"Eine militärische, keine humanitäre Mission"

  18 Februar 2020    Gelesen: 716
"Eine militärische, keine humanitäre Mission"

Die EU will das Waffenembargo gegen Libyen wieder mit Kriegsschiffen überwachen. Wie genau das passieren soll, ist noch offen. Klar ist: Die Rettung von Menschen aus Seenot steht nicht im Fokus.

Heiko Maas wirkte recht zufrieden mit sich und dem Ergebnis: "Nach intensiven Beratungen hat es eine positive Grundsatzentscheidung gegeben", sagte der Außenminister am Montag nach einem Treffen mit seinen EU-Amtskollegen. Die EU werde nun ihren Beitrag leisten, um das Waffenembargo gegen das Bürgerkriegsland Libyen zu überwachen - indem sie wieder Kriegsschiffe ins Mittelmeer schicke.

Was der SPD-Politiker allerdings weniger ausführlich erklärte: Eine Neuauflage der Mission "Sophia", die viele Tausend Flüchtlinge und Migranten im Mittelmeer vor dem Ertrinken gerettet hat, wird es nicht geben. Stattdessen plant die EU eine neue Mission mit neuem Mandat - und neuen Zielen.

Der "Sophia"-Marineeinsatz wurde im Frühjahr 2019 eingestellt, vor allem, weil sich die EU-Staaten bis heute nicht über die Verteilung der Geretteten einigen können. Gegen einen Neustart hatten sich vor allem Österreich, Italien und Ungarn gesträubt.

Neues Mandat, neue Mission - und neue Ziele
In einem vertraulichen Papier für das Ministertreffen, das dem SPIEGEL vorliegt, hatte der Auswärtige Dienst der EU zunächst einen Kompromiss vorgeschlagen: Das "Sophia"-Mandat wird der Einfachheit halber verlängert, die Mission aber in "Operation EU Active Surveillance" ("Operation EU aktive Überwachung") umbenannt – und die Schiffe operieren nur noch im östlichen Einsatzgebiet, mit mindestens 100 Kilometer Abstand von der Küste.

Beides aber fand bei den Ministern keine Mehrheit. Das "Sophia"-Mandat soll nun Ende März auslaufen, und im Rahmen einer neuen Mission sollen EU-Schiffe weiter östlich und komplett außerhalb des bisherigen Einsatzgebiets operieren, wie Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg betonte. Damit soll sich die Mission auf die bevorzugten Routen der Waffenschmuggler konzentrieren - wäre aber auch nicht mehr in jenem Gebiet präsent, in dem sich Menschen aus Libyen üblicherweise nach Europa aufmachen.

Damit nicht genug: Sollte es "falsche Entwicklungen" geben, werde man die Mission nicht weiterführen, sagte Minister Maas. Was das bedeutet, verdeutlichte sein Wiener Kollege Schallenberg: Sollte die Mission wieder mehr Menschen zur Überfahrt nach Europa ermutigen, sei sofort Schluss. "Dann werden die maritimen Elemente wieder abgezogen", so Schallenberg. Man wolle unbedingt vermeiden, einen "Pull-Faktor" zu schaffen und Schleusern die Möglichkeit geben, die EU-Mission "für ihr Geschäftsmodell zu missbrauchen".

Verdächtige Flugrouten
Bei wie vielen Geretteten die Schwelle zum Missbrauch erreicht sei, wollte Schallenberg auf Nachfrage nicht beziffern. Aber es bestehe ein Grundkonsens in der EU: "Die Mission 'Sophia' wird beendet." Stattdessen soll es nun eine "militärische und keine humanitäre Mission" geben, die sich auf die Überwachung des Waffenembargos konzentriert. Die Befriedung Libyens sei der beste Weg, Menschen vom lebensgefährlichen Trip übers Mittelmeer abzuhalten. Das wiederum sei nur mit einem wirksamen Waffenembargo zu schaffen. Die Schiffe sollen nun die Daten von Satelliten und Flugzeugen ergänzen, um laut Maas ein "komplettes Lagebild" zu liefern.

Das ist dringend notwendig, denn das Embargo war zuletzt bestenfalls lückenhaft – auch nach der Grundsatzeinigung von der Berliner Libyenkonferenz. Wer es gebrochen hat, ist kein besonders streng gehütetes Geheimnis. Jeder mit Internetanschluss kann fast täglich auf handelsüblichen Flight-Trackern zum Beispiel die verdächtige Route einer in Kasachstan registrierten Iljuschin in Richtung Libyen beobachten.

Fast täglich fliegt das riesige Transportflugzeug oder eine gecharterte Boeing 747 vom Luftwaffenstützpunkt Sweihan bei Abu Dhabi, der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate, über Ägypten in Richtung Bengasi. Dort liegt die Machtzentrale des abtrünnigen libyschen Generals Khalifa Haftar. Nach einer kurzen Zeit zum Entladen starten die Jets dann wieder zurück in die Emirate. Ähnlich leicht sind auch Waffenlieferungen der Türkei an die Zentralregierung in Tripolis übers Mittelmeer nachzuvollziehen. Ägypten wiederum karrt Waffen und Munition mit Konvois nach Bengasi.

Alle Wege abriegeln, damit das Embargo funktioniert
Bei der Sicherheitskonferenz in München wurden diese Lieferungen offen angesprochen. Hinter verschlossenen Türen stritten weder Türken noch Ägypter oder die Emiratis ihre Waffenhilfe ab, zeigten aber sofort mit dem Finger auf die anderen. Erst wenn der jeweils andere seine Transporte einstelle, so die krude Logik, werde man dies auch tun.

Für die westlichen Unterhändler, allen voran Außenminister Maas, ist die Lage schwierig. Er weiß, dass er nur erfolgreich sein kann, wenn er sowohl die Transporte über Land als auch die über das Mittelmeer eindämmt. Würden nur die Seewege abgeriegelt, würde zum Beispiel nur Haftar profitieren.

Folglich heckten die Diplomaten eine Mischoperation aus. Sie sieht einige wenige Schiffe weit außerhalb der libyschen Küstengewässer vor, die den Seeweg abriegeln sollen. Daneben sollen ein EU-Satellit und Überwachungsflieger den Luftraum über Libyen kontrollieren, dazu braucht man aber grünes Licht der Konfliktparteien.

Bundesregierung erwägt Strafmaßnahmen
Auf dem Papier hört sich der Plan erst mal gut an. So könnten gesammelte Belege für weitere Waffenlieferungen direkt an die Uno weitergereicht werden. Später könnte dann das Sanktionskomitee in New York Strafen gegen einzelne Länder verhängen und sie so zum Stopp der Lieferungen drängen.

Innerhalb der Bundesregierung denkt man zudem bereits laut über direkte Strafmaßnahmen nach. Ein Sprecher von Minister Maas sagte, dass eindeutige Erkenntnisse über den Bruch des Waffenembargos sehr wohl in zukünftige deutsche Entscheidungen über Rüstungsexporte einfließen würden.

Besonders den Emiraten könnte das wehtun. Der durch Rohstoffe reiche Wüstenstaat ist sehr an modernen Waffensystemen aus deutscher Produktion interessiert. Auch Ägypten setzte bei der Modernisierung seiner Marine zuletzt auf deutsche U-Boote. Folglich könnte allein die Drohung durchaus Wirkung zeigen.


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