Der letzte Nationalspieler sagt tschö

  22 März 2017    Gelesen: 595
Der letzte Nationalspieler sagt tschö
Maskottchen? Klassenclown? Jetzt aber mal ganz langsam. Lukas Podolski ist einer, der mit dem Herzen spielt und so die Menschen berührt. Nun verabschiedet sich dieser großartige Fußballspieler aus der DFB-Elf. Das ist sehr schade.
Bei Lukas Podolski ist vieles ein wenig anders. Er ist der Letzte seiner Art. Normalerweise ist es so, dass ein Fußballprofi für einen Verein spielt. Und wenn er das gut oder gar sehr gut macht, lädt der Bundestrainer ihn zur Nationalelf ein. Das heißt aber nicht, dass dieser Spieler dann immer dabei ist. Spielt er irgendwann nicht mehr so gut oder ist ein anderer besser, muss er zu Hause bleiben. Das hat sich im Großen und Ganzen bewährt. Bei Lukas Podolski ist das umgekehrt. Er war in den vergangenen Jahren hauptberuflich für die deutsche Nationalmannschaft tätig. Vermutlich hat Joachim Löw ihn gar nicht mehr extra gebeten. Lukas Podolski war einfach immer dabei. Nur um die Zeit zwischen den Länderspielen zu überbrücken, hat er sich Jobs bei diversen Vereinen gesucht. Wenn jemand ein Nationalspieler ist, dann er. Doch nun hört er auf.

Das ist sehr schade, weil Lukas Podolski stets von ganzem Herzen dabei ist und damit die Herzen der Menschen berührt. Einer, dem der Zuschauer glaubt, dass es für ihn nichts Schöneres gibt, als Fußball zu spielen. Und erst recht nicht, wenn er das mit seinen Kollegen in der DFB-Elf tun darf. Fast genau 13 Jahre war er dabei, die Partie heute (ab 20.45 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) in Dortmund gegen England ist seine letzte, nachdem er im August vergangenen Jahres nach der Europameisterschaft in Frankreich nach 129 Spielen gesagt hatte, dass Schluss ist. Manche haben moniert, das sei ein bisschen zu spät, er hätte nach dem Turnier WM 2014 in Brasilien aufhören sollen, als Weltmeister, so wie Miroslav Klose und Per Mertesacker. Dann hätte er sich vor der EM auch nicht anhören müssen, er fahre nur als Maskottchen mit, als Spaßmacher.

"Ich genieße bis heute jede Minute"

Diese teils sehr unsachliche Kritik hat ihn getroffen. Das sei unverschämt, das habe er nicht verdient. Zu Recht. Diese Häme hat er nicht verdient. Nun, im Interview mit dem Magazin "11 Freunde", hat er noch einmal erklärt, dass er überhaupt nicht versteht, was die Leute wollen: "Ich hatte weiterhin Lust zu spielen. Das liegt mir einfach im Blut. Und ich hatte immer Lust auf die Nationalmannschaft. Da ist es auch egal, wenn ich mal auf der Bank sitze." Es sei doch so: "Es gibt 80 Millionen Deutsche, aber nur 22, 23 werden zu einem Länderspiel eingeladen. Wenn ich einer von denen sein darf, soll ich mich da beschweren?" Er sehe das ganz entspannt. "Ich bin als Zweijähriger mit meiner Familie nach Deutschland gekommen. Wir haben in einer Einzimmerwohnung gelebt, ich habe auf der Straße gekickt. Und jetzt habe ich bald 130 Länderspiele! Ich habe den WM-Pokal in die Höhe halten dürfen! Soll ich da wegen irgendetwas sauer sein? Ich genieße bis heute jede Minute, die ich auf dem Platz bin."

Die Zweifel haben ihn stets begleitet, im Grunde die vergangenen zehn Jahre. Immer wieder hat irgendjemand gefragt, ob dieser Lukas Podolski denn wirklich zu den besten Fußballspielern des Landes gehört. Er hat das alle unprätentiös weggelächelt und sich nicht beirren lassen. Mit seinem starken linken Fuß und seinem außergewöhnlichem Talent avancierte er zu einem der besten Angreifer in der Geschichte des DFB. Als alles anfing, war er 19 Jahre alt. Am 6. Juni 2004 beim 0:2 gegen Ungarn in Kaiserslautern hieß der Bundestrainer noch Teamchef. Rudi Völler wechselte ihn und Bastian Schweinsteiger in der zweiten Halbzeit ein. Das waren Zeiten, als noch viel von Rumpelfußball die Rede war und die Nationalelf nach Podolskis Debüt bei der EM in Portugal kein einziges Spiel gewann und in der Vorrunde ausschied.

Dann übernahm Jürgen Klinsmann, das Rumpeln verschwand und es ward wieder mehr Fußball. Bei der WM 2006 in Deutschland war Lukas Podolski einer der Hauptdarsteller. Im Achtelfinale gegen Schweden schoss er schnell zwei Tore und sorgte dafür, dass die Begeisterung wuchs. Hinterher haben sie ihn zum besten Nachwuchsspieler des Turniers gewählt. Mit Schweinsteiger bildete er das kongeniale Duo Schweini & Poldi, ein Image, das jahrelang trug, allerdings irgendwie auch in Richtung Maskottchen ging.

