So schaden Hitzesommer Grönlands Eisschild

  24 September 2019    Gelesen: 891
  So schaden Hitzesommer Grönlands Eisschild

Weil Grönlands Eis schwindet, steigt der Meeresspiegel. Wiederkehrende heiße Sommer lassen im Inneren des Eisschilds Prozesse ablaufen, die bisher wenig Beachtung finden. Sollten sie aber.

Zur Abwechslung erst einmal keine Fußballfelder. Stellen Sie sich stattdessen bitte einmal einen großen Würfel vor. Also einen wirklich, wirklich großen. Einen Würfel, dessen Kanten jeweils einen ganzen Kilometer lang sind. Würde man solch einen Würfel mit Wasser füllen, dann passte der Inhalt von etwa 400.000 Olympischen Schwimmbecken hinein. Diese gigantischen Dimensionen können helfen, wenn man die Antwort auf eine simple Frage verstehen will: Wie geht es dem Eis von Grönland?

Ein Riesenwürfel voll Wasser entspricht einer Gigatonne, also einer Milliarde Tonnen. Stellen Sie sich nun bitte noch vor, jemand habe viele solcher gigantischen Würfel in einer langen Reihe hintereinandergestellt, fast 400 von ihnen.

Laut Schätzungen dänischer Forscher hat Grönland in diesem Sommer nicht weniger als 392 Gigatonnen an Eis verloren: durch Schmelze an der Oberfläche und Abfluss des Wassers, durch Kalben der Gletscher und dadurch dass wärmeres Ozeanwasser die riesigen Eiszungen sogar von unten anknabbert.

392 Gigatonnen - dieser Wert liegt zwar einerseits unter dem Negativrekord des Horror-Jahres 2012, als das Minus bei Grönlands Eis sogar 458 Gigatonnen betrug. Andererseits beträgt das langjährige Mittel der Jahre 2002 bis 2016 nur 260 Gigatonnen.

In dieser Woche wird der Weltklimarat der Vereinten Nationen seinen Sonderbericht "Ozeane und Kryosphäre im Klimawandel" vorstellen. Man verrät aber gewiss kein Geheimnis, wenn man vorab einmal grundsätzlich feststellt: Das geschmolzene Eis Grönlands verschwindet nicht einfach. Es trägt vielmehr zum Anstieg des weltweiten Meeresspiegels bei. Das ist ein Unterschied zum arktischen Meereis. Das schwimmt auf dem Ozean und lässt bei seinem Verschwinden zumindest die Pegelstände nicht weiter klettern, Grönlands Schmelze dagegen schon.

Eine Faustregel lautet, dass rund 320 Gigatonnen verschwundenes Eis für einen Millimeter zusätzlichen Meeresspiegelanstieg sorgen. Je nachdem, welche Szenarien man zugrunde legt, dürfte das Abschmelzen des grönländischen Eises bis zum Ende des Jahrhunderts für ein Plus von 5 bis 33 Zentimetern sorgen, haben Wissenschaftler kürzlich vorgerechnet.

Eine neue Forschungsarbeit zeigt nun, dass zu den bisher prognostizierten Mengen an Schmelzwasser noch weitere dazu kommen dürften. Das hat mit einer Veränderung zu tun, die sich gerade in Teilen des Untergrunds von Grönland vollzieht: Die oberste Schicht des Eisschildes hat bisher im Sommer entstehendes Schmelzwasser aufgenommen wie ein riesiger Schwamm. Und diese Fähigkeit geht ihm gerade an vielen Stellen verloren - was für zusätzlichen Abfluss in die Ozeane sorgt.

"Wir haben Masseverlust in Bereichen, in denen es das bisher nicht gab", warnt Glaziologe Achim Heilig von der Universität München im Gespräch mit dem SPIEGEL. Er ist Co-Autor eines gerade Artikels im Fachmagazin "Nature" erschienenen Artikels. Darin beschreibt er zusammen mit anderen Forschenden, dass sich in Grönlands Untergrund eine Eisschicht immer weiter ausbreitet, die wie eine Art Deckel das Versickern von Schmelzwasser in den Untergrund verhindert.

