War Sars-CoV-2 schon im März 2019 in Europa?

  01 Juli 2020    Gelesen: 855
  War Sars-CoV-2 schon im März 2019 in Europa?

Das Abwasser spielt eine ungeahnte Rolle beim Nachweis von Coronaviren. Nun machen Former in Barcelona eine erstaunliche Entdeckung. Eine Probe fällt bei einem Test auf das Virus Sars-CoV-2 positiv aus - bei Abwasser aus dem März 2019. Das wäre mehr als sechs Monate vor den ersten bekannten Corona-Fällen in Wuhan. Muss die Geschichte des Erregers neu geschrieben werden?

Mittlerweile gilt als sicher: Das Coronavirus Sars-CoV-2 zirkulierte bereits in Europa, bevor auf dem Kontinent die ersten Covid-19-Fälle gemeldet wurden. In Abwasserproben aus Mailand und Turin aus dem Dezember vergangenen Jahres konnten bereits Spuren des Erregers nachgewiesen worden. Eine neue Studie aus Spanien sorgt nun mit einem mutmaßlich noch wesentlich früheren Nachweis des Erregers für Aufsehen.

Forscher um den spanischen Virologen Albert Bosch hatten Proben aus dem Abwasser von Barcelona auf Erbgut-Reste von Sars-CoV-2 untersucht. Denn es ist bekannt, dass Virus-Bruchstücke von Infizierten über den Stuhl ausgeschieden werden und so ins Abwasser gelangen. Die spanischen Forscher griffen bei ihrer Analyse von Abwasserproben auf die PCR-Methode zurück. Bei dieser wird gefundenes Erbgut zunächst vervielfältigt und schließlich auf bestimmte Gene untersucht, die charakteristisch für das Virus sind.

Das Bemerkenswerte: Auch auf eine eingefrorene Abwasserprobe vom 12. März 2019 lieferte der Test ein positives Ergebnis auf Gene, die Sars-CoV-2 zugeordnet werden. Dabei waren erst Ende Dezember 2019 aus China die ersten Covid-19-Fälle an die Weltgesundheitsorganisation WHO gemeldet worden. Ist das Virus also womöglich schon viel länger im Umlauf, als man bisher gedacht hatte?

"Erstaunliche Entdeckung"

"Diese erstaunliche Entdeckung legt nahe, dass das Virus bereits in Barcelona zirkulierte, lange bevor es erste Berichte über Covid-19-Fälle weltweit gab", schreiben die Forscher. Für den überraschenden Fund haben die Forscher auch eine Erklärung parat: Barcelona sei ein Handels- und Geschäfts-Drehkreuz und zugleich ein beliebter Ort für Großveranstaltungen, welche Reisende aus vielen Teilen der Erde anzögen, schreiben sie in der Studie. Gleichzeitig könnte es, ähnlich wie in Barcelona, auch an mehreren anderen Orten der Welt zu unbemerkten Covid-19-Fällen gekommen sein.

Die vermeintlichen Erkenntnisse der Studie, die bisher nur auf dem Preprint-Server Medrxiv veröffentlicht wurde, rufen jedoch Zweifel in der wissenschaftlichen Community hervor. Die Virologin Claire Crossan von der Glasgow Caledonian University etwa betonte in einem Beitrag für die wissenschaftliche Online-Plattform "The Conversation", dass die Entdeckung nicht mit den bisherigen epidemiologischen Daten vereinbar sei. Crossan hält daher etwa eine Verunreinigung der Probe für eine mögliche Erklärung. Auch könnte anderes, Sars-CoV-2 lediglich ähnliches Erbgut für das positive Testergebnis verantwortlich sein.

Auch Rafael Manez, Leiter der Intensivstation des Universitätskrankenhauses Bellvitge in Barcelona, äußerte gegenüber "Euronews" Zweifel. " (...) es ist zunächst ein verdächtiges Ergebnis. Entweder findet jemand etwas Ähnliches in anderen Teilen der Welt, oder es muss ein technischer Fehler sein", so Manez. Er hält es jedoch durchaus für möglich, dass das Virus schon im März 2019 mit sehr geringer Infektionskapazität im Umlauf war, bis es schließlich mutiert sein könnte.

"Wackelige Belege"

Wesentlich härter ins Gericht mit der Studie geht hingegen der Epidemiologe François Balloux vom University College in London. Die Belege, dass Sars-CoV-2 bereits im März 2019 in Barcelona zirkulierte, seien wackelig, schreibt Balloux auf Twitter. Unter anderem sei die verwendete PCR-Methode fehleranfällig. Zudem bemängelt er, dass die spanischen Forscher nicht versucht hätten, das positive Ergebnis einem anderen Coronavirus zuzuordnen.

Die Behauptung, Sars-CoV-2 sei bereits im März 2019 aufgetaucht, würde "alles ändern, was wir über die Pandemie wissen", schreibt Balloux auf Twitter - und verweist auf genetische Analysen, laut derer das Virus seinen Ursprung im November 2019 in China nahm. Es sei daher unverantwortlich, einen Vorabdruck wie diesen zu veröffentlichen, der auf "schlampigen, unvollständigen und fragwürdigen" Belegen basiere.

Ob das Coronavirus Sars-CoV-2 also tatsächlich bereits im März 2019 in Barcelona zirkulierte, ist also umstritten. Virologin Crossan forderte daher, dass es weitere Untersuchungen der fraglichen Probe bedürfe, auch von anderen Labors. Dann dürfte sich zeigen, ob es sich um einen Messfehler handelt - oder ob die Geschichte von Sars-CoV-2 doch neu geschrieben werden muss.

Quelle: ntv.de


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