Latino-Wähler zweifeln an Biden

  16 September 2020    Gelesen: 460
Latino-Wähler zweifeln an Biden

Will Joe Biden ins Weiße Haus einziehen, muss er die Latinos von sich überzeugen. Nicht so einfach mit seiner Vergangenheit. Auch die permanenten Attacken von US-Präsident Trump verfangen.

Bereits in zwei Wochen verwandelt sich der US-Wahlkampf zur Wahl. Zunächst werden am kommenden Wochenende die Unterlagen an die Bürger im Ausland versandt. Aber, viel wichtiger: Am 24. September beginnt die Briefwahl in Florida. Jeder TV-Spot, jeder Wahlkampfauftritt, jeder Skandal wird dann potentiell direkt Stimmen bringen oder kosten. Gewinnt Trump nicht Florida, verliert er höchstwahrscheinlich auch die Wahl. So ist es seit fast einem Jahrhundert.

Wie auch sonstwo ist das Rennen in Florida knapp. Herausforderer Joe Biden kam Ende Juli bei Umfragen gegenüber Trump auf ein Plus von bis zu 8,4 Prozent. Es sah so aus, als könnte sich im Bundesstaat des Golfresorts Mar-a-Lago, wo Präsident Donald Trump so gerne seine freie Zeit verbringt, dessen Amtszeit dem Ende zuneigen. Doch inzwischen sieht es schon wieder anders aus. Der Vorsprung des Demokraten in den Umfragen ist verschwunden.

Mehr als 20 Prozent der Wahlberechtigten in Florida sind Latinos. Auch bei ihnen schneidet Biden derzeit nicht gut ab, liegt mit Trump nicht mehr als gleichauf. Zu diesem Zeitpunkt 2016 kam Hillary Clinton bei Latinos in Florida auf 59 Prozent gegenüber 36 Prozent für Trump. Trotzdem gewann Trump am Ende den Bundesstaat mit 1,2 Prozent. Warum hat Biden solche Probleme?

Anteilig weniger weiße Wähler

Florida gilt als Schlüsselstaat, den seit 1924 alle republikanischen Kandidaten für sich entscheiden mussten, um Präsident zu werden. Aber auch in anderen Staaten mit großer Latino-Bevölkerung, etwa in Arizona oder Nevada, steht viel auf dem Spiel. Von Latino-Politikern heißt es schlicht, Biden würde zu wenig tun, um die Wähler zu überzeugen. Er habe seinen Wahlkampf viel zu sehr auf Weiße und Schwarze ausgerichtet, so die Generalkritik. Kurz gesagt: Während ihm bei Afroamerikanern allein schon hilft, dass er Vize unter Barack Obama war, macht diese Vergangenheit Latinos auch skeptisch.

Bei der Präsidentschaftswahl 2020 werden nach den Weißen erstmals Latinos die größte Wählergruppe stellen. Die Demokraten und Biden sind auf sie ebenso angewiesen wie auf die Gruppe der Afroamerikaner. Gemeinsam mit den Amerikanern asiatischer Herkunft sind sie ein Drittel der Wählerschaft - ein so großer Anteil wie noch nie. Die anderen zwei Drittel gelten als Weiße. Biden kann sich der Stimmenmehrheit bei den nicht-weißen Wählern sicher sein, aber für einen möglichen Gesamtsieg ist entscheidend, mit welchem Vorsprung. Schon ein paar Prozentpünktchen könnten Trump weitere vier Jahre der Präsidentschaft bescheren.

Landesweit kam Biden im August bei Pew Research auf 89 Prozent bei Afroamerikanern, 67 Prozent bei asiatischen Amerikanern, aber nur 63 Prozent bei Latinos. Es fehle ein detaillierter Plan für die Einwanderungsreform, zudem gebe es zu wenige Latinos in Bidens engerem Kreis, kritisieren Latino-Politiker. Auch Bernie Sanders, der Anführer des linken Parteiflügels, der bei den Vorwahlen wesentlich besser unter Latinos abgeschnitten hatte als Biden, forderte eine aggressivere Strategie, um Wähler dieser Gruppe zu gewinnen.

