„Kampf gegen den IS als Vorwand für eine Anti-Iran-Kriegskoalition“ – Expertenmeinung

  10 Juli 2019    Gelesen: 684
  „Kampf gegen den IS als Vorwand für eine Anti-Iran-Kriegskoalition“ – Expertenmeinung

Die Bundesregierung hat der US-Nachfrage nach deutschen Bodentruppen in Syrien eine Absage erteilt. Trotzdem warnt der deutsch-iranische Konfliktforscher Professor Mohssen Massarrat vor einer weiteren Beteiligung an der „Anti-IS-Koalition“. Könnte Deutschland dadurch in einen neuen Krieg hineingezogen werden?

Der emeritierte Professor für Politik und Wirtschaft mit den Forschungsschwerpunkten Naher und Mittlerer Osten, Mohssen Massarrat, wurde in Teheran geboren. Bis 2008 lehrte er an der Universität Osnabrück und ist Autor des Buches „Iran: Krieg oder Frieden?“. Er ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Friedensnetzwerks „Attac“. Im Sputnik-Interview zeigt er sich besorgt und warnt vor einem „Flächenbrand“ im Mittleren Osten.

Herr Prof. Dr. Massarrat, die USA wollten deutsche Bodentruppen in Syrien. Nun hat die Bundesregierung diese Forderung zurückgewiesen. Eine richtige Entscheidung?

Natürlich war die Entscheidung richtig. Aber man sollte vielleicht fragen, wozu die USA auf die Idee kamen, Deutschland in diese merkwürdige Lage hineinzubringen. Ich denke, dass die Vereinigten Staaten nun alles versuchen, Europa mit in die Vorbereitung eines möglichen Krieges auch gegen den Iran einzubeziehen. Ein solcher Hintergedanke macht das Handeln der USA etwas verständlicher, obwohl das ziemlich durchschaubar ist.

Wenn Deutschland gezwungen wäre, aus welchen Gründen auch immer, Truppen nach Syrien zu schicken, dann würden deutsche Truppen in Syrien – genauso wie die amerikanischen Truppen in Syrien – im Falle eines Krieges gegen den Iran, ein Angriffsziel für die schiitischen Selbstmordkommandos werden. Wenn dies Realität wird, dann würde die Bundesarmee auf diese Weise in eine Anti-Iran-Kriegskoalition gegen den Iran hineingezogen, auch ohne dass dies möglicherweise von der Bundesregierung so klar gewollt wäre.

Aber ich denke, dass mit der Zurückweisung dieses US-Schachzugs diese Sache erstmal vom Tisch ist. Allerdings besteht weiterhin die Möglichkeit, dass trotzdem die Bundeswehr durch ihre Anwesenheit in Jordanien und teilweise durch die Kooperation mit den USA, indirekt auch in Syrien, im Falle eines Krieges mit dem Iran mitinvolviert wäre – sofern der Auftrag des deutschen Parlaments für die Bundeswehr über Oktober hinaus verlängert werden würde. Deswegen wäre diese Überlegung ein Grund für das deutsche Parlament, die Verlängerung zu untersagen und die Kooperation mit den USA generell im Mittleren Osten zu beenden, solange die Kriegsdrohungen gegen den Iranvon den Vereinigten Staaten ausgesprochen werden.

Regierungssprecher Stefen Seibert hat angekündigt, die Bundesregierung wolle die bisherigen militärischen Beiträge zur Anti-IS-Koalition – also die Awacs-Aufklärung, ein Tankflugzeug und Ausbilder im Irak – fortführen. Also wird mit Hilfe der Deutschen in Syrien auch gebombt? Wünschen Sie sich da ein eindeutigeres Zeichen der Bundesregierung?

Ganz genau. Jetzt ist die Gelegenheit, nach dem die Vereinigten Staaten mit aller Macht und bei Verletzung aller internationaler Verträge so offensichtlich versuchen, die europäischen Staaten in einen Krieg mit hineinzuziehen, wäre es an der Zeit, hier ein klares Zeichen zu setzen und die Kooperation im Mittleren Osten zu beenden. Denn alle diese Staaten wären im Falle eines Krieges mit dem Iran, der Schauplatz eines Flächenbrandes in der Region. Da wären die europäischen Staaten – auch die Bundesregierung – gut beraten, wenn sie sich rechtzeitig von diesem Kriegsfeld zurückziehen. Das wäre auch eine kriegsverhindernde Maßnahme. Auf diese Weise wird der US-Regierung klar, dass die Europäer ihre Kooperation gegen den Islamischen Staat auf diese Weise beenden werden. Der Zeitpunkt dafür ist längst gekommen. Der IS ist im Wesentlichen besiegt. Dann würden die Vereinigten Staaten in Bredouille kommen und drei Mal überlegen, ob sie einen Krieg gegen den Iran anfangen. Dann werden sie die tatsächlichen Dimensionen eines solchen Krieges im Hinblick auf die Kooperation mit den eigenen Nato-Partnern bemerken.

Das heißt, Sie glauben nicht, dass Syrien noch auf die IS-Koalition noch angewiesen ist?

Nein, inzwischen sind die wirklichen Anti-IS-Kräfte – Russland, Iran, die syrische Truppen und die Kurden – selbst in der Lage, mit dem Rest des IS fertig zu werden. Für den Beginn einer echten regionalen Friedenskonferenz für Syrien wäre ohnehin sinnvoll, wenn die USA sich aus der Region insgesamt zurückziehen.

