Wenn ein Pony den Hengst macht

  29 März 2016    Gelesen: 772
Wenn ein Pony den Hengst macht
Sein Name klingt nach den Weiten des wilden Westens: Mustang. Über 50 Jahre hat es gedauert, bis der berühmteste Ford auch hierzulande bestellt werden kann. Jetzt gibt es Lieferengpässe. Warum das so ist, klärt der n-tv.de-Praxistest.
Amerikanischer Hang zur Unvernunft kann sich in der Wahl der Präsidentschaftskandidaten manifestieren, aber auch in der des Pkw-Motors. Entscheidet man sich für einen V8, ist das politisch natürlich völlig inkorrekt und anachronistisch obendrein. Downsizing und Turbolader, Brennstoffzelle und E-Motor haben jedoch an einer Erkenntnis nichts zu ändern vermocht: Hubraum ist durch nichts zu ersetzen – außer durch Hubraum.

Fünf Liter sind es im Falle des aktuellen Fords Mustang GT, jener Ikone des amerikanischen Traums, die als einzige außer der Corvette die Ölkrise, die Iran-Krise und die Finanzkrise unbeschadet überstanden hat. Klar, es gibt auch noch einen Mustang mit Vierzylinder, aber sowas können doch nur irregeleitete Europäer gut finden, oder?

Als vor mehr als 50 Jahren der erste Mustang auf der Bildfläche erschien und das galoppierende Typensymbol auch ohne Sattel Vorreiter für die amerikanische Pkw-Gattung der Pony-Cars wurde, begann er seine Karriere mit bescheidenen 2,8 Litern Hubraum. Sein Erfolg war unter anderem darin begründet, dass er das Prinzip der individuellen Ausstattungs-Möglichkeit, das die Hersteller erst zum Ende des Jahrhunderts wieder entdeckten, bereits vorweg nahm. Jeder Kunde konnte sich seinen ganz persönlichen Mustang zusammen stellen.

Nur 102 Euro je Pony-Stärke

Heute verfolgt Ford das gegenteilige Vermarktungsmuster. Viel drin, nur wenige kostenpflichtige Extras. Der Kampfpreis ist geblieben. Mit "schnellem Rücken" (Fastback) ist das Auto für 43.000 Euro zu haben. Das sind 102 Euro je Pferde-, respektive Pony-Stärke. Ein mit annähernd gleicher Leistung ausgestatteter Porsche 911 Carrera S kostet dagegen 264 Euro je PS. Kein Wunder also, dass in diesem Jahr schon mehr als 1000 der galoppierenden Vierbeiner im deutschen Straßenverkehr neu angemeldet wurden – trotz eines halben Jahres Lieferzeit. Dass mehr als zwei Drittel davon einen V8-Motor haben, ist wohl dem Wunsch nach dem wahren, ehrlichen und authentischen Pony-Car zuzuschreiben. Wie viel Liebhaberei in den Zulassungszahlen steckt, ist auch daran zu erkennen, dass mehr als 60 Prozent der Anmeldungen von privaten Haltern vorgenommen werden, während es zum Beispiel beim Porsche 911 nur etwa 35 Prozent sind.

Nicht immer war Design eine Stärke US-amerikanischer Autobauer, der heutige Ford Mustang ist zum Glück kein Beispiel dafür. Auf stattlichen 4,78 Metern Außenlänge wird eine moderne Formensprache mit Retro-Elementen so geschickt verschmolzen, dass es des eiligen Pferdes im Zentrum des Kühlergrills eigentlich nicht mehr bedurft hätte. Das stürmt ein Mustang heran, das ist unverkennbar, egal aus welcher Perspektive man den Wagen erblickt. Die 1,45 Meter lange Motorhaube mit ihren zwei vorwitzigen Längsfalten hat einen ebenso ikonografischen Charakter wie die muskulöse Seitenpartie und der freche Heckbürzel mit Spoilerfunktion auf dem Kofferraumdeckel.

