Sahra Wagenknecht im Interview: „Diese Menschen verstehen sich nicht mehr als links, weil...“

  15 Mai 2019    Gelesen: 789
Sahra Wagenknecht im Interview: „Diese Menschen verstehen sich nicht mehr als links, weil...“

Die Politik ist laut Sahra Wagenknecht stark beliebig geworden, es stößt die Leute ab und führt dazu, dass sie die Demokratie nicht als Gewinn betrachten. Im Gespräch mit Journalist und Buchautor Gabor Steingart erzählte sie, welche Politiker sie besonders schätzt, was für eine Regierung sie sich wünschte und was ihre Partei gerade herausfordert.

Vor wenigen Wochen kündigte die Linken-Chefin an, im Herbst aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr als Fraktionsvorsitzende zu kandidieren. Seither war sie für einige Zeit untergetaucht. Nun bestätigt sie, es gehe ihr deutlich besser und sie habe sich gut erholt. Wie lassen sich für sie positiver und negativer Stress unterscheiden? Wenn man Wahlkampfveranstaltungen habe, wo man sehr nette Resonanz bekomme, so Wagenknecht, das sei auch Stress, aber ein erheblicher Teil des Kräfteverschleiß aller Parteien seien interne Auseinandersetzungen. „Da gibt es Neid und Rivalität, da gibt es mehr Menschen, als es Spitzenposten gibt. Trotzdem würde ich mir wünschen, dass in den einzelnen Parteien stärkere Persönlichkeiten wären, denen es zumindest auch um die Inhalte geht.“

Sie habe übrigens immer Politiker geschätzt, wo sie das Gefühl gehabt habe, da sei „wenigstens eine Überzeugung, die sind nicht zufällig in einer Partei gestolpert, in der sie dann eben ihre Karriere machen. Irgendwo sei die Politik stark beliebig geworden. Die Politikerin glaubt, dass das die Menschen abstößt und am Ende auch dazu führt, dass sie die Demokratie nicht wirklich als einen Gewinn betrachten. Schuld daran hätten verschiedene Politiker, die aber eigentlich alle das Gleiche machen würden. Dies sei eine gefährliche Entwicklung.

Was hält Sahra Wagenknecht von den Spekulationen über eine vorgezogene Neuwahl und Rot-Rot-Grün? „Wenn die Farbenspiele von Rot-Rot-Grün nicht wirklich zu einer anderen Politik führen, sondern nur zu marginalen Korrekturen, dann produziert das nur eine wahnsinnige Enttäuschung“, kontert die Politikerin darauf. Sie wünschte sich eine Regierung mit einem anderen Programm, als die, „die wir schon seit vielen Jahren haben“. Bei den Grünen sehe sie, dass sie auch in einer Weise beliebig geworden seien und genauso gut mit der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer oder dem eher konservativen SPD-Politiker Olaf Scholz koalieren könnten. „Wenn ein solches Projekt Sinn haben soll, dann muss es für eine andere Politik stehen“, glaubt Wagenknecht. Die Fehlentwicklung der letzten Jahre sei es, dass es immer mehr Menschen gibt, die trotz Arbeit nicht auf einen grünen Zweig kommen würden. Dass es sich wiederhole, sei eine Peinlichkeit, sogar eine Plattitüde.

Ist es denn nicht dramatischer, dass sich da anscheinend niemand hinsetzt und eine Analyse zieht? „Die Mittelverwendung ist ein Ergebnis von Lobbyismus“, antwortet Wagenknecht. Seit es Hartz IV gebe, gebe es auch eine ganze Industrie, die mit irgendwelchen Arbeitsamt-Maßnahmen richtig Geld verdiene. Das Ähnliche passiere mit den Aufstockern im Mindestlohn und den Mieten. Zwar seien die öffentlichen Ausgaben für Wohngeld für Hartz IV-Empfänger gestiegen, aber am Ende sei es eine Finanzierung für eine Immobilienmafia, die wie z.B. die „Deutsche Wohnen“ 18 Prozent Rendite ausweise.

Diejenige, die nach grün abbiegen, kommen aus Sicht von Wagenknecht eher aus sogenannten "Boom"-Regionen.

Heute hätten wir das Phänomen, erzählt sie weiter, dass die Menschen, die subjektiv gar nicht unbedingt die finanziellen Probleme hätten, sich als links ansehen würden. Diejenige, die eigentlich von den Linken angesprochen werden müssten, würden sich nicht mehr als links verstehen, weil sie die einfach als zu elitär empfinden würden. Diese Menschen seien leicht ansprechbar von rechten Parteien.

„Das hat nicht nur mit der Flüchtlingsfrage zu tun, das war sicher schon eine Frage, wo sich da etwas gebündelt hat auf den Unmut.“ Die Leute hätten gesagt, ihr vertretet uns nicht mehr.

Um diese Menschen besser zu verstehen, zeichnete die Politikerin ein Beispiel auf. „Wie müssen begreifen, dass der Zugang zur Weltoffenheit, zum Internationalismus, zu Europa ein völlig anderer sei, wenn ich in einer Großstadt lebe, wenn es mir gut geht“, so die Politikerin. Wenn man dank den Eltern wahrscheinlich noch Erasmus-Student gewesen sei und die Fremdsprachen könne, sei das ganz anders als bei den Menschen, die in einem Milieu aufwachsen würden, deren Familie sich die Reisen überhaupt nicht leisten könne und wo das Studium an sich schwer finanzierbar sei. Es sei gleichzeitig auch dort, wo die Multikulturalität eher daran bestehe, dass man sein Kind auf eine Schule schicke, wo in der ersten Klasse 80 Prozent kein Deutsch können.

„Wenn sie dann noch belehrt werden von den Linken, dass sie nicht genug aufgeschlossen sind, dann wenden sie sich ab“, erklärt die Politikerin.

Und doch lebt man in einer offenen Welt, man will den Fremden helfen und zugleich versteht man, dass der Sozialstaat nicht alle aufnehmen kann. Wie kommt man mit diesem Spagat zurecht? Darauf antwortete die Politikerin: „Die Armut dieser Welt bekämpft man nicht durch Migration“. Die Mittel seien viel effektiver, wenn sie vor Ort eingesetzt werden. Man müsse seine Außen- und Wirtschaftspolitik verändern, wenn man diesen Ländern helfen wolle. Und übrigens: Es sei auch Heuchelei, wenn große Wirtschaftsvertreter sich besonders flüchtlingsfreundlich geben würden.  „In Wahrheit geht es ihnen nicht darum, den Menschen zu helfen, sondern darum, billige Arbeitskräfte zu haben und Menschen  gegeneinander auszuspielen“, beschließt die Politikerin.

sputniknews


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