"Wir haben damals einen Generationswechsel angeschoben", sagte Lukas Podolski sechs Jahre später. "Natürlich war der Hype damals super. Ich fand das cool, wie wir gefeiert wurden, und habe das genossen. Zumal ich gemerkt habe, wie sehr sich die Menschen mit uns gefreut haben." Nach der WM wechselte er vom 1. FC Köln, seiner großen Liebe, zum FC Bayern. Es folgten drei Jahre, die verlorene Jahre waren. Er schaffte es unter vier Trainern nicht, sich durchzusetzen, unter Felix Magath nicht, nicht unter Ottmar Hitzfeld, nicht unter Jürgen Klinsmann und auch nicht unter Jupp Heynckes. Seitdem hat er den Ruf weg, zuallererst Nationalspieler zu sein.

So einen wünscht sich jeder

Bei der EM 2008 in Österreich und der Schweiz überragte Podolski mit zwei Toren im ersten Gruppenspiel gegen Polen, gegen das Land, in dem er 4. Juni 1985 geboren wurde. Beim 3:2 im Viertelfinale gegen Portugal war er einer der Besten. Und nach dem verlorenen Endspiel gegen Spanien wählte ihn die Uefa neben Philipp Lahm und Michael Ballack ins All-Star-Team der besten Spieler des Turniers. In der Qualifikation zur WM 2010 in Südafrika kam es zu einer Szene, die nicht so schön war.

Beim 2:0 gegen Wales in Cardiff im April 2009 ohrfeigte Lukas Podolski, 23 Jahre alt, Ballack, nachdem der ihn beschimpft hatte. Der Kapitän war empört: "Er ist ein junger Spieler und hat noch viel zu lernen. Ich hatte ihm da etwas zu sagen, er war damit nicht einverstanden. Es ging um eine taktische Sache. Das hat er einzusehen und darf nicht handgreiflich werden." Hinterher sollen sich beide, so die offizielle Version, unter der Aufsicht des Bundestrainers ausgesprochen haben.

Der DFB jedenfalls verzichtete darauf, seinen Liebling zu bestrafen. In Südafrika dann fehlte Ballack verletzt, Podolski war mittlerweile zurück in Köln und erzielte beim 4:0 gegen Australien das erste Turniertor der DFB-Elf - und verschoss im zweiten Spiel beim 0:1 gegen Serbien den ersten deutschen WM-Elfmeter seit 36 Jahren. Beim 4:1 im Viertelfinale gegen England traf er zum 2:0. Auch bei der EM 2012 in Polen und der Ukraine war er dabei. Das 2:1 im letzten Gruppenspiel gegen Dänemark war sein 100. Länderspiel: "Das ist genial, das berührt mich und macht mich wirklich sehr, sehr stolz." Nach 19 Minuten traf er zum 1:0. Beim Halbfinal-Aus in Warschau gegen Italien war er schlichtweg schlecht, Löw nahm ihn zur Halbzeit raus. Und nahm ihn zwei Jahre später mit nach Brasilen. Und auch wenn er dort nur beim 4:0 gegen Portugal zum Auftakt und im letzten Gruppenspiel beim 1:0 gegen die USA, also insgesamt 54 Minuten zum Einsatz kam: Lukas Podolski ist Weltmeister. Das hat er sich verdient.

Sein letztes Turnier war die EM im Sommer vergangenen Jahres in Frankreich, noch einmal lud der Bundestrainer ihn und Schweinsteiger ein. "Er ist eine Persönlichkeit, die der Mannschaft viel geben kann", sagte Löw über Podolski. Im Achtelfinale gegen die Slowakei wechselte der Bundestrainer ihn das erste und einzige Mal ein - nach 72 Minuten, beim Stand von 3:0. Er ist einer, den sich jeder Fan in seiner Mannschaft wünscht. Das wissen sie in Köln, am Effzeh hängt sein Herz noch immer. Das wissen sie aber auch beim FC Bayern in München, beim FC Arsenal in London, bei Inter Mailand und nun bei Galatasaray in Istanbul. Bei Vissel Kobe freuen sie sich schon darauf, dass er im Sommer zu ihnen nach Japan kommt.

Und wer bisher 129 Mal für die DFB-Elf spielte und dabei 48 Tore erzielte, ist gewiss mehr als ein Klassenclown. Mehr Länderspiele als er haben nur Lothar Matthäus mit seinen wohl auf ewig unerreichten 150 Einsätzen und Miroslav Klose mit 137 Partien. Und mehr Tore haben nur Klose, nämlich 71, und Gerd Müller, 68, erzielt. Und doch sind es nicht diese Zahlen, die dafür sorgen, dass die Menschen Lukas Podolski nicht vergessen werden - sondern seine unverstellte Art, weil er ist, wie er ist. Im Interview mit der "Zeit" hat er, der spricht, wie er spielt, einfach direkt, geradeaus, mal gesagt: "Ich habe ja auch keinen Bock, mich zu verstellen. Ich bin der Lukas, ich habe Spaß am Spiel und Spaß am Leben." Und das ist einfach unschlagbar.

Quelle: n-tv.de

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