Psychoanalytiker Maaz zu Corona: „Ohne Folgen kann das ein Mensch nicht lange aushalten“

  29 April 2020    Gelesen: 1436
Psychoanalytiker Maaz zu Corona: „Ohne Folgen kann das ein Mensch nicht lange aushalten“

Der Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz gilt eigentlich als DER Ossi-Erklärer. In der Corona-Krise erlebt er die Gesellschaft in einem „bedrohlichen Zustand“ der Unsicherheit. Maaz befürchtet, dass der gesundheitliche Preis des Lockdowns höher sein könnte, als der Nutzen. Maaz sieht auch die Grundrechte in Gefahr und geht dafür auf die Straße.

- Herr Maaz, eigentlich wollte ich mit Ihnen über Ihr neues Buch „Das gespaltene Land“ über die Befindlichkeiten in Ost- und Westdeutschland sprechen. Corona hat auch dieses Thema nach hinten geschoben, wie eigentlich alles gerade. Ein wenig kommt man sich vor, wie von der Giftschlange paralysiert. Wie erleben Sie gerade die Gesellschaft, die Medien und die Politik?

- In einem sehr auffälligen bis bedrohlichen Zustand. Viele, mit denen ich in Kontakt bin, übrigens auch Patienten, die sich Sorgen machen, erleben eine Unsicherheit, eine Bedrohungslage, zumal auch keiner sagen kann, wo die Reise hingeht. Es wird ein Widerspruch erlebt zwischen dem, was als panikmachende Corona-Bedrohung in den Medien dargestellt wird und der erlebten Realität und auch anderen Informationen, die besagen, dass Covid-19 gar nicht so gefährlich ist.

- Was ist an der derzeitigen Lockdown-Situation psychologisch besonders anstrengend?

- Soziale Beziehungen sind nun mal eine wesentliche Grundlage unseres Lebens. Wenn das den Menschen untersagt oder erschwert wird, kann man sich nicht mehr richtig begegnen und austauschen. Ich kann also mein Alltagsleben aber auch den Austausch im kritischen Nachdenken nicht mehr so ausüben. Ohne Folgen kann das ein Mensch nicht lange aushalten. Folgen wären Rückzug, Vereinsamung, zunehmender innerer Stress, da man sich nicht aussprechen kann. Durch die Maskenpflicht wird das jetzt noch verstärkt. Der menschliche Kontakt hängt ja sehr von der Gesichtsmimik ab. Eine solche Vermummung ist also eine weitere Beeinträchtigung der sozialen Kommunikation. Wenn dann noch eine Fragwürdigkeit in Bezug auf Nutzen und sogar in Bezug auf Gefahren durch den Mundschutz besteht, ergibt das zusätzlich Stress und Sorge für die Menschen.

- Als besonders vom Coronavirus bedrohte Risikogruppe gilt die ältere Bevölkerung. Besteht hier nicht die Gefahr, ältere Menschen durch Isolation und Angst vor Arztbesuchen gesundheitlich mehr zu gefährden, als durch Corona?

- Gerade alte Menschen brauchen soziale Kontakte und sind oft auch darauf angewiesen, dass sie liebevoll betreut werden, oft auch von Angehörigen. Ich bin sicher, dass eine entsprechende Statistik zeigen würde, dass auch ein solcher Kontaktmangel zu einem vorzeitigen Sterben führen kann. Ich halte besonders hier dieses rigorose Kontaktverbot für inhuman. Außerdem kann man alte Menschen, die dazu in der Lage sind, auch fragen, ob sie einen Kontakt wünschen oder nicht, auch auf die Gefahr hin, dass sie sich infizieren.  Das ist doch eine persönliche Entscheidung. Ich bin sicher, dass vielen alten Menschen der persönliche Kontakt wichtiger ist, als ein Infektionsschutz.

- Die Lebensumstände, also zum Beispiel Häuschen auf dem Lande versus Einzimmerwohnung, berufstätig mit Kindern oder Rentner spielen sicher auch eine Rolle?

- Gerade, wenn mehrere Menschen in einer Wohnung zusammenleben, ist es ja normalerweise so, dass jeder seinem Alltag nachgeht, Arbeit oder Schule etwa, man hat eine sinnvolle Beschäftigung und Außenkontakte, durch die man angeregt wird. Und man kann draußen in gewisser Weise auch seinen Stress abreagieren. Im Lockdown hocken die Menschen nun zuhause zusammen und eigene oder Beziehungsprobleme verdichten sich sehr rasch. Das führt dann verstärkt zu Konflikten und sogar zu Gewalt in Familien. Das kann zu Traumatisierungen der Menschen, vor allem auch der Kinder führen.

