Polen: „Deutschland wirkt schizophren“ – EU-Partner geißeln Sicherheitspolitik der Bundesregierung

  08 November 2019    Gelesen: 1220
    Polen:   „Deutschland wirkt schizophren“ – EU-Partner geißeln Sicherheitspolitik der Bundesregierung

Wie viel Verantwortung sowie Führung kann und sollte die Bundesrepublik in Europa übernehmen? Drei amtierende Botschafter machen ihre Erwartungen an die sicherheitspolitische Rolle Deutschlands deutlich. Der polnische Diplomat erklärte, warum Warschau ein „Problem“ mit Berlin habe, und warnt vor russischen Raketen, die auf Warschau gerichtet seien.

Unter dem Titel „Wie viel Führung verlangt Verantwortung?“ diskutierten prominente Teilnehmer am Mittwoch in Berlin beim vierten Sicherheitsdialog der „Gesellschaft für Sicherheitspolitik“ (GSP) über die sicherheitspolitische Rolle Deutschlands. In einer Gesprächsrunde wurden die Botschafter von Frankreich, Polen und den Niederlanden nach ihren Erwartungen an die Bundesrepublik in der Sicherheitspolitik gefragt.

„Wir haben ein Problem mit Deutschland“, gab der polnische Botschafter Prof. Andrzej Przyłębski zu. Die Bundesrepublik wirke in Bezug auf Russland aus polnischer Sicht etwas schizophren, beklagte Przyłębski in der Diplomatenrunde.

„Einerseits ist Deutschland für die Sanktionen wegen der Ukraine-Krise, andererseits ist Deutschland für ‚Nord Stream 2‘ und pumpt eine Menge Geld an Russland, finanziert neue Waffen und neue Technologie. Das ist irgendwie unstimmig. Da haben wir Angst in Polen“: Im angrenzenden Kaliningrad seien tausende Panzer und Raketen stationiert, die auf Warschau gerichtet seien.

Deswegen herrsche in Polen die Meinung, dass die Europäer sich ohne die USA nicht verteidigen können, warnt der Botschafter: „Wir müssen aufpassen, dass der Bund mit den Amerikanern nicht gebrochen wird. Wir merken, dass in Deutschland etwas Gefährliches geschieht. Wir versuchen das zu retten, indem wir die Handlungen von Trump nicht so genau unter die Lupe nehmen.“

„Wachsender Antiamerikanismus“

Ängste vor Deutschland seien in Polen nicht mehr präsent, erklärte Przyłębski.  Die „sechzig Jahre“ hätten  Europa ein anderes Deutschland gezeigt.  Dagegen warf er Russland Aggressivität vor. „Deswegen war für uns der Beitritt zur Nato wichtiger als der Beitritt zur EU damals“, bemerkte der Diplomat.

Er zeigte sich skeptisch, ob die Bundesrepublik in der EU die Führung übernehmen sollte. Führung sei ein schwieriges Wort, so Przyłębski. „Ob man sich in Polen die EU unter deutscher Führung vorstellt, hängt damit zusammen, ob man die Entwicklung der EU und der Gesellschaft in Deutschland positiv beurteilt.“ Doch das sei ziemlich kompliziert. Das komplizierte Verhältnis hänge mit dem „wachsenden Antiamerikanismus in Deutschland“ zusammen, bemängelt der Botschafter. „Polen sieht nicht, dass wir mit den Amerikanern nicht mehr rechnen dürfen. Wir rechnen mit den Amerikanern. Deutsche Führung? Ja, aber in einer Symbiose mit Polen, Frankreich, Niederlanden usw. Nicht als die größte Macht in Europa.“

Bundeswehr als Parlamentsarmee - Ein Problem?

Przyłębski zeigte sich zudem kritisch gegenüber dem Parlamentsvorbehalt bei Bundeswehreinsätzen:

„Die Zeit für Entscheidungen ist so lang. Zum Beispiel, wenn die Russen uns angreifen werden, werden sie in drei Tagen in Warschau sein und die deutschen Abgeordneten werden mit Zügen und Wagen nach Berlin fahren, um eine Entscheidung für die Hilfe für Polen zu treffen.“

Der Diplomat und Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Ekkehardt Brose, korrigierte die Ausführungen von Przyłębski. Er verwies darauf, dass im Bündnisfall, wie es bei einem direkten Angriff der russischen Streitkräfte auf einen Nato-Partner der Fall wäre, kein Parlamentsbeschluss notwendig sei. Außerdem bemerkte Brose, dass in Deutschland viele das Verhältnis zu Russland anders charakterisieren würden, als der polnische Diplomat.

Zufrieden und stolz über die binationale Zusammenarbeit mit Deutschland zeigte sich der niederländische Botschafter Webke Kingma. Das parlamentarische System in Deutschland sei keine Behinderung für die Zusammenarbeit. „Wir möchten, dass alles was wir tun im Bereich dieser Zusammenarbeit, parlamentarisch geprüft wird“, unterstich Kingma. Auch die Niederlande seien der Meinung, dass Europa in den nächsten Jahren die Vereinigten Staaten brauche, um die Sicherheit zu gewährleisen. „Wir leben in einem Post-INF-Zeitalter. Die Rüstungskontrolle ist nicht mehr lange gesichert. Das ändert das Spiel“, sagte der Botschafter. Auch Cyberangriffe seien eine große Herausforderung. Da arbeiten die Niederlande sehr eng mit Deutschland zusammen.

„Ein Land bildet aus, das andere geht an die Front“?

Frankreichs Botschafterin Anne-Marie Descôtes bemängelte die Rollenverteilung bei gemeinsamen Einsätzen. Es könne nicht sein, dass ein Land ausbilde und das andere an die Front gehe. „Das geht nicht“, empörte sich Descôtes. Jeder Mitgliedstaat der EU und der Nato müsse überzeugt sein, „dass wir in bestimmten Situationen reagieren müssen und das machen wir gemeinsam“, betonte die französische Botschafterin. Als Beispiel nannte sie den gemeinsamen Luftschlag von USA, Frankreich und Großbritannien gegen angebliche Anlagen des mutmaßlichen syrischen Chemiewaffenprogramms im April 2018. „Da haben wir nicht gefragt, wer übernimmt welche Rolle. Wir waren überzeugt, wir müssen jetzt agieren und das haben wir getan.“ Deutschland müsse Analysen machen und davon überzeugt sein, „dass aus moralischen und Sicherheitsgründen eine Antwort formuliert werden muss“. Aus diesem Grund brauche man „Kapazitäten“, erklärte Descôtes.  „Es ist keine theoretische Debatte über zwei Prozent oder 1,34 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).“ Dies sei zwar den  Steuerzahlern schwer zu vermitteln, „aber wenn man erklärt, aus welchen Gründen, was die Sicherheit verlangt, dann kann man auch verstehen, welche Kapazitäten man braucht …“

Mitglieder des „Bundesverbands Sicherheitspolitik an Hochschulen“ präsentierten  im Anschluss an die Diskussion Zahlen des „Official Development Assitance“. So gebe Deutschland 0,7 Prozent seines BIP für Entwicklungshilfe aus. Damit stehe es an fünfter Stelle, weit vor den USA (Platz 22) und Frankreich (Platz 12). Einer Umfrage des „Zentrums für Militärgeschichte der Bundeswehr“ (ZMSBw) von 2018 zeige zudem, dass 85 Prozent der Befragten in Deutschland den Einsatz von diplomatischen Mitteln gegenüber den militärischen präferierten.

sputniknews


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