"Man bräuchte Generationen-Raumschiffe"

  20 Januar 2020    Gelesen: 880
 "Man bräuchte Generationen-Raumschiffe"

Der Mars ist für eine Besiedlung nicht wirklich geeignet. Einige Astronomen wollen lieber Proxima b erreichen, unseren erdnächsten Exoplaneten. Für eine bemannte Mission dorthin bräuchten wir ein Raumschiff von der Größe des Vatikans, sagt Planetengeologe Ulrich Köhler im ntv-Gespräch.

Weltraummilliardäre wie Elon Musk wollen in den nächsten Jahrzehnten den Mars besiedeln. Einige Wissenschaftler finden den als Kolonie aber nicht sonderlich attraktiv. Sie überlegen stattdessen, wie wir zu Proxima b kommen, unserem erdnächsten Exoplaneten. Für eine bemannte Mission dorthin bräuchten wir aber ein Raumschiff von der Größe des Vatikans und mehrere Zehntausend Jahre Zeit, sagt Planetengeologe Ulrich Köhler vom Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR) im Gespräch mit ntv.de. Er erklärt außerdem, warum wir am Ende einer so langen Reise möglicherweise nicht mehr mit den Erdbewohnern kommunizieren können oder feststellen müssen, dass wir viele Generationen umsonst geopfert haben.

ntv.de: Elon Musk träumt davon, mit seinem Raumfahrtunternehmen SpaceX eine Kolonie auf dem Mars zu errichten. Die erste bemannte Mission ist bereits für 2024 geplant. Einige Astronomen wollen aber lieber einen Exoplaneten wie Proxima b besiedeln. Warum?

Ulrich Köhler: Der Mars ist der erdähnlichste Planet in unserem Sonnensystem und erreichbar. Wir werden es noch in diesem Jahrhundert erleben, dass Menschen auf dem Mars herumspazieren wie vor 50 Jahren die ersten Astronauten auf dem Mond. Herumlaufen ist aber das eine, den Mars zu besiedeln, wird deutlich schwieriger: Er ist wie der Mond sehr unwirtlich. Er hat zwar eine Atmosphäre, in der können wir aber nicht atmen. Wir müssten also Sauerstoff mit uns herumtragen. Es wächst auch nichts auf dem Mars. Wir können keine Lebensmittel anbauen, die einen längeren Aufenthalt annehmbar machen könnten. Es fehlt fast alles, was man als Mensch braucht, um dort leben zu können. Wir müssten den Mars erst bewohnbar machen, davon sind wir weit, weit, weit entfernt.

Deshalb gibt es Überlegungen, wie wir Proxima b erreichen können. Das ist unser erdnächster Exoplanet im benachbarten Sternensystem Alpha Centauri. Der wäre womöglich besser für eine Besiedlung geeignet, aber auch weiter weg?

Das ist richtig, aber viele Leute machen sich keinen Begriff davon, wie weit er tatsächlich entfernt ist. Wir reden beim Mond von einem Himmelskörper, der die Erde 400.000 Kilometer entfernt umkreist. Das ist ein Katzensprung für die Raumfahrt. Der Mars ist bestenfalls 60 Millionen Kilometer von der Erde entfernt. Mit unseren heutigen Raumfahrtantrieben müssten wir mindestens ein halbes Jahr dorthin fliegen. Bei den Planeten am Rand des Sonnensystems sind es mehrere hundert Millionen bis Milliarden Kilometer Entfernung. Beim Doppelsternensystem Alpha Centauri reden wir von vier Lichtjahren.

Das heißt in Kilometern?

Es sind 40 Billionen Kilometer. Die Voyager-Sonde ist das schnellste Raumschiff, das die Menschheit bisher gebaut hat. Sie ist 1976 gestartet und hat unser Sonnensystem erst 2018, also über 40 Jahre später, verlassen. Damit bräuchten Sie mehrere Zehntausend Jahre, um Alpha Centauri zu erreichen. Mit den bisherigen Methoden der Raumfahrt ist das völlig undenkbar. Man bräuchte Generationen-Raumschiffe. Das sind ganz andere Herausforderungen.

Gibt es keine schnelleren Antriebe?

Das ist immer mit einem Augenzwinkern die Forderung von uns Wissenschaftlern an Ingenieure, schon um schneller ins äußere Sonnensystem zu gelangen: Baut doch etwas, was schneller geht - bei Autos bekommt ihr das ja auch hin. Aber so einfach ist das natürlich nicht. Es gibt chemische Antriebe, die erreichen ihre Grenze - einfach ausgedrückt -, wenn chemische Elemente explosiv miteinander reagieren und Schub entsteht. Ionen-Antriebe kommen auf höhere Geschwindigkeiten, sind aber auch nicht wirklich schnell. Selbst wenn wir ein Raumschiff hätten, das fast Lichtgeschwindigkeit erreicht, was physikalisch unmöglich ist, wären wir bei einer Entfernung von vier Lichtjahren immer noch vier Jahre unterwegs.

Aber mit einem Generationen-Raumschiff und über mehrere Tausend Jahre wäre die Reise machbar?

Es gibt verschiedene Überlegungen von durchaus seriösen Physikern, Ingenieuren und Wissenschaftlern, die sich darüber Gedanken machen, wie man so etwas anstellen könnte. Wie viele Menschen müsste man auf die Reise schicken, die sich fortpflanzen, damit am Ende ein Teil ankommt? Davon hängt die Größe des Raumschiffs ab. Das Seriöseste, was ich bisher gelesen habe, wäre ein Raumschiff von der Größe des Vatikans und damit deutlich größer als die Internationale Raumstation. Das Raumschiff müsste aber auch erst einmal auf hohe Geschwindigkeiten beschleunigt werden. Da sind uns technische, physikalische und naturwissenschaftliche Grenzen gesetzt. Wir müssten auch ethische, biologische und organisatorische Fragen klären. Ganz davon abgesehen, was so etwas kosten würde.

