Der Chor der neidischen Männer

  21 Mai 2019    Gelesen: 911
Der Chor der neidischen Männer

Peinlicher als eine verpatzte ESC-Show ist das Geschrei von Männern, wie würdelos Madonna sei, weil sie sich im Alter immer noch nichts sagen lässt. Schon deshalb muss sie weitermachen.

Im Showbiz müssen Frauen ihren Körper als Werkzeug verstehen. Um erfolgreich zu sein, unterwerfen sie sich dem ästhetischen Diktat. Das ist das game.

Teil des Regelwerks ist, dass Männer mit nicht ansatzweise so hohem Einsatz spielen müssen wie Frauen. Madonna hat dieses Spektakel perfektioniert. Ihr Körper war immer ein großer Teil ihres Kapitals, sie hat ihn mit äußerster Härte und Disziplin behandelt, Eingriffe, Training, lebenslange Diäten. Viele tun das. Grace Jones, 71, hätte sonst nicht diesen Körper einer Dreißigjährigen, den sie neulich auf der Paris Fashion Week auf einem Laufsteg tänzelnd herzeigte.

Klar ist aber auch, dass dieses game nur zeitlich begrenzt funktioniert. Niemand kann den Alterungsprozess aufhalten - und mit Frauen, die erfolgreich mitmischen, wird anschließend besonders gnadenlos ins Gericht gegangen. Oft ist dann damit die Forderung verbunden, in "Würde zu altern". Das ist ein Euphemismus für das Gebot, sich aus dem Rampenlicht zurückzuziehen, wenn der Körper nicht mehr elastisch genug die Showtreppe hinuntersteigt. So, wie das jetzt gerade viele Stimmen von Madonna verlangen.

Mick Jagger, 76, hat gerade eine neue Herzklappe bekommen. Niemand wird von ihm verlangen, noch mal richtig gut zu singen, sollte er die Tour wieder aufnehmen. Die Falten von George Clooney, 58, findet jeder toll. Männer kennen das Problem des Alterns gar nicht, mit dem sich Schauspielerinnen, Musikerinnen, Moderatorinnen, Models, auch Politikerinnen befassen - spätestens ab Mitte dreißig.

Sie tun das, weil alternde Frauen das Letzte sind in dieser Gesellschaft. Sie haben wirklich null Lobby. Wehe, sie drängeln sich nach vorne oder geben schnippische Antworten. Die Soziologie verwendet den Begriff "Doing Aging" dafür, dass Alter auch eine soziale Konstruktion ist: Frauen werden, anders als Männer, von der Gesellschaft alt gemacht, sie werden ab einem bestimmten Alter abgewertet, aus dem Raum der Handelnden verwiesen.

Folgerichtig gaben Redaktionen in Deutschland fast ausschließlich männlichen Autoren die Möglichkeit, Madonnas Auftritt beim ESC zu zerreißen. Madonna habe sich endlich "selbst entthront", schrieben die Männer im "Tagesspiegel", in der "Welt", in der "Zeit" und auch bei SPIEGEL ONLINE - und gaben vor, das "tragisch" oder "herzzerreißend" zu finden. Wie sie sich abmühte! Sie habe gar gewirkt, als sei sie schon 70 Jahre alt ("Welt") - "zickig" sei sie auch noch gewesen. Das sei die "Bankrotterklärung eines gefallenen Superstars", meinte der Mann von der "Süddeutschen". Sie habe die Töne ihres dreißig Jahre alten "Like a Prayer" nicht astrein getroffen.

Es geht hier natürlich um Macht. "Geh nun endlich und halt die Klappe", scheint dieser Männerchor zu fordern, "du hast uns mit deiner Arroganz und deinem Erfolg schon immer verunsichert. Ständig hast du Grenzen überschritten, ein Leben geführt wie ein Mann. Sei jetzt anständig und still und unterwirf dich, wie es sich gehört für eine alte Frau." Besser gelitten ist beispielsweise die gleichaltrige Kate Bush, die zwar auch immer noch Musik macht, aber in Interviews von der positiven Wirkung von Hausarbeit auf ihre Psyche erzählt.

Deshalb ist es absolut wichtig, dass Madonna selbst entscheidet, wann sie zu alt oder zu hässlich oder zu kurzatmig ist. Sie schuldet auch niemandem Rechenschaft darüber, wie sie sich kleidet und was sie mit ihrem Körper macht. Ob der Schaft ihrer Stiefel bis zu den Oberschenkeln reicht, ob sie sich dazu Zöpfe flicht wie Julija Tymoschenko, oder ob sie sich hier und da hat aufspritzen oder operieren lassen, wie es übrigens absolut üblich ist, wenn man mit seinem Körper Geld verdient.

Es ist auch ihr Recht, über körperliche Alterungsprozesse zu schweigen. Wie jeder alternde Mensch wird auch Madonna mal eine hartnäckige Erkältung nicht los werden, vielleicht schmerzen die Gelenke.

Noch ist ein Auftritt von ihr 1,5 Millionen Dollar wert, der Markt gibt das her. Eine Summe, die Neid hervorrufen muss angesichts so vieler besserer Künstler auf der Welt, mit tollen Stimmen und biegsamen Körpern. Doch bezahlt wird immer noch sie, die nie für eine tolle Stimme bekannt war. Noch schauen alle hin, wenn sie etwas macht. Die Häme, die über sie hereinbricht, da die Welt sieht, dass auch Madonna altert, rechtfertigt nur die Rüstung, die sie in Tel Aviv trug.

spiegel


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