Die Demokraten wollen nun gegensteuern. Michael Bloomberg kündigte an, 100 Millionen Dollar für Werbung in Florida auszugeben, um frühe Wähler von Biden zu überzeugen. Wegen des Coronavirus werden landesweit etwa 80 Millionen Briefwähler erwartet, mehr als doppelt so viele wie 2016. Bidens Wahlkampfteam hat bereits neue Latino-Experten engagiert und TV-Spots auf Spanisch produziert, schreiben US-Medien.

Zudem reist Biden erstmals seit Beginn des Lockdowns im März für einen Termin nach Florida - zu einer Veranstaltung, wo die Bedeutung der Latinos für die Gesellschaft herausgehoben werden soll. Einfach wird es auch dort nicht werden, die diverse Latino-Wählerschaft anzusprechen: In Florida sind das Exilkubaner und ihre in den USA geborenen Nachkommen, Exil-Venezolaner, Puertoricaner, Mexikaner und Kolumbianer, jeweils mit unterschiedlichen Interessen.

Exil-Kubaner wollen keinen "Sozialisten"

Die Republikaner und Trump attackieren die Demokraten schon seit Monaten damit, sie gehörten zur "radikalen Linken" oder seien deren Marionetten. Diese Argumente werden in Florida besonders aufmerksam gehört: Exil-Kubaner und inzwischen auch Exil-Venezolaner kommen aus offiziell sozialistischen Ländern, sie wollen damit aber nichts mehr zu tun haben. Exil-Kubaner erster Generation sind meist Anhänger der Republikaner und befürworten eine harte Sanktionspolitik gegen die kubanische Regierung.

Die Argumentation des Präsidenten, er habe die Wirtschaft schon einmal zu historisch herausragenden Zahlen getragen und könne es nun wieder tun, verfangen womöglich ebenfalls. Latinos sind besonders hart von der Wirtschaftskrise betroffen: Im Juni lag die gemeldete Arbeitslosigkeit in den USA bei 11,2 Prozent, unter Latinos bei 14,5 Prozent. Im Falle Nevadas leiden Latinos besonders darunter, dass in Las Vegas viele Spieltische und andere Einrichtungen stillstehen.

Auch Trumps Unterstützung für religiös Konservative sowie seine harte Vorgehensweise gegen die landesweiten Proteste stoßen auf Zustimmung, sagte der Präsident der League of United Latin American Citizens, der größten Latino-Bürgerrechtsorganisation der USA. Zugleich fehle den Demokraten ein großes Projekt, dass die Wähler elektrisiere, etwa die Krankenversicherung für alle, vor der sich Biden scheut, oder eine klar angelegte Einwanderungsreform in den ersten 100 Tagen der Amtszeit. Sprich: Biden müsste mehr nach links rücken.

Zwar erhielten rund vier Millionen Latinos wegen Obamacare erstmals eine Krankenversicherung, und auch wurden Menschen, die von ihren Eltern als Minderjährige in die USA gebracht wurden und deshalb keine Aufenthaltsgenehmigung haben, von den Abschiebungen ausgenommen. Aber zur fehlenden Begeisterung für Biden kommt ein gutes Gedächtnis über dessen Vergangenheit: In Obamas Präsidentschaft waren so viele Immigranten abgeschoben worden wie nie zuvor, insgesamt mehr als 2,5 Millionen Menschen. Fast alle waren Latinos.

Die meisten Einwanderer in die USA kommen aus Lateinamerika, sie machen auch zwei Drittel derer aus, die ohne Visum kommen. Zugleich hatte Obama aber fast nur Latinos abschieben lassen, besonders aus den Gefängnissen wurden sie zurück in ihre Herkunftsländer geschickt. Latino-Bürgerrechtler gaben Obama deshalb einen bitteren Spitznamen: "Deporter in Chief". Der "Oberste Abschieber", dessen Gehilfe Biden war.

Quelle: ntv.de


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