Jeder weiß, dass eine Zwangsbelegung von Privatwohnungen in jeder Beziehung juristisch schwierig, vor allem politisch nicht durchsetzbar ist, und auch nicht wünschenswert wäre. Natürlich würde sich auch der hundertprozentige Neo-Liberale gegen so eine Zuwanderung bzw. Mobilität wehren: Eine Art freie bzw. Zwangs-Belegung des Landes – wie früher die USA? Wir sind aber weder ein unterbesiedeltes Land noch eine freie Wildnis, sondern ein hochgradig infrastrukturell versorgtes, organisiertes, institutionell strukturiertes Land, mit starker rechtlicher und sozialer Normierung, Organisierung, Absicherung, auch im Bildungsbereich. Diese über die Jahrhunderte von der Bevölkerung über Steuern und Arbeit erarbeitete Struktur nenne ich Gemeinschafts- oder Volkseigentum. Das ist ein tragender Pfeiler der staatlichen Verfasstheit der europäischen Kernländer – im teilweisen Gegensatz z.B. bis heute zu den USA.
Dass viele „Volksvertreter“ bei uns das in den letzten Jahrzehnten nicht beachtet haben und im Zuge der neoliberalen Deformierung der früheren „Sozialen Marktwirtschaft“ mit diesem Volksvermögen verantwortungslos umgingen, es günstig verkauften (oft gegen den ausdrücklichen Willen der Bevölkerung, wie Herr von Beust als Bürgermeister-Gutsherr in Hamburg mit den Krankenhäusern oder Minister Eichler mit dem millionengroßen Bundesbesitz an Wohnungen), ist leider politisch eine „Degenerationserscheinung“. Eine gewollte Strategie des Neo-Liberalismus gegen diese tradierte europäische Staatsverfassung im Interesse einer die Interessen ausgleichenden, sozial sichernden, schützenden und fördernden Politik für die Bürger. Dies ändert aber nichts an meinen Aussagen zur staatstragenden Funktion dieses Volkseigentum – im Gegenteil. Diese destruktive Politik richtet sich bei der Bewältigung der Euro-Krise gegen die mittleren und unteren Bevölkerungsgruppen in den Euro-Krisenländern, angeführt von unserer neuerlich „empathischen“ Kanzlerin.
Ich zitiere im Folgenden weitgehend aus einem Aufsatz von Ruth Berger bei TELEPOLIS, den ich allen am Thema Interessierten empfehlen kann. Ruth Berger, Freie Einwanderung – ein Menschenrecht? Über Gemeinschaftseigentum, wirtschaftliche Fragen der Einwanderung, moralische Argumentationen und ihre Berechtigung. Frau Berger resümiert erst einmal nach Prüfung der ökonomischen Sachverhalte: „Dass freie Einwanderung ein wirtschaftliches oder demografisches Allheilmittel und unter allen Bedingungen ‚Einwanderung für alle gut’ sei, ist jedenfalls empirisch falsch.“ Dieser Befund geht schon mal gegen die gängige Propaganda, die ganze Einwanderung sei z.B. eine Rettung aus unserem mit bestimmten Interessen hochstilisierten „Überalterungsproblem“, die das idealisierte Postulat einer freien Zuwanderung materiell absichern soll. Das übersieht aber das Folgende: Unser solider Wohlstand verdankt sich nicht nur internationaler Ausbeutung, hemmungsloser Exportoffensiven (u.a. auf der Basis des größten Niedriglohnsektors in der EU und der größten Differenz zwischen Männer- und Frauenlöhnen) oder EU-bezogen früherer Kolonialpolitik, sondern dieser Wohlstand verdankt sich auch einer klugen Politik im eigenen Lande:
„Ihre im Weltmaßstab privilegierte Position verdanken die deutschen Bürger zu einem Teil sich selbst, indem sie in großer Mehrheit Steuern zahlen, nicht schwarzarbeiten, Beamte nicht bestechen, als Beamte nicht die Hand aufhalten, sich generell an Regeln halten, keine Fehden zwischen Religions- und Volksgruppen ausgetragen, keine bewaffneten Aufstände beginnen (auch dann nicht, wenn Regierungen Entscheidungen treffen, die die Mehrheit der Bevölkerung ablehnt), gewissenhaft ihrer Arbeit nachgehen, ihre Kinder in die Schule schicken und dergleichen. Zum größeren Teil verdanken die Bürger Deutschlands aber ihre guten Lebensbedingungen natürlich auch Taten aus vergangener Zeit, solchen der Arbeiterbewegung, gesellschaftlich engagierter Ärzte, Aufklärer und Sozialreformer, guten Entscheidungen von Politikern und des demokratischen Souveräns. Ein Beispiel ist die Entscheidung, die Wasserversorgung und die Abwasser-Entsorgung staatlich (kommunal) zu organisieren. … Wohlgemerkt ist Indien nicht ärmer, als die meisten Städte Deutschlands es waren, als hier die Wasserinfrastruktur gebaut wurde. Ein weiteres wichtiges Beispiel für eine gute Entscheidung in der Vergangenheit ist die, kostenlose Schulen und eine allgemeine Schulpflicht einzuführen, sowie die staatlichen Schulen mit gut bezahlten Akademikern als Lehrern zu bestücken.