Ein Eisdeckel im Untergrund von Grönland - das klingt zunächst wenig verblüffend. Wer verstehen will, warum die Beobachtungen des Teams wohl trotzdem ein Problem sind, muss sich sozusagen in die Tiefe des Eisschilds vorarbeiten: Ganz oben liegt der zuletzt gefallene Schnee, vielleicht ein Meter dick, vielleicht auch ein bisschen mehr. Dieser Schnee wiegt in etwa 350 Kilogramm pro Kubikmeter, enthält also noch viel Luft.

Darunter folgt der sogenannte Firn. Das ist Schnee, der einen Sommer oder mehr überdauert hat. Er reicht Dutzende Meter tief. In 20 Metern Tiefe hat er ein Gewicht von 500 Kilogramm pro Kubikmeter - das heißt, er besteht noch immer zu Hälfte aus Luft. Erst in ungefähr 100 Metern Tiefe beginnt dann das "richtige" Eis, in dem es nur noch kleine Luftblasen gibt.

Die Poren im Firn haben normalerweise eine praktische Eigenschaft: Wenn an einem Sommertag der Schnee an der Oberfläche schmilzt, läuft das Wasser nach unten ab und wird dort aufgefangen. Es kühlt sich ab, gefriert - und fließt nicht weg. Mithilfe von Radardaten und Bohrkernen konnten Heilig und die anderen Wissenschaftler nun aber zeigen, dass dieser Prozess an immer mehr Stellen Grönlands gestört ist. Stattdessen bildet sich direkt unter dem Schnee eine teils meterdicke Eisschicht. Das Schmelzwasser kann dann nicht mehr gehalten werden und macht sich auf den Weg Richtung Ozean.

Der Grund für die Ausbreitung der undurchlässigen Eisschicht im Untergrund sind die zu großen Mengen an anfallendem Schmelzwasser. Im Rekordsommer 2012 waren an einem Julitag unglaubliche 97 Prozent der Oberfläche Grönlands angeschmolzen. 2019 lag der Höchstwert am 1. August bei immerhin noch 58 Prozent. Und dennoch war der Sommer außergewöhnlich: So gab es gleich mehrere Tage hintereinander Plusgrade an der Forschungsstation "Summit" am höchsten Punkt des Eisschilds. Das ist, Eiskerne belegen das, in den vergangenen 2000 Jahren keine zehn Mal passiert.

Mehr als sieben Zentimeter zusätzlicher Meeresspiegelanstieg möglich

In den vergangenen Jahren hatte Grönland gleich mit mehreren warmen Sommern zu kämpfen. Deren Folgen lassen sich im Untergrund auch noch Jahre später nachweisen. "Das Problem ist die Häufigkeit der Rekordschmelzen", sagt Heilig.

Dass der Eisdeckel-Effekt existiert, hatte ein Team um den Schweizer Glaziologen Horst Machguth bereits 2016 zeigen können. Der Forscher von der Universität Fribourg in der Schweiz gehört auch zum aktuellen Autorenteam. "Der neue Artikel zeigt, dass das Phänomen in großen Bereichen Grönlands auftritt", erklärt er. Neu ist außerdem, dass die Gruppe nun erstmals den möglichen Beitrag zum weiteren Anstieg des Meeresspiegels berechnet hat: Je nachdem, welches Szenario dabei für die weltweiten CO2-Emissionen in diesem Jahrhundert angenommen wird, liegt das Plus bei 0,7 bis 7,4 Zentimetern bis zum Jahr 2100. "Das ist zusätzlich zu dem, was ohnehin schon kommt", sagt Heilig.

Nach den Berechnungen der Forscher ist der Bereich Grönlands, in dem Schmelzwasser nicht mehr im Untergrund versickern kann, zwischen 2001 und 2013 um rund 65.000 Quadratkilometer gewachsen - einfach nur dadurch, dass der Eisdeckel im Untergrund größer und größer geworden ist. Sich vor Augen führen kann man das zum Beispiel mit Hilfe von Fußballfeldern - jetzt also doch. Um zwei von ihnen wird die undurchlässige Fläche im Untergrund statistisch gesehen größer. Und zwar pro Minute.

spiegel


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