Straßenkämpfe nach Wahl in Belarus

  10 Auqust 2020    Gelesen: 460
Straßenkämpfe nach Wahl in Belarus

Schon vor der Wahl in Belarus rechnet die Opposition mit Manipulationen, jetzt sieht sie sich bestätigt. An einen Sieg Lukaschenkos mögen auch die vielen Protestierenden nicht glauben, die am Abend in Minsk und anderen Städten auf die Straße gehen. Die Polizei reagiert brutal.

Nach der Präsidentenwahl in Belarus (Weißrussland) sind landesweit Zehntausende Menschen gegen Wahlfälschung auf die Straße gegangen. Dabei kam es in der Nacht zum Montag zu blutigen Zusammenstößen mit der Polizei. Es gab viele Verletzte. Die Polizei ging brutal gegen friedliche Demonstranten vor. In der Hauptstadt Minsk setzten die Sicherheitskräfte Wasserwerfer, Gummigeschosse und Blendgranaten ein. Solche Proteste hat die Ex-Sowjetrepublik noch nie erlebt. Mit Spannung wird erwartet, ob sich Staatschef Alexander Lukaschenko äußern wird. Von ihm gab es zunächst keine Reaktionen.

Die Hoffnungen der Menschen ruhen nun auf der Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja. Nach Prognosen staatlicher Meinungsforscher soll die 37-Jährige die von Manipulationsvorwürfen überschattete Wahl verloren haben – zunächst war von einem fast 80-Prozent-Sieg von Staatschef Alexander Lukaschenko die Rede. Die Wahlkommission veröffentlichte aber auch Stunden nach Schließung der Wahllokale keine ersten offiziellen Ergebnisse. Es war lediglich die Rede von einem Sieg Lukaschenkos. Die Internetseite der Wahlleitung war zunächst nicht abrufbar - wie viele andere Webseiten in Belarus.

Tichanowskaja wollte ihre Niederlage nicht einräumen: "Es kann keine Anerkennung eines solchen Wahlergebnisses geben", sagte Sprecherin Anna Krasulina. Es sei damit zu rechnen gewesen, dass die staatlichen Prognosen Lukaschenko rund 80 Prozent der Stimmen zuschreiben würden. "Das ist fern jeder Realität." Von Lukaschenko gab es nach der Abstimmung keine Reaktion. Stattdessen kam im Innenministerium ein Krisenstab zusammen. Die Lage sei unter Kontrolle, teilten die Behörden staatlichen Medien zufolge mit.

Bis zu 100.000 Menschen demonstrieren in Minsk

Wie viele Menschen festgenommen wurden, ist bislang unklar. Die Menschenrechtsorganisation Wesna sprach in der Nacht von zunächst mehr als 50 Festnahmen allein Minsk. Landesweit sollen es demnach 120 gewesen sein. Diese Zahl dürfte weiter steigen. Nach Angaben von Beobachtern sollen sich in der Hauptstadt bis zu 100.000 Menschen an den Demonstrationen beteiligt haben. Auf Videos war etwa zu sehen, wie Demonstranten aus Müllcontainern Barrikaden errichteten. Menschenmassen zogen durch die Straßen - auch in anderen Städten des Landes.

In sozialen Netzwerken wurden immer wieder Videos veröffentlicht, wie Polizisten brutal auf Menschen einprügelten. Auch Demonstranten attackierten Polizisten, um Festnahmen zu verhindern. Es gab viele Bilder von blutüberströmten Menschen. Tichanowskaja rief die Sicherheitskräfte in der Nacht zum Gewaltverzicht auf. "Ich möchte Polizei und Militär daran zu erinnern, dass sie Teil des Volkes sind", sagte sie nach Angaben ihres Wahlkampfstabs. An ihre Anhänger appellierte sie, Provokationen zu unterlassen. "Ich weiß, dass die Menschen in Belarus morgen in einem neuen Land aufwachen werden", meinte Tichanowskaja.

Lange Schlangen vor den Wahllokalen

In einzelnen Orten kam es auch zu ersten Siegesfeiern für die Oppositionskandidatin. Die Menschen riefen die Uniformierten auf, sich dem Wählerwillen zu beugen und dem Volk anzuschließen. Weil viele Sicherheitskräfte nach Minsk verlagert worden seien, habe die Polizei in manchen Orten kaum Widerstand leisten können gegen die Menschenmengen, berichteten oppositionsnahe Portale im Internet, das landesweit zeitweise nicht funktionierte.

Wann offizielle Wahlergebnisse vorliegen, ist bislang nicht klar. Einzelne örtliche Wahlkommissionen traten am Abend vor die Menschenmengen und verkündeten Ergebnisse, nach denen Staatschef Lukaschenko eine schwere Niederlage erlitten habe. Teils kam Tichanowskaja demnach auf zwischen 80 bis 90 Prozent der Stimmen. Vor den Wahllokalen hatten sich am Sonntag teils lange Warteschlangen von einigen Hundert Metern gebildet. Das gab es in der Ex-Sowjetrepublik noch nie. Nach Angaben der Wahlkommission stimmten 84 Prozent der Wahlberechtigten ab.

Schon am Wahltag und in den Wochen davor gab es viele Festnahmen. Lukaschenko, der als "letzter Diktator Europas" gilt, hatte mit dem Einsatz von Militär gedroht, um seine Macht zu erhalten. In Belarus wird noch die Todesstrafe vollstreckt.

Ziel Tichanowskajas war es im Wahlkampf, die Abstimmung zu gewinnen, als Präsidentin alle politischen Gefangenen freizulassen und dann freie Neuwahlen anzusetzen. Sie kandidiert an Stelle ihres Ehemanns Sergej Tichanowski. Der regierungskritische Blogger sitzt wie der frühere Banken-Chef Viktor Babariko in Haft - wegen Anschuldigungen, die als politisch inszeniert gelten.

Quelle: ntv.de, ino/dpa


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