„Eine Schande“ – Ex-DDR-Chef Egon Krenz über Bundeswehr an russischer Grenze

  12 Juli 2019    Gelesen: 1099
„Eine Schande“ – Ex-DDR-Chef Egon Krenz über Bundeswehr an russischer Grenze

Der letzte DDR-Staats- und -Parteichef, Egon Krenz, hat ein neues Buch veröffentlicht. Darin geht es vor allem um die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der DDR im Herbst 1989. Bei der Buchvorstellung am Donnerstag in Berlin hat Krenz auch deutliche Worte über die heutige deutsche Politik gegenüber Russland gefunden.

„Eine Schande“ sei die Tatsache, dass deutsche Truppen und Panzer mit dem Balkenkreuz wieder an der russischen Grenze stehen. Das erklärte Egon Krenz, letzter DDR-Staats- und Parteichef, am Donnerstag in Berlin. Das war seine Antwort auf eine entsprechende Frage des russischen Journalisten Wladimir Sergijenko.

Krenz, der im Oktober 1989 den SED-Generalsekretär und DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker abgelöst hat, stellte am Donnerstag im Russischen Haus der Wissenschaft und Kultur in Berlin sein neues Buch vor. Das trägt den Titel „Wir und die Russen“ und beschäftigt sich vor allem mit den Beziehungen zwischen Berlin und Moskau im Herbst '89“.

Der letzte SED-Generalsekretär äußerte vor den mehr als 200 Zuhörenden im vollen Saal des Russischen Hauses auch deutliche Kritik an der aktuellen westlichen Politik gegenüber Russland. Er bezeichnete die Sanktionen gegen Moskau, an denen sich die Bundesrepublik beteiligt, als „unmoralisch“.

Unmoralische Sanktionen

Den Grund für diese Sicht beschrieb er so: „Man mag über die deutsche Einheit denken, wie man will. Aber ohne Russland wäre diese nie zustande gekommen. Die Franzosen und die Engländer wollten sie gar nicht. Russland hat den Deutschen die Einheit geschenkt, egal wie man dazu steht. Dass sie dafür als Dank Sanktionen bekommen, halte ich für sehr unmoralisch.“

Sergijenko, Journalist und Veranstalter der Reihe „West-Östlicher Divan 2.0“, fragte Krenz, was er dazu meine, dass deutsche Panzer heute wieder an der Grenze Russlands stehen würden, dass sie durchs Fernrohr Russland sehen können. „Für Russland ist das schlecht, aber für Deutschland …“, so Sergijenko, worauf Krenz unter Beifall ergänzte: „… ist das eine Schande!“
Zuvor hatte er Kanzlerin Angela Merkel kritisiert, weil diese wiederholt erklärte, Russland habe 2014 gegen die europäische Nachkriegsordnung verstoßen: „Ich frage mich: Wie kann eine kluge Frau, die die DDR-Schule besucht und auch in der DDR studiert hat, zu einer so falschen Einschätzung kommen? Hat sie wirklich vergessen, dass die Siegermächte in Jalta, auf der urrussischen Krim, nicht nur mit der Unterschrift Stalins, sondern auch mit der des amerikanischen Präsidenten Roosevelt und des britischen Premierministers Churchill die Welt in eine östliche und eine westliche Einfluss-Zone aufgeteilt hatten?“

Mauer nach Osten verschoben

Die Nachkriegsgrenzen in Deutschland hätten existiert, als Merkel noch DDR-Bürgerin war, las Krenz aus der Einleitung zu seinem Buch vor. Die Grenze zwischen NATO und Warschauer Vertrag, die ganz Europa durchtrennt habe, sei zugleich die erste Verteidigungslinie der Sowjetarmee, „an der sich auch ihre Atomwaffen befanden. Wie eben auch Nuklearwaffen der NATO in der Bundesrepublik lagen und im Fliegerhorst Büchel noch immer liegen.“

Doch heute stünde die Nato an den Grenzen Russlands, „die Bundeswehr gar als Speerspitze! Gerade das sollte aus Sicht der Russen nie wieder passieren. Nie wieder sollten ausländische Truppen so nahe der heimatlichen Grenze stehen wie an jenem 22. Juni 1941, als Nazideutschland die Sowjetunion überfiel. Das war ein gegenseitiges Versprechen von Generationen sowjetischer Bürger.“ Er habe das während seines Studiums in Moskau erlebt und wisse daher, wie wichtig gesicherte Grenzen für Russland seien.

„Deutschland sollte mindestens in diesem Punkt etwas mehr Fingerspitzengefühl und auch Demut zeigen. Worte wie ‚Bestrafungen‘ und ‚Sanktionen‘ aus dem Munde deutscher Politiker an Russlands Adresse sind nicht nur geschichtsvergessen, sie sind eine Anmaßung gegenüber einem Volk, das für Deutschlands Freiheit vom Faschismus sein Herzblut gegeben hat.“

Er zitierte aus dem Schluss seines Buches, dass er sich im Frühjahr 1990 gefragt habe, ob nach der Maueröffnung am 9. November 1990 nun neue Mauern errichtet würden. „Wenn ich mir diese Fragen fast dreißig Jahren später beantworte, komme ich auch beim besten Willen zu keiner anderen Erkenntnis als jener: Die Mauer in Berlin ist weg. Sie wurde nach Osten verschoben – sie steht nicht mehr zwischen NATO und Warschauer Vertrag, sondern zwischen der NATO und Russland. Sie ist folglich dort, wo sie im Prinzip an jenem 22. Juni 1941 verlief, als die Sowjetunion überfallen wurde und für sie der Große Vaterländische Krieg begann.“

Das muss aus seiner Sicht nachdenklich stimmen, so Krenz. Das sei nicht das gewesen, was 1989 auf den Straßen der DDR gefordert wurde. „Dreißig Jahre nach der Öffnung der Grenzübergänge in Berlin sollte es heißen: Ohne Russland kann es keine europäische Friedensordnung geben. Aus der deutschen Politik muss die Russophobie verbannt werden.“ Deutsche Politiker sollten gegenüber Russland einen anderen Ton anschlagen, der Freundschaft und Zusammenarbeit fördere. Für ihn würde eine solche Politik „den Lehren der Geschichte und den historischen Erfahrungen der Beziehungen zwischen Russen und Deutschen gerecht werden“.

sputniknews


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