Das hat ja auch Trump angekündigt. Er wollte noch im Dezember 2000 Mann abziehen. Jetzt sollen 400 vorerst in Syrien bleiben. Der US-Syrienbeauftragte James Jeffrey hat beteuert, es geht hier ausschließlich um den Kampf gegen den IS. Das Ziel sei nicht, den Präsidenten Basar Al-Assad zu stürzen. Und Bolton hat auch vor kurzem betont, ein Regime-Change im Iran sei nicht das Ziel der US-Administration. Glauben Sie diesen Menschen?

Nein, ich glaube diesen Menschen kein Wort, weil die Verantwortlichen, die jetzt mit aller Macht einen Krieg gegen den Iran vorbereiten, nicht zögern, die Öffentlichkeit mit Fakenews und eindeutigen Lügen in die Irre zu führen. Das haben sie immer wieder gemacht. Und das tun sie mit Provokationen, die nicht eindeutig nachwiesen worden sind, im Persischen Golf. Also man muss damit rechnen, dass der Kampf gegen den IS als Vorwand genutzt wird, um die eigenen Truppen der USA in Syrien zu behalten und möglicherweise die Nato-Partner dort mithinein zu ziehen und Fakten zu schaffen, damit am Ende doch eine Anti-Iran-Kriegskoalition auf dem mittelöstlichen Schachbrett doch noch zustande kommt.

Die Lage um den Iran ist weiterhin kritisch. Die USA machen Druck. Denn der Iran hat die Grenze für die Anreicherung von Uran überschritten. Ist das noch tragbar, was der Iran hier macht? Können Sie die Schritte der iranischen Regierung hier nachvollziehen? Ich meine, sie liefern damit auch eine Vorlage für eine weitere Eskalation.

Ich halte das für keine kluge Reaktion der iranischen Regierung. Sie ist verständlich, aber sie lädt zu Eskalationen ein. Sie würde zu einer Verunsicherung der europäischen öffentlichen Meinung führen. Eine solche Haltung wird sofort von Israel und von den USA, von Saudi-Arabien instrumentalisiert, um Propaganda für den Krieg zu betreiben. Obgleich man dazu sagen muss, dass die Medien über die Begründung der iranischen Seite nicht vollständig berichten und wichtige Aspekte weglassen.

Welche wären das?

Präsident Rouhani hat beispielsweise vor drei Tagen ausdrücklich gesagt: Die Maßnahmen, die der Iran erwägt, sind nicht dazu da, um das Abkommen zu verlassen, sondern im Gegenteil, dieses Abkommen beizubehalten. Damit soll den Europäern klargemacht werden, sie sollen sich beeilen. Sie sollen dazu beitragen, dass das Abkommen gerettet wird. Denn die EU hat bisher mit „Instex“ ein taktisches Manöver betrieben. Denn „Instex“ funktioniert erstens überhaupt nicht. Bei diesem Finanzinstrument, das den Iran-Handel forcieren soll, sollen ausschließlich humanitäre Produkte im Vordergrund stehen – also, Produkte, die von US-Sanktionen gar nicht betroffen sein sollen. Insofern ist das, was die EU hier macht, ein taktisches Manöver und durchsichtig. Zweitens würde die EU, indem sie dem Iran eine Hilfe vortäuscht, anstatt ihm gemäß den in dem Abkommen festgelegten Verpflichtungen wirklich zu helfen, Iran in diese Zwickmühle bringen und damit zu dem Scheitern des Abkommens viel stärker beitragen als die iranische Seite durch die Erhöhung der Urananreicherung. Im Übrigen handelt Iran immer noch vertragskonform und ergreift Maßnahmen, die in den Paragrafen 26 und 36 des Abkommens für den Fall, dass andere Vertragsparteien ihrer Verpflichtung nicht nachkommen, definiert wurden. Insofern sind zurzeit nicht der Iran vertragsbrüchig, sondern die Vereinigten Staaten und dann auch die EU selbst.

Einige tausend Menschen haben am Samstag in Berlin gegen das politische System im Iran und für Menschenrechte demonstriert. Unter dem Motto „Solidarität mit den Bürgerprotesten im Iran – Gegen die Todesstrafe" hielten sie am Abend eine Kundgebung am Brandenburger Tor ab. Angemeldet wurde der Protestzug von der Exil-Iranischen Gesellschaft. Waren Sie auch dort?

Nein, ich war nicht dort. Ich wär auch nicht hingegangen. Soweit ich weiß, wusste niemand von der exiliranischen Community überhaupt, dass so eine Demonstration stattfindet. Alle haben das erst durch die Presse erfahren, dass so eine Demonstration überhaupt erst stattgefunden hat.

Und doch kamen tausende Menschen?

Ja, sicher. Erstens ist die Zahl zweifelhaft. Den Polizeiangaben zufolge waren es 4500 und nicht 15.000 - wie die Veranstalter behaupteten. Zweitens ist es sehr zweifelhaft, ob es sich tatsächlich um Iraner gehandelt hat und erst recht, ob es Iraner waren, die in Berlin leben. Es ist bekannt, dass dahinter eine iranische Organisation steckt. Die sogenannte iranische „Volksmudschahedin“, die inzwischen ganz klar mit Saudi-Arabien, mit Israel und mit der US-Regierung zusammenarbeitet. Ganz konkret hat John Bolton vor anderthalb Jahren eine Veranstaltung der Organisation besucht und dort zu einem gemeinsamen Kampf mit den Mudschahedin gegen die iranische Regierung aufgerufen und für einen Regime-Change plädiert. Er hat den „Volksmudschahedin“ versprochen, im nächsten Jahr in Teheran aufzutreten. Ich gehe davon aus, dass es sich hier nicht um eine echte Protestdemonstration handelt, wie man sie in demokratischen Gesellschaften kennt, sondern um eine inszenierte Protestdemonstration, die mit einem Millionen-Euro-Budget finanziert und durchgeführt wurde.

sputniknews


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