Unternehmen reißen ihre ethischen Selbstverpflichtungen

  14 Juli 2020    Gelesen: 670
Unternehmen reißen ihre ethischen Selbstverpflichtungen

Die deutsche Wirtschaft kommt nach SPIEGEL-Informationen ihrem Versprechen nicht nach, für faire Arbeitsbedingungen bei der Produktion im Ausland zu sorgen. Die Bundeskanzlerin soll nun für Mindeststandards sorgen.

Bis zuletzt haben sich die deutschen Unternehmen und ihre Spitzenverbände dagegen gewehrt, per Gesetz zur Einhaltung von Menschenrechten gezwungen zu werden. Noch vor ein paar Tagen haben sie sich in einem Brief an den Fraktionschef der Union, Ralph Brinkhaus gewendet. Deutsche Unternehmen würden "im internationalen Wettbewerb benachteiligt", lautet ihre Klage.

Doch die Fakten sprechen dagegen, dass es die Wirtschaft selbst schafft, ethische Prinzipien durchzusetzen, etwa um die Produktion von Turnschuhen und Kleidern oder die Förderung von Rohstoffen zu überwachen. Das geht aus der entscheidenden Studie hervor, die die Bundesregierung bei der Unternehmensberatung EY in Auftrag gegeben hat.

Weniger als die Hälfte der Unternehmen überwacht ihre Lieferkette
Weit unter 50 Prozent der Unternehmen haben in dieser Umfrage nach SPIEGEL-Informationen darlegen können, über ein ausreichendes Überwachungssystem zu verfügen und transparent machen zu können, unter welchen Umständen die Güter hergestellt werden, die sie importieren. Das Ergebnis bestätige die Ergebnisse einer ersten repräsentativen Untersuchung unter deutschen Unternehmen aus dem vergangenen Jahr, erklärte ein Insider gegenüber dem SPIEGEL.

Die Resultate sollen heute auf einer Pressekonferenz im Bundesarbeitsministerium vorgestellt werden. Dort wollen Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) und Arbeitsminister Hubertus Heil darüber berichten. Sie wollen dabei auch die Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen und vermutlich Eckpunkte des Lieferkettengesetzes präsentieren.

Altmaier gegen Lieferkettengesetz, Versandhändler Otto dafür
Nicht mit dabei wird Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sein, der sich vehement gegen eine solche Regelung gewehrt hatte. Sein Ministerium hatte immer wieder versucht, die Kriterien für die Befragung der Unternehmen zu lockern. Das ist bei der zweiten Befragung auch gelungen - und dennoch sind die Resultate nicht besser geworden, so beschreibt es ein Kenner der Untersuchung.

Die Unternehmen hatten geltend gemacht, dass die Befragung für viele vor allem kleinere Firmen zu kompliziert sei. Andererseits fordert eine Reihe von größeren Konzernen wie etwa Daimler oder auch der Versandhändler Otto ein verbindliches Reglement, nicht nur wegen der Menschenrechte, sondern wegen gleicher Wettbewerbsbedingungen in der Wirtschaft.

Merkel will Gesetz vorantreiben
Jetzt droht der Streit über das Thema in der Großen Koalition zu eskalieren. Die Front verläuft dabei quer durch die Parteien, insbesondere weil einer der größten Befürworter eines Lieferkettengesetzes aus den Reihen der Union kommt: Gerd Müller. Er war im vergangenen Jahr bereits mit einem Gesetzentwurf vorgeprescht, sehr zum Missfallen von Wirtschaftsminister Altmaier.

Die Bundeskanzlerin will eine Eskalation in der Großen Koalition unbedingt vermeiden. Sie soll deshalb die Zankhähne im Kabinett zu einer gemeinsamen Kommunikation über die Ergebnisse sowie ein einheitliches Auftreten in der Angelegenheit gedrängt haben. Mit Blick auf die Ergebnisse soll sie den Auftrag erteilt haben, das Lieferkettengesetz voranzutreiben. Damit würde die Bundesregierung einer Vereinbarung im Koalitionsvertrag nachkommen.

Der Menschenrechtsexperte bei den Grünen, Uwe Kekeritz, sagte dem SPIEGEL: "Schon die Ergebnisse der ersten Unternehmensumfrage waren so schlecht, dass bessere Ergebnisse der zweiten Umfrage nicht zu erwarten waren." Der Grünenabgeordnete fordert die Regierung deshalb auf, unverzüglich ein wirksames Lieferkettengesetz vorzulegen.

spiegel


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