- Wie gehen eigentlich Kinder mit der Situation um? 

- Am Anfang war das sicher interessant für die Kinder, nicht in die Schule zu müssen, spielen zu dürfen, vielleicht mit den Eltern intensiver Kontakt zu haben, aber das erschöpft sich ja dann doch, wenn man zu sehr und zu lange zusammenhockt. Kinder spüren sehr wohl, wie es den Eltern geht. Und viele Eltern sind eben gerade in Sorge, gestresst und nervös, vor allem, wenn Arbeitslosigkeit droht, Kurzarbeit besteht und überhaupt unsicher ist, wie es beruflich weitergeht. Wenn Kinder dann keine gute Erklärung bekommen, fühlen sie sich oft mitschuldig, dass es an ihnen liegen könnte. Ich habe auch von Kindern erfahren, die einfach große Angst haben, nach draußen zu gehen und sich und dann Eltern oder Großeltern anzustecken und dann Schuld zu haben, wenn diese sterben. Da entstehen furchtbare neue Ängste und eine Einschüchterung, die zu traumatisierten Kindern führen kann.

- Nun bedeutet „social distancing“ ja auch einen Verlust von Nähe, von Berührungen, von Körperlichkeit. Was macht das möglicherweise langfristig mit den Menschen?

- Natürlich heißt sozialer Kontakt auch Körperkontakt - vom freundschaftlichen bis zum intimen Körperkontakt. Das sind konstituierende soziale Lebenserfahrungen. Über Berührungen vermitteln wir ja, dass wir jemanden mögen. Wenn Menschen das über längere Zeit nicht haben, können sie eigentlich nur krank oder aggressiv werden. Das führt zu einem Gefühlsstau, der sich dann wieder in Gewaltausbrüchen äußern kann.

- Um auch irgendetwas Positives in dieser Krise zu sehen, betonen manche Menschen, auch Politiker,  eine gesteigerte Solidarität und ein neues Gefühl von Gemeinsamkeit in der Gesellschaft. Ich sehe aber auch ein neues Misstrauen, zum Beispiel, wenn man aus der Stadt aufs Land fährt. Und ich sehe auch Ansätze eines neuen Denunziantentums.

- Das Zweite, was Sie sagen, sehe und befürchte ich mehr, als das Andere. Natürlich gibt es auch unter Umständen mehr Hilfe und Verständnis. Ich sehe aber viel eher eine Spaltung. Sie sprachen ja zu Beginn mein Buch "Das gespaltene Land" an. Jetzt kommt durch Corona zu dem, was ich in meinem Buch beschreibe, eine neue Spaltung hinzu. Es gibt die, die alle Regierungsanweisungen gerne und dankbar annehmen. Viele Menschen nehmen gern an, dass jemand für sie entscheidet und fühlen sich dadurch beschützt. Eine andere, größer werdende Gruppe hinterfragt jetzt jedoch kritisch, was hinter diesen Maßnahmen steckt und hält die Relation für übertrieben. Gerade jetzt bei der Einführung der Maskenpflicht spürte man Misstrauen und Feindseligkeit derer, die schon eine Maske trugen, gegenüber denen, die noch keine aufhatten. Ich sehe hier schon einen kritischen Punkt erreicht für das Fortleben demokratischer Verhältnisse.

- Am Wochenende gab es wieder in mehreren deutschen Großstädten Proteste gegen die derzeitigen massiven Einschränkungen der Grundrechte. Auch Sie haben an so einer Demo in Halle teilgenommen. Warum?

- Ich halte das für notwendig. Ich halte viele der Maßnahmen für unverhältnismäßig. Damit werden Grundrechte von uns Menschen in Frage gestellt oder ausgehebelt. Ich bin in der DDR aufgewachsen und weiß, was es bedeutet, wenn man keine richtige Meinungs- und Versammlungsfreiheit hat. Deshalb engagiere ich mich da, weil ich mit dazu beitragen will, dass demokratische Verhältnisse erhalten bleiben und es nicht zu autoritären Entwicklungen kommt.

sputniknews


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