"Naidoo hat die Tür für Hildmann aufgestoßen"

  31 Juli 2020    Gelesen: 394
"Naidoo hat die Tür für Hildmann aufgestoßen"

Der jüdische Rapper und Buchautor Ben Salomo sagt: In Deutschland habe sich eine "Kultur des Wegsehens" entwickelt. Antisemitische Verschwörungstheoretiker hätten Narrenfreiheit. Die Leidtragenden am Ende: Jüdinnen und Juden.

Viele Jahre war Ben Salomo in der deutschen Rapszene aktiv, bevor er vor einigen Jahren die Reißleine zog. Dem Gründer der Veranstaltungsreihe "Rap am Mittwoch" wurde es zu viel mit dem Antisemitismus. Zu oft sah er sich mit Texten konfrontiert, die ganz offen das Existenzrecht seines Heimatlandes Israel in Frage stellten. Heute will Salomo vor allem aufklären und ist in Deutschland unterwegs, um an Schulen über Vorurteile gegen jüdische Menschen zu sprechen.

Doch gerade in Zeiten von Corona haben Verschwörungstheorien wieder Hochkonjunktur. Und die, die sie verbreiten, haben so oft das gleiche verzerrte Weltbild: Die Juden sind schuld. Die Justiz ist dabei oftmals ohnmächtig, sagt Salomo. "Ich habe in den letzten Jahren leider immer wieder das Gefühl gehabt, dass in Bezug auf Antisemitismus eine sehr laxe Haltung existiert. Sei es in Teilen der Justiz, in Teilen der polizeilichen Behörden, auch in Teilen der Politik. Das wird so ein bisschen als ein kleines Problem am Rande wahrgenommen, was es aber für Jüdinnen und Juden in diesem Land bedeutet, was es aber für die betroffenen Menschen bedeutet, das wird nicht richtig beachtet", sagte Salomo im "Frühstart" von ntv.

Auch der Prozess gegen den Attentäter von Halle beschäftigt Salomo. Spätestens jetzt könne Deutschland es sich nicht mehr leisten, das Thema nicht ernst zu nehmen. Man müsse verstehen, dass aus Worten im Internet eben Taten auf der Straße folgen. Ansetzen müsste man demnach vor allem dort, wo Verschwörungstheoretikern freie Bahn gelassen wird: "Die Grundlagen müssen geschaffen werden, dass solche Aussagen wie von Attila Hildmann oder Xavier Naidoo wirklich strafrechtlich verfolgt werden", sagt Salomo.

Weiter sagt der Rapper: "Wenn wir Xavier Naidoo nehmen: Der hat schon eine Tür aufgestoßen für Attila Hildmann, indem im Oktober letzten Jahres entschieden worden ist, dass Xavier Naidoo nicht als Antisemit bezeichnet werden darf." Für Jüdinnen und Juden sei dieses Gerichtsurteil ein "Skandal, weil uns Nachfahren der Überlebenden des Holocaust damit das Vokabular geraubt wird, um die Antisemiten unserer Zeit als das zu bezeichnen, was sie sind."

Antisemitismus als Geschäftsmodell

Auch im Rap-Geschäft stießen diese Hassbotschaften und Verschwörungstheorien auf einen fruchtbaren Boden, sagt Salomo. Unlängst machte der Rapper Sido mit Aussagen über die jüdische Familie Rothschild auf sich Aufmerksam und bediente ebendiese antisemitischen Verschwörungstheorien. In Großbritannien sorgte der Rapper Wiley für einen Skandal, weil dieser sich über vermeintliche "jüdische Privilegien" empörte. Der Rapper wurde nun vom Kurznachrichtendienst Twitter gesperrt.

Salomo erklärt: "Viele Rapper sehen sich dann mit der Zeit auch als so eine Art Aufklärer. Sie fangen an, diese Dinge zu glauben und sind der Ansicht, sie müssten ihr 'Geheimwissen' auch an ihre Fanbase weitertragen, um sie auch zu erwecken." Auch würden die Musiker feststellen, dass man in einem "bestimmten Teil der Bevölkerung" sehr beliebt werde, wenn man diese Thesen reproduziert. "Einige haben es dann auch zu einer Art Geschäftsmodell gemacht", sagt Salomo.

Es fehlt an Solidarität

Ob Salomo sich auch in Zukunft ein Leben in Deutschland vorstellen kann, lässt der Rapper offen. Der Gedanke, zurück nach Israel zu gehen, sei jedenfalls für ihn kein ganz neuer. "Das bewegt mich in meiner Gedankenwelt sehr häufig, nicht nur mich, auch viele andere Juden, die ich kenne, denken immer wieder darüber nach." Zwar sei es schön, zu wissen, dass es das Land Israel gibt und man dort eine Heimat habe, so Salomo, jedoch falle es vielen auch sehr schwer, einfach so aus Deutschland wegzuziehen. "Ganz viele sind hier aufgewachsen, so wie ich. Deutsch ist die Sprache, die ich am besten beherrsche. Man möchte das ja eigentlich gar nicht."

Doch vor allem in einem Punkt macht sich Salomo große Sorgen: "Eine Kultur des Wegsehens hat sich in diesem Land entwickelt und diese Kultur des Wegsehens ist im Prinzip das, was der jüdischen Minderheit in diesem Land das Gefühl gibt, dass es hier keine Zukunft gibt." Diese Entwicklung vergrößere den Raum für gefährliche Ideologien. Die, die sie verbreiten, schrecken dann auch vor Gewalt nicht mehr zurück.

Quelle: ntv.de


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