Mehr Barça als Barça selbst

  14 Januar 2020    Gelesen: 671
  Mehr Barça als Barça selbst

Barcelonas neuer Trainer Quique Setién verehrt die Vereinslegende Johan Cruyff. Ergebnisse findet er nicht so wichtig. Reicht das, um die kritischen Fans des Klubs zurückzugewinnen?

Als Quique Setién letztmals beim FC Barcelona gastierte, siegte seine damalige Mannschaft Real Betis mit 4:3. Es war November 2018, und Spötter bezeichneten die Partie fortan als das Beste, was sie in der Ära des Barcelona-Trainers Ernesto Valverde je zu sehen bekamen. Nicht wegen Barcelona. Sondern wegen Betis.

Von Barcelonas Mittelfeldlenker Sergio Busquets erhielt Setién an jenem Tag das Trikot mit persönlicher Widmung: „In Zuneigung und Bewunderung: für Deine Art, den Fußball zu verstehen.“ Auch nach dem Barcelona-Heiligen Johan Cruyff wurde er gefragt. Ob der aus dem Himmel wohl zufrieden dieses Spiel geschaut habe? Setién lächelte selig.

Wenn der 61-jährige Nordspanier heute erstmals das Training des FC Barcelona leitet, kommt nach der Entlassung von Valverde am späten Montagabend nicht einfach ein neuer Übungsleiter. Es kommt ein Mann, der zwar noch nie bei Barcelona gearbeitet hat, aber mehr Barça ist, als es Barça zuletzt war. Einer, der an seiner früheren Station in Las Palmas als erste Amtshandlung ein Cruyff-Porträt in der Kabine aufhing. Einer, der den Fußball, wie ihn Cruyff lehrte und Pep Guardiola perfektionierte, stets mit derselben unverrückbaren Überzeugung hochgehalten hat, durch Wind und Wetter, Erfolg und Misserfolg. Wenn auch nur in Lugo, Las Palmas oder zuletzt in Sevilla bei Betis.

„Alles, was ich als Trainer bin, schulde ich den vielen Kilometern, die ich gegen Barça dem Ball hinterher gerannt bin“, so einmal Setién, der unter anderem für Atlético kickte, aber „den kleinen Finger gegeben hätte, um in jenem Barça (von Cruyff, d. Red.) zu spielen.“ 2018 erhielt er immerhin eine Auszeichnung der Cruyff-Stiftung: Als „Trainer, der am besten die Werte (des 2016 Verstorbenen) repräsentiert“.

Und weil er das tut, ist er nicht nur ein tiefer Bewunderer von Lionel Messi („Ich habe keinen anderen gesehen, der ihm auch nur nahe kommt“). Sondern eben auch von Busquets, den er damals selbst um das Trikot bat. Busquets, der dieselbe Position spielt wie früher Guardiola unter Cruyff, die vor der Abwehr, auf der im klassischen Barça-Fußball der Kopf zählt und nicht die Muskeln. Unter Setién dürfte Busquets kaum in wichtigen Spielen ausgewechselt werden, wie zuletzt immer öfter unter Valverde.

Wo die reine Barça-Lehre inzwischen von vielen Experten für überholt erklärt wird, wartet also ein spannendes Abenteuer. Nach dem Pragmatiker Valverde entschied sich der Klub nach Tagen der Ungewissheit und einer Absage von Ex-Spielmacher Xavi nicht für einen internationalen Star wie Mauricio Pochettino oder Massimiliano Allegri. Sondern für einen Gentleman aus Santander, der noch nie Champions League gecoacht hat – aber der radikalste Stilverfechter ist, der auf dem Markt zu haben war.

Rückversicherung der eigenen Identität

Die unwürdigen Umstände von Barcelonas erstem Trainerwechsel während der Saison seit 2003 werden durch diese romantische Wahl nicht geheilt. Aber Präsident Josep Maria Bartomeu schließt zumindest eine offene Flanke. Setién bedeutet eine Rückversicherung der eigenen Identität. Eine Konzession an die Puristen, die den Kurs des Vereins seit Jahren kritisieren, sowohl in der extremen Kommerzialisierung als auch in der fußballstilistischen Beliebigkeit. Auch mit Setién kann das alternde und um seinen verletzten Mittelstürmer Luis Suárez beraubte Team in den verbleibenden Saisonmonaten untergehen. Aber es würde es dann zumindest mit fliegenden Fahnen tun.

Passen, passen, passen und immer nur das gegnerische Tor im Sinn: Wegen seiner unübersehbaren Vorlieben stand Setién schon vor jenem denkwürdigen 3:4 – dem bis dato letzten Sieg einer Gastmannschaft im Camp Nou – weit oben auf der vereinsinternen Liste möglicher Valverde-Nachfolger. Las Palmas übernahm er als Aufsteiger auf einem Abstiegsplatz und etablierte es zwei Jahre in Folge im Liga-Mittelfeld, ehe er sich mit der Klubführung zerstritt.

Betis führte er mit einem 3-4-2-1-System ins internationale Geschäft und zu historischen Auswärtssiegen im Camp Nou, dem Mailänder San Siro, dem Madrider Santiago Bernabéu (zweimal) und im Stadtderby beim FC Sevilla (5:3), ehe er sich mit Teilen der Anhängerschaft zerstritt. Setién kann dickköpfig sein: Er hatte bisher nie auch nur ein Prozent seiner Überzeugungen für Resultate geopfert. Die hält er für überbewertet. Lieber spricht er da von Cruyff, wo Valverde bei Fragen nach Cruyff immer nur vom Ergebnis sprach.

Wie sich Setién mit dem Umfeld im – natürlich auch ergebnismäßig – anspruchsvollen Weltklub arrangiert, ist die große Unbekannte der neuen Gleichung im Camp Nou. Strategisch muss der exzellente Schachspieler, der schon gegen die legendären Garri Kasparow und Anatoli Karpow antrat, keine Auseinandersetzung fürchten. Das zeigte er schon bei der Aushandlung seines neuen Vertrags. Der läuft bis 2022; Setién ist Trainer mit vollen Würden und nicht bloß Lückenbüßer, bis andere Kandidaten wie Xavi frei werden. Obwohl er womöglich sogar das gemacht hätte. Für Enrique Setién Solar schließt sich der Kreis. Er ist an seinem Sehnsuchtsort angekommen.

spiegel


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