Krise der Autoindustrie – Bamberg soll nicht Detroit werden

  19 Februar 2020    Gelesen: 802
Krise der Autoindustrie – Bamberg soll nicht Detroit werden

Bamberg (Reuters) - Für Kristin und Thomas Schmitt ging ein Traum in Erfüllung. Im vergangenen Sommer nahmen sie einen Kredit auf und kauften für sich und ihre drei Kinder ein Haus in der Nähe von Bamberg.

Nur zwei Monate später folgte der Schock: Die Michelin-Reifenfabrik, in der das Paar arbeitet, soll Anfang 2021 schließen. “Das ist ein Alptraum. Das hat uns den Boden unter den Füßen weggezogen”, sagt Kristin Schmitt. Die 40-Jährige arbeitet im Lager, ihr Mann Thomas steht bei Michelin am Band. “Es würde uns sozusagen doppelt treffen, wenn unser Werk tatsächlich schließen sollte.” Bamberg ist Sitz etlicher Autozulieferer und gehört damit zu den Regionen, die von der Krise der Autoindustrie hart getroffen werden. Die Stadt und Unternehmen wie Bosch setzen Hebel in Bewegung, um einen Niedergang wie den der US-Autostadt Detroit in den 1970er Jahren zu verhindern.

Deutschlands wichtigster Industriezweig steht unter großem Veränderungsdruck. Der Kampf gegen den Klimawandel zwingt die Hersteller zum Umstieg von Autos mit Verbrennungsmotor auf Elektroautos. Das kostet zig Milliarden und drückt die Gewinne in einer Phase des Branchenabschwungs. Dieser begann mit dem Handelskonflikt der USA mit China vor rund zwei Jahren und droht sich nun zu verschärfen mit der Coronavirus-Epidemie in China, dem wichtigsten Markt der exportgetriebenen deutschen Autobauer. Sparprogramme und Stellenstreichungen greifen um sich.

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) schätzt, dass rund zehn Prozent der insgesamt 830.000 Arbeitsplätze in der Branche in den nächsten zehn Jahren verschwinden könnten. Einige Forscher und Regierungsvertreter befürchten noch stärkere Einschnitte, wenn die arbeitsintensive Produktion von Benzin- und Dieselmotoren allmählich ausläuft und durch die Herstellung weitaus einfacher konstruierter Elektroantriebe ersetzt wird. Die Automatisierung von einfachen Arbeitsschritten und die Auslagerung von Jobs nach Osteuropa kosten weitere Stellen.

Die Branchenkrise bringt wachsende Gefahren für die heimische Wirtschaft insgesamt mit sich. Rund fünf Prozent der Wirtschaftsleistung hängen am Auto. “Deutschland betritt hier Neuland. Der Umbruch könnte den Anfang vom Ende des Goldenen Zeitalters markieren, in dem die Autobranche sichere Jobs für die breite Masse der Gesellschaft garantierte”, sagt Stefan Bratzel, Leiter des Center of Automotive Management. “Für die Politik steckt da natürlich auch sozialer Sprengstoff drin.” Womöglich habe die Autoproduktion ihren Zenit weltweit überschritten, erklärte Volkmar Denner, Chef des global führenden Autozulieferers Bosch, vor kurzem. Auch Bosch streicht Tausende Stellen.

FINSTERE AUSSICHTEN

Das fränkische Bamberg ist eine Stadt, die mit dem Wirtschaftswunder und vor allem mit dem Wachstum der Autoindustrie aufstieg. Inzwischen steht die Region mit vielen Unternehmen, die Teile für Verbrennungsmotoren bauen, vor einem Umbruch. “Wir sprechen über 25.000 Arbeitsplätze in der Region, das sind etwa 15 Prozent der gesamten Erwerbsbevölkerung hier”, sagt Bambergs Bürgermeister Andreas Starke. Das zeigt, wie abhängig die Region vom Verbrennungsmotor ist. Für die Schmitts und ihre rund 850 Kolleginnen und Kollegen im Michelin-Werk sieht es finster aus. Betriebsratschef Josef Morgenroth kämpft darum, dass sich die Firma an den vereinbarten Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen bis Ende 2022 hält. Die Werksleitung wollte sich nicht äußern mit Verweis auf laufende Verhandlungen mit dem Betriebsrat.