Dieser Staat samt Infrastruktur und Institutionen ist ererbtes und gepflegtes Gemeinschaftseigentum. Deutsche Bürger haben ein viel kleineres mittleres Vermögen als Bürger in südlichen EU-Staaten ohne Grundsicherung, wie Italien, Spanien oder Griechenland. Auch deshalb, weil sie über Generationen mehr in Gemeinschaftseigentum investiert und sich auf die Gemeinschaft statt auf Vitamin B verlassen haben und verlassen konnten. Die privatwirtschaftlich-industrielle Wohlstandsmehrung basiert mit auf Nutzung des Gemeinschaftseigentums, beispielsweise Chemiker- und Ingenieursausbildungen an staatlichen Schulen und Universitäten, Verkehrs-Infrastruktur, die Sicherheit der Wirtschaft vor der Mafia oder Räuberbanden, und teils auch direkter staatlicher Unterstützung der Großindustrie. … Analog zum Privateigentum verpflichtet natürlich auch Gemeinschaftseigentum. Wie beim Privateigentum wird ein funktionierender Staat demokratisch regeln, inwiefern Gemeinschaftseigentum nicht nur den derzeitigen Eigentümern, also den eigenen Bürgern, zu Gute kommt, sondern an Dritte abzugeben ist (z.B. an Asylbewerber, R.C.). Wie bei der Erhebung bei Steuern und Abgaben sind die Motive dafür nicht nur humanitär, sondern auch selbstdienlich.“
Dann diskutiert Ruth Berger die neoliberale, destruktive Politik der letzten Jahre, die dieses historische Erbe systematisch missachtet:
„Die von weiten Teilen der deutschen Eliten, insbesondere auch den Medien, über Monate beteuerte und befeuerte Hilfsbereitschaft ohne Obergrenze gegenüber den heute aus fernen Ländern als Asylsuchende Kommenden steht also im Gegensatz zum jahrzehntelangen systematischen Zurückfahren der Solidarität und der Gemeinschaftsleistungen im eigenen Land aus angeblichen Kostengründen und auch zu den sichtbaren politischen Prioritäten seit den 90er Jahren. (…) De-Solidarisierung im Innern und grenzenlose Solidarität nach außen gehen nicht zusammen.“
Gerade auf dem Hintergrund meiner Argumentation, dass die Flüchtlingsproblematik der Auslöser für die Reformulierung einer wirklich sozialen Marktwirtschaft sein sollte, scheinen mir diese Ausführungen bedeutsam. Sie unterstützen auch die Haltung, Zuwanderung zu organisieren (Einwanderungsgesetz) und selbstverständliche Nothilfe (nach der Genfer Flüchtlingskonvention und dem deutschen Asylgesetz) in materieller Hinsicht nicht automatisch deutschen Bürgerrechten und Sozialansprüchen gleichzusetzen. Diese Einschränkung ist auch für die Akzeptanz und Integration unerlässlich. Angesichts von ca. 300.000 Obdachlosen und noch mehr jungen Familien, die verzweifelt eine bezahlbare Wohnung suchen, wird da z.B. das Thema Wohnungsbau sehr wichtig. Diese Einschränkung sollte auch Basis einer Reorganisation zur Sozialen Marktwirtschaft sein, die den Wert einer staatlich organisierten und gesicherten sozialen Solidargemeinschaft wieder in den Mittelpunkt staatlichen Handelns rückt (auf der Basis von Artikel 1 GG, Menschenwürde). Damit dies nicht wie heute üblich, dem Verwertungsinteresse von zunehmend anonymen Kapitaleignern bzw. Kapitalgesellschaften überlassen wird.