Dass dort die Öffnungstaste des Kofferraums weit unten am Stoßfänger liegt und die Klappe keinen Griff hat, ist verzeihlich. Die senkrechte Reliefstruktur der Heckleuchten untermauert die Einzigartigkeit der Optik. Dort hinten ist auch zu erkennen, dass Schnäppchenpreise mitunter Kompromisse fordern: Beim Testwagen, gerade 7000 Kilometer alt, beschlugen die Leuchtengläser wiederholt von innen, was langfristig zu Korrosion in Leuchtenteilen führen kann.

Zurschaustellung von Saft und Kraft

Doch Auftritt und Gesamteindruck verfehlen ihre Wirkung nicht. Ihnen zollen, auch das ein Ergebnis dieses Tests, Passanten aller Altergruppen Respekt. Selbst im Rentenalter werden noch Hälse gereckt, während Schüler ihre Sympathie unverhohlen durch Daumenrecken bekunden. Die hohe Gürtellinie und die schmalen Seitenfenster komplettieren das potente und rassige Erscheinungsbild. Nach stilistischen Fehlgriffen Anfang der 2000er Jahre ist der Fastback-Mustang nun wieder als zeitgemäße Interpretation des durch Steve McQueens Autojagd in "Bullit" unsterblich gewordenen Filmautos zu erkennen – bullig, kantig, als kompromissfreie Macho-Mühle.

Visuelles Muskelspiel bestimmt auch den Innenraum, Eleganz ist weniger gefragt. Nicht immer wirkt die Zurschaustellung von Saft und Kraft stilsicher oder gar praktisch. Auf den polierten Kippschaltern der Mittelkonsole sind die Symbole ihrer Funktion kaum zu erkennen. Als humorvoller Hinweis auf einen Überflieger lässt sich noch der eingeprägte Schriftzug "Ground Speed" auf der Tachoskala deuten, wobei das "Revolutions per Minute" auf dem Drehzahlmesser nebenan eher unfreiwillig komisch wirkt. Für 1800 Euro extra kann man sich zwar schmale, aber superbequeme Renn-Halbschalen von Recaro einbauen lassen, muss dann jedoch auf die Heizung für die Lederpolster verzichten. Als gelungene Reminiszenz an die vermeintlich gute, alte Zeit sind die trichterförmig verlaufenden Speichen des Lenkrades zu erkennen, denen eine Überladung mit Tasten erspart blieb.

Die gewaltige Fronthaube verbirgt einen nicht weniger beeindruckenden Achtzylinder, der als einziges Zugeständnis an die Moderne über eine Direkteinspritzung verfügt. Die 4951 Kubikzentimeter Hubraum werden auf natürlichem Ansaugwege mit Kraftstoffgemisch befüllt, dessen achtfache Explosion sich zu einer Leistung von 421 PS und einem Drehmoment von 524 Newtonmetern addiert. Vergleichbar mit diesen Werten ist auf dem deutschen Markt nur noch der Chevrolet Camaro, der mangels funktionierender Vertriebsstruktur kaum als Konkurrent gelten kann und der Lexus RC-F, der zwar rund 50 PS mehr hat, dafür aber auch gleich den Gegenwert einer Mittelklasselimousine mehr kostet.

Dekorative Sitzmulden hinten

Für ein sportliches Coupé hat der Mustang erstaunlich viel Kofferraum. Mehr als 400 Liter nennt das Datenblatt. Hinderlich für die Beladung sind lediglich die schmale Öffnung (40 Zentimeter) und die hohe Kante (76 Zentimeter). Da die hinteren Sitzmulden eher dekorativen Charakter haben und schon wegen des komplizierten Zustiegs allenfalls für Kinder geeignet sind, legt man am besten gleich die Rückenlehnen um und erhält ein bis zu 160 cm tiefes Gepäckabteil. Die nutzbare Gesamtzuladung ist mit 510 Kilogramm angegeben.

Als Kraftübertragung stehen ein manuelles Sechsganggetriebe (wie beim Testwagen) oder eine sechsgängige Automatik zur Wahl. Der Stummelhebel der Handschaltung rastet kurzwegig und knackig durch die Gassen. Zur Standardausstattung gehören Alarmanlage mit Innenraumüberwachung, Berganfahrassistent, Brembo-Bremsen, Tempomat, automatisch abblendender Innenspiegel, Polster- Lenkrad- und Schaltknaufbezüge in Leder, Klimaautomatik, Rückfahrkamera, Regensensor, Xenon-Scheinwerfer, 19-Zoll-Leichtmetallräder und Alupedale. Nur das Glühlampen-Tagfahrlicht wirkt etwas antiquiert.