Politik und Sozialpartner in der Metallindustrie wollen dafür sorgen, dass die sogenannte Transformation ohne Massenarbeitslosigkeit bewältigt wird. In seltener Eintracht setzten sich die Arbeitgeber und die Gewerkschaft IG Metall dafür ein, dass die Bundesregierung das Kurzarbeitergeld erweitert. Es ermöglicht, die Arbeitszeit vorübergehend zu reduzieren oder auf null zurückzufahren. Der Staat zahlt den Arbeitnehmern zwei Drittel ihres Einkommensverlustes. Die Bezugsdauer soll auf 24 Monate verdoppelt, Weiterbildung und Umschulungen sollen gefördert werden.

Die gesunkenen Einkommen der Kurzarbeiter und die Arbeitslosigkeit dürften den Konsum dämpfen und damit die wichtigste Stütze der Binnenkonjunktur schwächen. So erwartet die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), dass die Ausgaben der privaten Haushalte in diesem Jahr nur noch um ein Prozent steigen nach rund anderthalb Prozent im vergangenen Jahr. “Die Autokrise schwächt die Binnennachfrage. Es belastet die Einkommenserwartungen und schmälert die Anschaffungsneigung”, sagt GfK-Konsumexperte Rolf Bürkl. Im November hatte sich die Zahl der Kurzarbeiter bereits verdoppelt im Vergleich zum Vorjahr auf fast 100.000. Ein solches Niveau gab es seit der Euro-Schuldenkrise 2012/13 nicht mehr. Für Februar werden bereits 117.000 Kurzarbeiter erwartet.

Beschäftigungssicherung in der Autoindustrie und dem von ihr stark abhängigen Maschinenbau steht ganz oben auf der Agenda der diesjährigen Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie. Mit dem üblichen Schachern um prozentuale Lohnerhöhungen wollen sich Arbeitgeber und Gewerkschaft IG Metall dieses Mal wenig aufhalten. Stattdessen wollen sich die Tarifparteien darauf konzentrieren, den Unternehmen Regeln für den Strukturwandel an die Hand zu geben.

IN DIE ZUKUNFT INVESTIEREN

Vor allem kleinere Firmen tun sich hier schwer. Viele Großunternehmen setzen bereits Umbaupläne in die Tat um. So auch Bosch in Bamberg. Management und Betriebsrat vereinbarten am Standort, dass alle rund 7000 Beschäftigten die Arbeitszeit verkürzen und ab April auf fast zehn Prozent des Gehalts verzichten. Damit sollen bis 2026 Entlassungen vermieden werden. An mehreren anderen Standorten baut der Konzern Stellen ab über die gewöhnliche Fluktuation durch altersbedingtes Ausscheiden oder den Wegfall frei werdender Stellen. “Die Betriebsvereinbarung hier in Bamberg sorgt natürlich für gemischte Gefühle”, sagt Sven Bachmann, Produktionsmanager bei Bosch in Bamberg. Der Lohnverzicht tue zwar weh. “Für mich persönlich überwiegt aber die Erleichterung, dass mein Arbeitsplatz die nächsten sechs Jahre sicher ist.”

Das bisher völlig vom Verbrennungsmotor abhängige Werk in Bamberg soll sich auf die Fertigung von Technik für stationäre und mobile Brennstoffzellen umstellen in der Hoffnung, dass neben der Batterie auch dieser alternative Antrieb in Zukunft stärker eingesetzt wird. Mit der Vereinbarung gewinne das Werk die nötige Zeit, um den Strukturwandel gemeinsam zu meistern, sagt Mario Gutmann, Betriebsratschef von Bosch in Bamberg. Das Unternehmen investiere in Zukunftstechnologie für die Stadt. “Das Versprechen ist besonders wichtig, denn es zeigt, dass Bosch nicht nur an Kostenreduzierung denkt, sondern auch an die Sicherung von künftigen Wachstumsfeldern und damit auch von Arbeitsplätzen.” Dabei hilft auch Bamberg mit. Auf dem Gelände der ehemaligen US-Kaserne soll ein neuer Stadtteil mit bis zu 1000 Wohnungen entstehen, die durch stationäre Brennstoffzellen mit Strom, Heizung und Warmwasser versorgt werden sollen. Ein Pilotprojekt, von dem sich Bosch neue Großaufträge erhofft.

Für die Schmitts bleibt die Zukunft vorerst ungewiss. Die Familie hat ihren Urlaub gestrichen. “Jetzt können wir nur noch alle beten, dass wir das Haus behalten können”, sagt Kristin Schmitt.


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