„Verfall“ der Bundeswehr als „wahres Nato-Problem“? Militärexperte Braun kontert US-Militärmagazin

  10 Dezember 2019    Gelesen: 792
 „Verfall“ der Bundeswehr als „wahres Nato-Problem“? Militärexperte Braun kontert US-Militärmagazin

Das reale Problem der Nato soll laut dem US-Magazin „The National Interest“ am sterbenden deutschen Militär liegen, wessen „Berlin sich selbst beschuldigen muss“. Der Militärexperte Reiner Braun weiß sich und die Deutschen von der „Lachnummer“ nicht einlullen zu lassen.

In dem US-Text werden vor allem die Kürzungen des deutschen Verteidigungsetats nach dem Kalten Krieg sowie die angeblich fehlende Einsatzbereitschaft der Militärtechnik der Bundeswehr angeprangert, darunter die des Eurofighter Typhoon, des Panavia Tornado und des Kampfpanzers Leopard 2. „Flugzeuge und Hubschrauber wurden stillgelegt, Fahrzeuge außer Betrieb gesetzt, weil beispielsweise Ersatzteile fehlten. Die Gefechtsbereitschaft fiel unter 50 Prozent“, schreibt das Magazin enttäuscht. 1979 eingeführt, würden heute nur wenige von den Leopard 2 für Einsätze bereit stehen – „leider“. Die Präzision des Sturmgewehrs G36 sei verloren gegangen, und die Versorgungslage des Panzergrenadierbataillons 371 als Teil der schnellen Eingreiftruppe der Nato sei schlimm.

Gegenwärtig gebe Deutschland nur 1,2 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Rüstung aus – „weit unter den zwei Prozent, die von der Nato empfohlen werden“. Damit verschweigt das Portal - ob bewusst oder aus versehentlich – dass die Verteidigungsausgaben Deutschlands sich 2019 nach Angaben des Nordatlantik-Bündnisses bereits auf rund 47 Milliarden Euro belaufen, was etwa 1,35 Prozent des nationalen BIP entspricht. Für 2020 waren sogar 50,25 Milliarden Euro angekündigt worden. Wenn einer hoch prioritären Nato-Einheit mehr als 14.000 Ausrüstungsgegenstände fehlen würden, dann dürfe man fragen, so „The National Interest“ trotzdem, wie weit der „Verfall“ der Bundeswehr schon fortgeschritten sei – und wie es um Deutschlands Beitrag zur Nato stehe.

„Teil eines widerlichen kapitalistischen Profitsystems“

Für den Militärexperten Reiner Braun von der „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ will der Autor des Artikels nichts Weiteres, als die verstärkte Aufrüstung der Bundeswehr legitimieren. „Warum verkaufen die Deutschen ihre Waffen überhaupt in der Welt, wenn diese so schlecht sind?“, will er lieber fragen. Ende September waren bereits Rüstungsexporte auf Rekordhöhe gemeldet worden, mit 75 Prozent Wachstum im Vergleich zum Vorjahreszeitraum und damit einem Volumen von 6,35 Milliarden Euro, meldete das Wirtschaftsministerium auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Omid Nouripour. Es sind laut Brauns Kollegen Jürgen Grässlin auch rund 4000 „nicht präzise“ Sturmgewehre des Typs G36 gewesen, die unter Rechtsbruch nach Mexiko geliefert und dann durch die Strafanzeige von Grässlin zurückgefordert worden waren. „Wir haben also einen wahnsinnigen Anstieg des Rüstungsexports in über 60 Länder“, konstatiert Braun gegenüber Sputnik, -

„Für die deutsche Rüstungsindustrie ist die Lieferung sowohl von guten als auch von ‘schlechten’ Waffen ein gigantisches Geschäft. Das ist Teil eines widerlichen kapitalistischen Profitsystems“.