Wir dürfen, wenn wir die Integration wollen (und wir müssen sie nun so oder so wollen), uns nicht an Postulaten aufhalten, die das Ziel gefährden, da sie die Durchführungen unnötig erschweren bzw. gar unmöglich machen. Dazu gehört ein Erträglichmachen der Hilfen des deutschen Solidarsystems durch Begrenzung von Leistungen und natürlich die Begrenzung der Zuwanderung. Das Allerwichtigste für die Menschen, die bei uns ankommen, ist ein schnelles Erlernen der Sprache, eine menschenwürdige Behausung, und eine Einbindung in das Arbeitsleben. Und zwar um die Selbstachtung nicht zu verlieren, um einen Beitrag zur eigenen Lebenshaltung zu leisten, um uns materiell zu entlasten, um deutsch zu lernen und sich sozial einzugliedern. Wer meine Einschätzung über die gigantische Größe dieser Aufgabe teilt, wird meine Aussagen zur partiellen „Ungleichbehandlung“ von Bürgern und Zuwanderern nicht als fremdenfeindlich oder ungerecht verstehen. Dieser Staat und seine Bürger sind in einem Maße gefordert wie lange nicht mehr.
Die Eingliederung in unsere Arbeitsgesellschaft z.B. ist durch die Massen und den Charakter der Zuwanderung doppelt schwer und kann nur mit einem zusätzlichen staatlichen Beschäftigungsprogramm geleistet werden. Da ist Herr Weise mit seinen beiden aktuellen Jobs vielleicht der Falsche, denn er hat die Arbeitsagenturen ja immer stärker zu zumindest statistisch gut aussehenden Verwaltungs- und Verwahranstalten gemacht, statt zu innovativen und aktiv agierenden Eingliederungsagenturen. Dieses Beschäftigungsprogramm könnte auch Teil eines Programms gegen die Landflucht sein und damit Teil einer besseren Verteilung der Flüchtlinge. Dabei sind besonders zwei Dinge der totalen Willkommensbefürworter zu kritisieren:
(a) Es ist nicht nur nicht zu begründen, sondern auch den sozialen Frieden gefährdend, wenn der Neuankömmling ohne Arbeit, ohne hinreichende Qualifikation und ohne Sprachkenntnisse dasselbe Geld erhält wie der 50-jährige Hartz-IV-Bürger, der vorher aber 30 Jahre zugeleistet hat. Da sollte das BVG noch einmal nachdenken – nicht nur über Rechtsprinzipien, sondern über reale Lebenswelten. Und wenn das BVG zurecht fordert, dass auch Flüchtlingen das Existenzminimum zu sichern ist, dann sollten Frau Merkel, Herr Schäuble und Herr Gabriel sich als Große Koalition durchringen, endlich zu tun, was verfassungsgerecht längst fällig ist: für deutsche Hartz-IV-Empfänger mindestens 80 Euro mehr zu zahlen, um dieses sozialdemokratische Produkt Hartz-IV mit einem Hauch „Empathie“ abzumildern und diese strenge Ämter-Willkür des Streichens und Strafens endlich einer verfassungskonformen Regelung zuführen. Leider hat sich in unserer Gesellschaft eine gesteuerte Hartz-IV-Häme verbreitet, die deutlich asozialer ist, als die wenigen Hartz-IV-Empfänger, die man als Sozialschmarotzer identifizieren kann.
