„Ich habe niemandem ein Leid angetan“

  19 November 2019    Gelesen: 715
„Ich habe niemandem ein Leid angetan“

Es sind Sätze, die erschüttern: Der heute 93-jährige ehemalige SS-Wachmann will von den Gräulentaten im KZ-Sutthof nichts gewusst haben. In Hamburg ist er wegen Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen angeklagt.

Der 93-jährige Angeklagte im Hamburger Stutthof-Prozess ist sich keiner Schuld bewusst. „Warum sollte ich daran Schuld haben? Das frage ich mich immer wieder. Was hätte ich tun sollen?“, sagte der ehemalige SS-Wachmann am Freitag vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht. Als Einzelner hätte man den Menschen in den Konzentrationslagern nicht helfen können.

„Die Menschen haben mir leid getan. Aber ich konnte ihnen nicht helfen.“ Auf die Frage der Richterin, wer denn Schuld gehabt habe, antwortete der 93-Jährige: „Das Regime, das damals herrschte. Hitler, Goebbels.“ Auch der Kommandant des Lagers, Paul Werner Hoppe.

Die Anklage wirft dem 93-Jährigen, der damals zwischen 17 und 18 Jahre alt war, Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen vor. Als SS-Wachmann soll er zwischen dem 9. August 1944 und dem 26. April 1945 „die heimtückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge unterstützt“ haben. Zu seinen Aufgaben habe es gehört, die Flucht, Revolte und Befreiung von Häftlingen zu verhindern.

Auf die Frage von Richterin Anne Meier-Göring, ob man Widerstand hätte leisten können, antwortete der Angeklagte: „Ich konnte mich nicht dagegen wehren. Ich konnte da nicht aussteigen.“ Auch zur Front hätte er sich nicht melden können, weil er nicht frontdienstfähig war.

Die Richterin wollte auch wissen, ob man den Menschen hätte helfen können – zum Beispiel, indem man den Wachturm runtergeklettert wäre. „Ich konnte da nichts tun“, sagte der Angeklagte. „Den Posten durfte man nicht verlassen.“ Zuvor hatte er ausgesagt, dass er lieber in der Bäckerei des KZs gearbeitet hätte.

Zu Beginn der Verhandlung hatte der 93-jährige Angeklagte die Begegnung mit einem KZ-Überlebenden als Erleichterung bezeichnet. „Ich bin erleichtert, dass ich mich bei einem entschuldigen konnte“, sagte der ehemalige SS-Wachmann. Am Dienstag war es in dem Prozess zu einer emotionalen Geste gekommen: Ein Zeuge aus den USA war auf den 93 Jahre alte Angeklagten zugegangen, hatte ihn umarmt und gesagt, er werde ihm vergeben.

„Es wird mir ewig leid tun, was Herrn Loth geschehen ist“, sagte der ehemalige Wachmann. Er könne verstehen, dass ihn das sein Leben lang verfolgt habe – so wie das auch sein Leben verfolgt habe. Trotzdem sehe er die Schuld für das Geschehene nicht bei sich. „Ich habe niemanden ein Leid angetan“, sagte der 93-Jährige. Er sei nicht freiwillig in dem Lager gewesen. „Ich bekam den Befehl.“ Und er habe niemanden erschossen.

Quelle : welt.de


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