titelchance - und weiß nicht warum

  12 Mai 2019    Gelesen: 833
BVB hat Titelchance - und weiß nicht warum

Borussia Dortmund gibt beim vogelwilden Schlagabtausch gegen Fortuna Düsseldorf mal wieder Rätsel auf, weil der Klub mal wieder seine Nerven nicht im Griff hat und einen sicher geglaubten Erfolg fast noch herschenkt. Immerhin: Deutscher Meister kann der BVB noch immer werden.

Vor dem letzten Heimspiel von Borussia Dortmund in dieser 56. Saison der Fußball-Bundesliga wurden in der größten Stadt des Ruhrgebiets diverse Transparente mit klaren Statements gegen rechts gesichtet. "Lieber die Meisterschaft an Bayern verlieren als Dorstfeld an die Nazis", so wird Mario Götze auf Plakaten zitiert. Borussia Dortmund machte umgehend deutlich, nicht Urheber der sich im Umlauf befindlichen Plakate zu sein, auf denen neben Götze noch Lukasz Pisczczek, Lucien Favre, Marco Reus und Andreas Möller mit angeblichen Zitaten abgebildet werden. Auch wenn es sich um eine nicht abgesegnete Guerilla-Aktion handelt, bleibt der Kampf um die braune Hochburg im Dortmunder Norden zugunsten einer bunten Gemeinschaft lohnenswert. Und tatsächlich ist auch der Kampf um den Titel nicht entschieden.

Die Schale wird erst am nächsten Samstag, am 34. Spieltag vergeben, wenn der Titelverteidiger aus München in der heimischen Arena die Eintracht aus Frankfurt empfängt, während die Borussia zur Namensschwester nach Mönchengladbach reist. Den Auftrag hatten die Fans in schwarz und gelb ihrer Mannschaft beim Spiel in Bremen mitgegeben, und zwar mit einem Banner, über dessen Urheberschaft es keine Zweifel gibt: "Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist." Und tatsächlich: Es ist noch nicht vorbei. Es erscheint zwar nicht sehr wahrscheinlich, dass die Bayern ihren Zwei-Punkte-Vorsprung noch herschenken. Vor allem, weil sich Dortmund beim Schlussspurt in einer bedenklichen mentalen Verfassung präsentiert. Beim am Ende vogelwilden Schlagabtausch gegen den Aufsteiger aus Düsseldorf rettete sich die Borussia mit viel Dusel ins Ziel, obwohl sie in der Nachspielzeit mit zwei Toren führte und in Überzahl agierte.

Es bleibt ein Rätsel, warum es vor 81.365 Besuchern im ausverkauften Stadion am Ende einer Zitterpartie nur zu einem schmeichelhaften 3:2 (1:0) nach Toren von Christian Pulisic (41.), Thomas Delaney (53.) und Mario Götze (90.+2) reichte. Für Düsseldorf trafen Oliver Fink, begünstigt von einem schweren Patzer von Ersatzkeeper Marwin Hitz (47.), und Dawid Kownacki (90.+5). "Das müssen wir ruhiger spielen", rügte Trainer Lucien Favre, "aber wir haben den Druck gespürt, unbedingt gewinnen zu müssen. Das können wir besser beherrschen." Über eine wieder einmal strauchelnde Mannschaft, die große Schwierigkeiten offenbart, ihre Nerven in den Griff zu bekommen, mochte Sebastian Kehl nicht sprechen: "Es ist noch alles drin", sagte der Leiter der Lizenzspielabteilung. Für die Bundesliga sei es "super, dass es bis zum letzten Spieltag spannend bleibt. Das war unser Ziel, das haben wir erreicht." Allerdings gibt Mittelfeldspieler Thomas Delaney zu bedenken, "die Chance ist ganz klein, weil wir es nicht mehr in unserer Hand haben".

Was war das nun für eine Saison?

In Dortmund tun sie sich enorm schwer damit, ihre Gefühle zu sortieren und eine Saison einzuordnen, die solch zwiespältige Emotionen hervorruft: Auf der einen Seite darf sich ganz Fußball-Deutschland in Dankbarkeit vor dem Revierklub verneigen, der es nach Jahren der Eintönigkeit nicht nur geschafft hat, ein Titelrennen zu inszenieren, das bis auf die Zielgerade spannend bleibt, sondern dabei in seinen guten Phasen auch noch mitreißenden Fußball auf den Rasen zu zaubern.

Andererseits schmerzt es enorm, neun Punkte Vorsprung aus der Hand zu geben, und das gegen einen Rivalen, der schon lange nicht mehr so verwundbar war. Der FC Bayern – so viel steht fest – war in dieser Spielzeit kein automatischer Champion, nur haben es die Dortmunder teilweise fahrlässig versäumt, die Unpässlichkeit des ungeliebten Rivalen auszunutzen. So leicht, das ist im Revier Konsens, wird es im Titelrennen nicht noch einmal. Wenn Hoeneß und Rummenigge im Sommer an ihr sagenumworbenes Festgeldkonto gehen und den Transfermarkt mit einigen hundert Millionen Euro überschwemmen, dürfte es für den börsenorientierten Herausforderer eine Herkulesaufgabe werden, weiter Schritt zu halten.

Genauso ambivalent wie die Gesamtsituation stellt sich die Einordnung des Wirkens von Trainer Lucien Favre dar. Der manische Arbeiter hat mit viel Akribie und Fürsorge eine junge Mannschaft geformt, die in der Hinrunde die Sterne vom Himmel spielte, um dann – als es darauf ankam – unerwartete mentale Defizite zu offenbaren. Dabei ist es dem Tüftler aus dem Städtchen Saint-Barthélemy im Schweizer Kanton Waadt nicht gelungen, in der entscheidenden Phase bei seiner Belegschaft das Feuer und die Leidenschaft zu entfachen, die eine Mannschaft befähigen, über sich hinauszuwachsen und große Ziele zu finalisieren.

Watzke versteht Favre-Debatte nicht

In Dortmund schauen sie bei solchen Exkursen stets mit einer Träne im Auge auf die Insel, wo ihr erklärter Säulenheiliger Jürgen Klopp in Liverpool die Wunder vollbringt, auf die man nun am letzten Spieltag hofft. Ein Stück weit ist diese Verklärung der Person Klopp realitätsfremd, denn wie immer man es dreht und wendet – er steht nicht mehr beim BVB auf der Gehaltsliste. Der ewige Verweis auf den ehemaligen Vorturner ist zudem ungerecht gegenüber Favre, der ein völlig anderer Mensch und Trainertyp ist. Ein Umstand, der jedem bekannt war, als der Schweizer verpflichtet wurde. BVB-Boss Hans-Joachim Watzke kann die Debatten über den jetzigen Übungsleiter nicht nachvollziehen: "Wir spielen eine tolle Saison und haben jetzt schon 18 Punkte mehr als in der letzten Spielzeit."

Ein Stück weit ist Favre in Dortmund ein Opfer seines Erfolgs geworden, denn ohne den Höhenflug mit einem Abstand von neun Punkten auf den Souverän aus dem Süden würde im Revier wohl kaum kontrovers über den 61-Jährigen debattiert. Dabei lebt der Traum vom Titel doch weiter bis zum kommenden Samstag um 17.20 Uhr. Der scheidende Christian Pulisic gab nach dem Abpfiff die Gefühle aller Dortmunder wieder: "Wir glauben daran. Und wir hoffen es." Watzke gibt sich kämpferisch und verkündet Richtung Süden: "Wir haben jetzt die Situation, dass die Bayern alles verlieren und wir alles gewinnen können."

Quelle: n-tv.de


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