Welch ein Gewinn die Rückfahrkamera ist, lernt man beim ersten Einparken, da aber die Sicht nach vorn nicht viel besser ist als die aus dem Heckfenster, wären Abstandssensoren für die Bugschürze sehr wünschenswert. Wohl eher zur Pony-Folklore zu zählen ist die Umfeldbeleuchtung, die bei Dunkelheit das Markenlogo auf den Boden neben den Türen projiziert. Ließe man die serienmäßige Audio-Anlage weg, nur die wenigsten würden sie vermissen: Der Achtzylinder und die Doppelrohr-Auspuffanlage produzieren über den gesamten Drehzahlbereich einen herrlich bassigen, volltönenden und erdigen Sound, der so raffiniert auf die Insassen gelenkt wird, dass auch energische Ampelspurts nicht zur Belästigung für die Umgebung werden.

Maßvolle Verbrauchsüberschreitung

Das neu konstruierte Fahrwerk samt Einzelradaufhängung kann europäische Ansprüche durchaus zufriedenstellen. Desgleichen gilt für die Lenkung, die trotz der wegen des schweren Motors enormen Servo-Unterstützung hinreichend gefühlsecht und präzise ist. Als Zugeständnis an den Zeitgeist weist ein winziger grüner Pfeil im Zentraldisplay auf rechtzeitiges Hochschalten hin, was der Motor dank seines saftigen Drehmoments klaglos verkraftet. Einen spürbaren Spareffekt sollte man von niedrigen Drehzahlen freilich nicht erwarten, zumal sich Ford zur Installierung einer Stopp-Start-Automatik nicht durchringen konnte. Der Testverbrauch lag mit 14,3 Liter maßvoll über der Herstellerangabe, nur ist der 61 Liter kleine Kraftstoffbehälter dafür etwas schmal bemessen.

Satt und fest liegt das Coupé auf der linken Spur, das herzhafte Grollen des V8 verströmt den Klang von Freiheit und Abenteuer. Alles bestens, wäre da nicht die verhaltensauffällige Motorhaube, die ab 180 km/h ein Eigenleben zu entwickeln scheint. Das Flattern der großen Metallplatte fördert nicht den Wunsch, noch kräftiger aufs Gas zu steigen. Von derart nostalgisch anmutenden Erscheinungen abgesehen erfüllt der Mustang GT in vollem Umfang die an ihn gestellten Erwartungen:

Fazit: Die große Nachfrage gibt Ford Recht. Der erstmals offiziell in Europa angebotene Mustang trifft den Nerv der Kundschaft. Die Aura einer Automobil-Ikone, gepaart mit umfangreicher Ausstattung und einem sensationell günstigen Preis lassen die Herzen der Fans höher schlagen. Selbst der sprichwörtlichen schwäbischen Hausfrau hätte der Mustang etwas zu bieten: Was man in der Anschaffung gegenüber anderen Fahrzeugen dieser Leistungsklasse spart, reicht für viele tausend Kilometer Sprit im Tank.

DATENBLATT Ford Mustang GT
Abmessungen (Länge/Breite/Höhe) 4,78/ 1,92/ 1,38 m
Radstand 2,72 m
Leergewicht (DIN) 1780 kg
Sitzplätze 2+2
Ladevolumen 408 Liter
Motor V8-Zylinder-Ottomotor mit 4951 ccm Hubraum
Getriebe 6-Gang Handschaltung
Leistung 310 kW/ 421 PS bei 6500 U/min
Kraftstoffart Superbenzin
Antrieb Heckantrieb
Höchstgeschwindigkeit 250 km/h (abgeregelt)
max. Drehmoment 530 Nm bei 4250 U/min
Beschleunigung 0-100 km/h 4,8 Sekunden
Tankinhalt 61 Liter
Normverbrauch (kombiniert) 13,5 l
Testverbrauch 14,3 l
Effizienzklasse EU6
Grundpreis 43.000 Euro
Preis des Testwagens 48.400 Euro

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