Börsenhändler leiden im Homeoffice

  22 März 2020    Gelesen: 1032
Börsenhändler leiden im Homeoffice

Viele Börsenhändler stehen vor einer ungewohnten Herausforderung: Wegen des Coronavirus müssen sie von zu Hause arbeiten - und nicht nur mir fallenden Kursen, sondern auch mit hungrigen Kindern fertigwerden.

Die Corona-Krise bringt Börsenhändler an ihre Grenzen. Nicht nur müssen sie sich im Homeoffice oder in fremden Büros gegen die schwersten Kursstürze seit Jahrzehnten stemmen. Wegen der Schulschließungen in vielen Ländern wollen auch ihre Kinder mit Essen versorgt und die Hunde Gassi geführt werden. Nach Meinung von Experten ist es sogar möglich, dass die ungewohnten Arbeitsbedingungen der Banker nicht ganz unschuldig sind an den derzeitigen Börsenturbulenzen.

Trip Miller, Geschäftsführer der Investmentgesellschaft Gullane Capital Partners, verbringt inzwischen den Großteil seines Arbeitstages am Esstisch zu Hause in Memphis im US-Bundesstaat Tennessee. Über E-Mails, Telefongespräche und Textnachrichten mit Kunden und Mitarbeiten versucht er, die schlimmsten Verluste in seinen Portfolios zu vermeiden. "Und das alles, während ich meinen vier- und siebenjährigen Kinder die Pizza in Stücke schneiden muss." Anlageexperte Jack Ablin vom Vermögensverwalter Cresset Wealth Advisors in Florida schimpft über Hundegebell, das im Hintergrund bei den täglichen stundenlangen Telefonkonferenzen mit seinen Kollegen zu hören ist.

Reisen und persönliche Meetings seit Wochen verboten

So wie Miller und Ablin arbeiten derzeit auf der ganzen Welt zigtausende Händler, Investmentbanker und Sachbearbeiter von Banken. Um den Betrieb am Laufen zu halten und die Beschäftigten vor Ansteckungen durch das neuartige Coronavirus zu schützen, haben Geldhäuser wie Morgan Stanley, JP Morgan und die Deutsche Bank ihre Mitarbeiter an verschiedene Orte verteilt. Sie arbeiten nun im Büro, an Ausweichstandorten oder von zu Hause aus. Reisen und persönliche Meetings sind schon seit Wochen verboten.

Die Nerven liegen schon alleine wegen der nie dagewesenen Verluste an den weltweiten Börsen blank. An der Wall Street stürzte der Dow-Jones-Index alleine am Montag um 13 Prozent ab, so stark wie seit 1987 an einem Tag nicht mehr. Der Dax verlor in den vergangenen vier Wochen fast 40 Prozent. "In all den Börsencrashs, die ich erlebt habe, hat es immer gutgetan, wenn man physisch mit seinen Kollegen zusammen war, Mitleid hatte und eine Lösung gefunden hat", sagt Quincy Krosby, Chefstrategin beim US-Versicherer Prudential Financial. "Das kann man nicht virtuell machen, das muss real geschehen."

Soziale Isolation ist ein Problem

Die soziale Abkapselung, die Politiker weltweit von Menschen nun verlangen, kann nach Meinung von Paul Donovan, Börsenexperte bei der der Schweizer Bank UBS, zu falschen Entscheidungen führen. "Wenn Menschen immer mehr isoliert werden, sind sie womöglich stärker von sozialen Medien besessen und bekommen Angst. Das könnte bedeuten, dass Investoren und Finanzmarktexperten weniger rational und weniger effizient sind." Auch die Körpersprache der Händler spiele eine wichtige Rolle beim Kaufen und Verkaufen von Aktien, Anleihen und Rohstoffen, sagt Lance Pan, Analyst bei der Investmentgesellschaft Capital Advisors Group. "Ich bin mir sicher, dass die Arbeit von zu Hause, der Isolationsfaktor, die Marktliquidität beeinflusst."

Auch die Sorge vor Hackerangriffen, technischen Problemen oder sogenannten Fat-Finger-Fehlern treibt Händler um. Das sind Tippfehler auf der Computertastatur bei Handelsgeschäften, durch den wesentlich höhere Beträge umgesetzt werden als beabsichtigt. In der Vergangenheit kam es vor allem am Devisenmarkt schon öfter zu solchen Missgeschicken. Fehlbuchungen kann es auch deswegen geben, weil viele nun mit zwei statt ihrer gewohnten fünf oder sechs Monitore arbeiten müssen. Ein Händler bringt es auf den Punkt: Er fühle sich die ganze Zeit wie im "Blindflug".

Quelle: ntv.de, Noel Randewich und Saikat Chatterjee, Reuters


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