Gibt es Schätzungen?

Ich kann nicht beurteilen, wie seriös das ist, aber es gibt Autoren, die sagen, dass wir in Tausend Jahren so weit sein könnten, solch ein Raumschiff zu bauen. Mein persönliches Gefühl sagt mir aber, dass wir noch viele Tausend, wenn nicht Zehntausend oder Hunderttausend Jahre davon entfernt sind, zu einem anderen Stern und seinen Planeten fliegen zu können.

Hinzu kommt ja noch, dass wir gar nicht genau wissen, wie diese Planeten beschaffen sind. Finden wir bei unserer Ankunft grüne Wiesen, auf denen wir eine Kolonie aufbauen können? Oder ist es eine lebensfeindliche Umwelt? Und was wäre dann der Plan B? Da steht die Forschung, die Astronomie, ganz am Anfang. Wir haben vor knapp 30 Jahren die ersten Planeten in anderen Sternensystemen entdeckt und versuchen seitdem sie und alle Planeten, die noch entdeckt werden, zu charakterisieren: Haben sie eine Atmosphäre? Ozeane? Feste Oberflächen? Wie ist das Strahlungsumfeld? Zerstört es vielleicht alles, was wir an Erbmaterial haben? Es werden noch viele hundert Jahre ins Land ziehen, bis man mehr weiß.

Warum ist das so schwer? Von Proxima b wissen wir doch auch, dass er erdähnlich ist.

Das leiten wir davon ab, wie er seinen Stern umkreist und welche Masse er hat. Das kann man mit astronomischen Beobachtungen bestimmen. Wie es dort aussieht, wissen wir nicht. Das liegt daran, dass ein Planet vor dem riesigen Stern, den er umkreist ist, winzig klein ist - wie in unserem Sonnensystem. Selbst mit unseren stärksten und besten Teleskopen können wir solche Planeten nicht optisch auflösen und sehen, wie sie beschaffen sind. Das können wir nur indirekt ableiten.

Es besteht die Gefahr, dass wir Hunderte oder Tausende Jahre zu einem Exoplaneten reisen und bei der Ankunft feststellen: Mist, wir haben uns geirrt?

Das fasst es gut zusammen. Deshalb würde man vermutlich nicht nur auf einen Exoplaneten setzen, sondern gleich zwei, drei oder vier Raumschiffe in verschiedene Richtungen schicken. Einem Raumschiff könnte auch etwas passieren. Das wäre schrecklich, aber die Raumfahrt ist nun mal gefährlich und birgt das Risiko von Verlusten. Das heißt, wenn man jetzt zu einem Exoplaneten fliegt, wüsste man nicht wirklich, wie es dort aussieht.

Stichwort: Gefahren. Was sind die größten auf einer so langen Reise durchs Weltall?

Bestimmte Dinge können wir an Bord einer Raumkapsel simulieren, sodass es sich wie auf der Erde anfühlt. Aber wir wissen durch die halb- oder ganzjährigen Aufenthalte auf der ISS in der erdnahen Umlaufbahn schon, dass es immer wieder Schwierigkeiten physiologischer Natur und biologischer Art gibt, mit denen man nicht gerechnet hat. Vielleicht grassiert eine Krankheit auf dem Raumschiff, an der die Besatzung verstirbt.

Ich würde sagen, die Raumfahrt hat Langzeitaufenthalte von ein bis zwei Jahren einigermaßen im Griff, sodass der Flug zum Mars noch in diesem Jahrhundert stattfinden kann. Bei Zeiträumen über mehrere Generationen ist das sehr viel schwieriger.

Auf einer so langen Reise wären zwischenmenschliche Konflikte vermutlich auch besonders heikel. An Bord eines Raumschiffes dürfte es schwierig werden, sich aus dem Weg zu gehen.

Ja, man muss sich ziemlich gut unter Astronauten verstehen, damit es keine problematischen Reibereien gibt. Das trifft auch schon für den Flug zum Mars zu, der ein halbes Jahr dauern wird. Dann bleibt man ein Jahr auf dem Mars und fliegt ein halbes Jahr wieder zurück. Sie müssten also zwei Jahre miteinander verbringen. Wenn Sie viele Generationen unterwegs sind, kommt auch dazu, dass nachfolgende Generationen nicht sehr viele Möglichkeiten haben, zu wählen, was sie mit ihrem Leben machen wollen. Die erste Generation kann sagen: Ich möchte mitfliegen oder nicht. Die zweite hat keine Wahl mehr, sie kann nur noch entscheiden, welche Ausbildung sie auf dem Raumschiff machen möchte: Ingenieur, Gärtner, Navigator  - was auch immer. Das setzt sich dann über viele Generationen fort.

Gefangen auf einem Raumschiff.

Ja. Dadurch entsteht ein weiteres Problem, von dem ich zufällig gerade gelesen habe: Es könnte sein, dass sich während der Reise die Sprache ändert. Wenn ein geschlossenes System wie ein Raumschiff über viele Tausend Jahre unterwegs ist, entwickeln die Menschen an Bord eventuell eine neue Sprache und wären nicht mehr in der Lage, mit Erdenbewohnern zu kommunizieren.  Aber das spielt vermutlich eh keine Rolle. Wenn es vier Lichtjahre von der Erde entfernt ist, braucht die Datenübertragung mindestens vier Jahre, bis sie uns erreicht.

Mit Ulrich Köhler sprach Christian Herrmann

Quelle: ntv.de


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