(b) Es ist z.B. durchaus zumutbar, dass ein Flüchtling, der in einer Firma erst einmal eingearbeitet wird, sprachlich, mental, professionell, also ein halbes Jahr eher Mühe kostet als Ergebnis bringt, nicht unseren Mindestlohn erhält – soviel Altruismus ist einem „am Markt“ agierenden Unternehmen nicht aufzwingbar. Es ist aber sehr wichtig, das wir massenhaft Klein- und Großbetriebe finden, die sich dieser Aufgabe annehmen. Das verständliche Sperren gegen solche Ausnahmen seitens der SPD und der Gewerkschaften gründet auf der Erfahrung, dass leider „die Wirtschaft“ solche Ausnahmen in der Vergangenheit immer wieder schamlos zum Sozialdumping genutzt hat – siehe das aktuelle Verhalten gegenüber der Neujustierung der sogenannten „Leiharbeit“. Deshalb muss eine solche Ausnahme als solche garantiert sein. Hier könnte das Heer von Weises „Arbeitsvermittlern“ dann ja kontrollierend tätig werden, denn die Eingliederung der Flüchtlinge in unser Arbeitsleben darf keinen Raum zur Konservierung oder gar zum Ausbau prekärer Arbeitsverhältnisse sein. Das fällt alles unter das Stichwort „soziale Gerechtigkeit“ oder „soziale Balance“ als Basis einer gelingenden, friedfertigen Integrationspolitik. Wir müssen vernünftige, praktikable Wege finden, wir müssen aber auch warnen: Wer die Flüchtlinge perspektivisch zum Abbau sozialer Standards benutzt (das gilt hier für Arbeitgeber und für den Staat.), der gefährdet die Grundlagen des sozialen Friedens bei uns. (Das gilt übrigens auch für TTIP und TISA…)
Es bleibt also eine notwendige, unumgängliche Erkenntnis: Diese Großaufgaben können wir nicht ohne vorübergehende und partielle Ausnahmen von unseren sozialen und z.B. baurechtlichen Standards bewältigen. Eine gerechte Verteilung der Lasten ist notwendig. Deshalb meine Aussagen zur Schwarzen Null, zur Schuldenbremse und zur Steuergerechtigkeit. D.h. aber praktisch, dass alle zusätzlichen Belastungen aus Steuern getragen werden oder, wenn doch organisationsvereinfachend über die Sozialkassen, bei voller Erstattung aus Steuern, und nicht wie bei der Wiedervereinigung weitgehend zu Lasten der Sozialversicherten. Eine Gesundheitsversorgung über die gesetzlichen Krankenkassen z.B. schließt die Privatversicherten aus, eine doppelte Ungerechtigkeit. Da sind die Postulate der sozialen Gerechtigkeit und Gleichbehandlung sehr genau zu bewachen. Eine „Vollversorgung“ mit unseren staatlichen Sozialleistungen aber ist erst gerechtfertigt, wenn die Asylbewerber rechtlich voll anerkannt sind und bei uns bleiben, sonst bleiben uns die Schulden für eine „Investition“ noch lange erhalten, von der sie nichts haben. Und die Rettung unserer Wirtschaft und unseres Sozialsystems vor den Gefahren der Überalterung ist ja auch großenteils nur eine statistische Hypothese.
Wenn das alles so katastrophal wäre, frage ich mich, wieso unser Staat und die Wirtschaft nicht alles tun, unsere eigenen Human-Reserven auszuschöpfen durch bessere Organisation der Arbeit, durch wirklich sinnvolle Qualifikationsangebote für Langzeitarbeitslose, durch eine Bildungsorganisation, die nicht jedes Jahr zigtausende gescheiterte Schulabgänger produziert. Das alles erspart man sich und hofft nun auf den Glücksfall der Flüchtlinge. Das kann und wird aber auch eine Täuschung sein. Und wenn, erfordert es erst einmal Investitionen in den nächsten 10 Jahren. Und das Ausschöpfen unserer eigenen Ressourcen ist sowieso ein Gebot der Verfassung. Hier noch mal: Alles, was jetzt materiell zu tun ist, steht sowieso an als Abkehr von der permanenten, verfassungsfeindlichen Desolidarisierung der letzten 30 Jahre – die Flüchtlinge „erinnern“ uns nur noch einmal deutlich daran.
Ich greife hier einen Vorschlag u.a. der LINKEN auf: Frau Merkel könnte die Lage deutlich entspannen, wenn sie ähnlich wie bei der Finanzkatastrophe 2009, wo sie zusammen mit Finanzminister Steinbrück den deutschen Sparern ihre Guthaben garantierte, diesmal zusammen mit Vizekanzler Gabriel eine Versicherung abgäbe. „Die Normalbürger“ sollen keine Abstriche an den zugesicherten und größtenteils von ihnen ja auch erarbeiteten Sozialleistungen, Renten, Gesundheitsversorgungen sowie kommunalen Dienstleistungen (z.B. Schulen, Kindergärten, Verbraucherschutz, Sportmöglichkeiten, Kultur) zu erleiden haben. Bei den Banken konnte Merkel dies leicht versprechen (mit Ackermann als Souffleur) und die staatlichen Tresore wurden weit geöffnet. Jetzt allerdings müsste die Kanzlerin ihre angebliche „Empathie“ wirklich beweisen und über ihren neoliberalen Schatten springen. Das wäre dann mal eine große Leistung und eine politische Leistung bzw. eine politische Wende, die Respekt verdiente. Es wäre gut, wenn die SPD innerhalb der Regierung und die Gewerkschaften außerhalb einträten.
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