Dem IOC droht eine Mogelpackung

  21 Oktober 2016    Gelesen: 633
Dem IOC droht eine Mogelpackung
Olympia 2020 sollten Spiele der kurzen Wege werden. Doch was interessieren Tokio die Versprechen von gestern? Wenig. Nun wird klar, dass das Bewerbungsverfahren des IOC fatale Schwächen hat.
Rio ist gerade noch einmal gutgegangen - und schon geht der Ärger in Tokio weiter. Dort wurden die Kosten der Olympischen Spiele 2020 - ursprünglich auf 6,1 Milliarden Euro angesetzt - von einer Expertengruppe auf das Vierfache geschätzt, und jetzt zieht die Stadtregierung unter Führung der neuen Gouverneurin Yuriko Koike angesichts stark gestiegener Baupreise die Kostenbremse. Das Konzept der kurzen Wege, mit dem Bewerber Tokio 2013 in Buenos Aires seine Mitbewerber aus dem Feld schlug, scheint die Politikerin nicht als bindend anzusehen, dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) droht eine Mogelpackung.

„Tokio und Japan haben gewonnen, weil sie ein sehr überzeugendes Konzept präsentiert haben“, beschwor IOC-Präsident Thomas Bach bei seinem Treffen mit Koike in Tokio. „Ich denke, es ist im Interesse Japans, des IOC und Tokios, dass wir die Wettbewerbsregeln nicht nach der Wahl ändern. Denn wir alle wissen, dass das japanische Volk und die Einwohner Tokios verlässliche Partner sind, die ihr Versprechen einhalten.“

Aber was will er machen, wenn Tokio sich stur stellt? Das IOC muss feststellen, dass sein Bewerbungssystem verhängnisvolle Mängel hat. Es führt Olympia in eine fatale Abhängigkeit von den politischen Strömungen an den Austragungsorten. Der Plan von Gouverneurin Koike ist es unter anderem, mehrere Neubauten zu streichen und die mehr als 50 Jahre alte Ruderstrecke der Spiele von 1964 zu reaktivieren - in mehr als 400 Kilometer Entfernung vom olympischen Zentrum. Bach erinnerte Koike daran, dass die Athleten und ihre olympische Erfahrung eigentlich im Zentrum der Spiele stehen müssten.

Jetzt soll eine Arbeitsgruppe mit Vertretern der japanischen Regierung, der Stadtregierung, des IOC und des Organisationskomitees nach Lösungen suchen. Die Option, die Ruderwettbewerbe gleich ganz nach Korea auszulagern, ist bisher nur ein Gerücht, das den Forderungen des IOC ein bisschen mehr Druck verleihen könnte. Aber klar ist: Gebaut wird nur, was Tokio zahlen will.

Der einzige Trost: Dass die Spiele noch einmal so ins Trudeln geraten wie in Rio, ist nicht zu erwarten. Dort wurde dem IOC deutlich vor Augen geführt, wie radikal sich sein Verhältnis zu einem Bewerber wandeln kann, wenn er den Zuschlag erst erhalten hat. Bei der Vergabe weinte Brasiliens damaliger Staatspräsident Lula noch Tränen der Rührung. Während der Vorbereitung brach den verantwortlichen im IOC und in den Weltverbänden der Schweiß aus. Rio ging buchstäblich pleite, der Zuschuss des IOC von 1,5 Milliarden Dollar reichte nirgends hin. Noch während der Spiele legte das Organisationskomitee tagelang die Arbeit nieder und gefährdete damit nicht nur den Ablauf, sondern die vom IOC teuer verkauften Fernsehbilder. Offensichtlich sollte das IOC zu einer Erhöhung seines Zuschusses gezwungen werden.

Wie sehr sich das Verhältnis zwischen Olympia und Brasilien verschlechtert hat, zeigen drei Beispiele. Der unbeliebte Interimspräsident Michel Temer hielt sich weitgehend fern, um seine Imagewerte nicht noch mehr zu verspielen. Das in illegalen Tickethandel verwickelte irische IOC-Exekutivmitglied Patrick Hickey wurde auf demütigende Weise vorgeführt. Und Bach kehrte zu den Paralympics nicht mehr nach Rio zurück.

Die Erfahrungen mit Rio und jetzt mit Tokio zeigen, wie sehr sich das IOC und die Politik auseinandergelebt haben. Dazu kommt die jüngste Vollbremsung von Rom - die laufende Bewerbung um die Spiele 2024 wurde von der neuen Bürgermeisterin Virginia Raggi beendet. „Eine politisch motivierte Entscheidung“, schrieb Bach an das Italienische Olympische Komitee (Coni). Doch was nützt die Erkenntnis? Die Politik scheint den Imagegewinn, den Olympische Spiele mit sich bringen, nicht mehr höher zu bewerten als die Ausgaben dafür, seien es nun Veranstaltungs- oder Infrastrukturkosten, wie das IOC immer wieder zu differenzieren versucht. Geld ist eben Geld, egal in welchen Büchern die Belege abgeheftet werden. Und die jüngsten Doping-Skandale mit Russland im Zentrum beschädigen die Olympische Bewegung ohnehin in ihrer Kernbotschaft. Höchste Wertschätzung genießen Sport-Großveranstaltungen nur noch in wenigen Ländern wie wiederum Russland, was das Ansehen Olympias im Westen nicht verbessert.

Bachs unermüdliche Reisetätigkeit hat nicht geholfen - die Bewerbungslage hat sich seit seiner Wahl zum Präsidenten vor drei Jahren verschlechtert. Er muss sich auf andere Weise aus der Zwickmühle befreien. Möglicherweise wird er den kompletten Bewerbungsprozess umdrehen. Nicht mehr warten, bis die Politik sich irgendwo zu einer Bewerbung durchringt. Sondern potentielle Bewerberstädte aktiv für Olympia gewinnen. Gäbe es dieses Verfahren schon, wären Hamburgs Bewerbungspläne für die Spiele 2024 womöglich nicht gescheitert.


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