Der Experte verweist weiter darauf, dass die „nicht einsatzbereite“ Militärtechnik bereits an 13 Interventionen beteiligt gewesen sei. „So schlecht sind die Waffen auch nicht und funktionieren ja in allen Ländern super“, so Braun. „Sie reichen eben aus, um 2020 an der riesigen Abschreckungsübung ‚Defender 2020‘ teilzunehmen“. Zweitens sei es ganz gängig, wenn bei der Militärausrüstung etwa ein Drittel aller Waffen in einer Erholungs- oder Wiederfindungsphase sei. „Es ist ganz normal, dass die Flugzeuge überholt werden müssen. Denn es ist überall auf der Welt so. Maximal ein Drittel der amerikanischen S34 sind tagtäglich einsatzfähig. Nicht einmal 20.000 von den 50.000 Atomwaffen, die es auf der Welt gibt, sind tagtäglich einsatzfähig“, sagt Braun.

Das „wahre Problem der Nato“ ist...

Auch der deutsche Verteidigungsetat sei nie wirklich niedrig gewesen, so Braun. „Selbst nach dem Zweiten Weltkrieg haben wir etwa 30 Milliarden ausgegeben, eine große Summe, wenn man weiß, dass die Zahl der Bundeswehrsoldaten zurückgegangen ist.“ Im Vergleich zum BIP waren es von 1990 bis 1992 sogar zwischen 2,7 und zwei Prozent. „In den letzten Jahren steigt es nur und wird bei der Bewaffnung der Bundeswehr nie genug sein. Und dann werden all diese Propaganda-Instrumente eingesetzt, als hätten die armen Soldaten keine Unterhosen und Strümpfe. Es geht dabei nie wirklich um die armen Soldaten“, sagt Braun.

Sollte das wahre Problem der Nato angesprochen werden, dann ist es laut dem Experten das Interesseproblem. „Wir sind mitten in einer neuen Aufteilung der Welt zwischen den schwächer und stärker werdenden Kräften. Die USA werden schwächer und fordern nun, dass alle Länder ihre ‘Dienstleistungen’ selbst bezahlen.“ Europa werde nicht stärker, möchte sich aber weniger den USA unterordnen und treibe eine europäische Militarisierung voran, zumindest Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Auch die Türkei gehe nun mit der Syrien-Offensive gegen die Interessen der Nato vor. Interne Konflikte würden zunehmen im Zusammenhang mit den geopolitischen Problemen dieser Welt, wobei das Signal der Feindschaft gegenüber Russland und die zunehmende Konkurrenz durch China doch eine Gemeinsamkeit bleibe. „Auch in Deutschland gibt es die Atlantiker, dann die Gaullisten, die aus Europa zusammen mit Frankreich eine militärische Macht schmieden wollen, und es gibt noch die AfD, die die Bundeswehr durch die Welt lieber alleine marschieren lassen will.“

Braun findet es trotzdem gut, dass es anscheinend doch einen Nachdenkensprozess gegenüber Russland gebe. „Jede realistische Stimme, die sagt, Frieden in Europa ist undenkbar ohne vernünftige Beziehung zu Russland, ist hilfreich, weil jeder zugespitzte Konflikt mit Russland immer die Gefahr eines Großen Weltkriegs birgt.“ Daher ist Braun „für“ jegliche realistische Äußerungen ob von Macron, dem Außenminister Heiko Maas oder sogar vom polnischen Präsidenten Duda. „Es ist immer noch keine Friedenspolitik, aber ein Schritt in die richtige Richtung. Ansonsten bin ich bei der Nato skeptisch, weil es diesen Streit immer gegeben hat, wie  zwischen der Türkei und Griechenland in den 70ern. Trotzdem ist die Nato leider immer noch stark genug, um ihre Gegner konfrontativ in die Ecke zu stellen“, sagt der Experte abschließend. Die Streite würden die aggressive Politik der Nato nicht behindern.

sputniknews


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