Die Machtoptionen des Scharfmachers

  30 Mai 2018    Gelesen: 719
Die Machtoptionen des Scharfmachers

Gegen Europa und gegen Migranten - mit dem Programm ist die Lega Nord vom kleinen Spinner-Verein zum Machtfaktor in Italien gewachsen. Jetzt erst recht.

Die Rechtspopulisten von der Lega - sie haben einst als Clowntruppe in der Politik angefangen:


In Treviso zum Beispiel, eine der saubersten und reichsten Städte Italiens, herrschte fast zwei Jahrzehnte lang Giancarlo Gentilini. "Der Sheriff", wie er sich selbst gern nannte, hasste Bolschewisten (also alle Linken), Burkas ("will ich in der Stadt nicht sehen") und Migranten (weil die TBC, Aids und die Krätze ins Land bringen), darunter besonders "Neger" und "Muselmanen". Man solle sie "in Hasenkostüme stecken" befand er, "dann hätten unsere Jäger was zum Üben". Aber das war natürlich nur ein Scherz, sagte er lachend und präsentierte seine Sammlung von Spielzeug-Cowboypistolen.

Ja, so scherzte man im Lega-Land, im Norden Italiens, als dort noch Parteigründer Umberto Bossi jedes Jahr an der Quelle des Po, des vergöttlichten Flusses einer Pseudo-Kelten-Ideologie, Wasser entnahm, um es in Venedig ins Meer zu schütten. Das sollte irgendwie die "Reinheit des Nordens" symbolisieren. Denn im Süden Italiens, da wohnten die "Erdfresser", die auf Kosten der fleißigen, steuerzahlenden Menschen im Norden lebten. Und auf halber Strecke lag die Hauptstadt Rom, "Roma Ladrona", der diebische Hort der korrupten Politiker. So klar geordnet war die Lega-Welt und es war nicht schlimm, weil die Lega-Menschen im Rest Italiens ja nichts zu sagen hatten.

Aber dann griff die Bossi-Sippe zu ungeniert in die Parteikasse, Altvater Umberto musste den Hut nehmen und bald machte sich Matteo Salvini die skurrile Partei untertan. 1973 geboren, Studienabbrecher, Journalist beim Partei-Radio, dann Partei-Sekretär in einer Provinz, dann in einer Region und ab Dezember 2013 Chef der ganzen Lega Nord. Die hatte bei den Parlamentswahlen im Februar jenes Jahres gerade einmal vier Prozent der Stimmen geholt.

Rassentrennung in der Bahn


Aber mit Matteo Salvini wurde alles anders. Der gab sich nicht versponnen-keltisch, sondern ätzend und verletzend, ein Mann der Straße, gern im T-Shirt, mit einem Hang zu Prolo-Auftritten und sprachlichen Fäkal-Einlagen: Ein Mann in Wut gegen das römische Establishment.

Nicht, dass er inhaltlich anderes redete als der Sheriff von Treviso. Salvini schlug eine Rassentrennung von Einwanderern und Italienern in Eisenbahnwagen vor. Er warf dem Papst, als der sich migrantenfreundlich äußerte, die "Globalisierung des Verbrecherischen" vor. Der Euro war für ihn eine "kriminelle Währung", Brüssel der Sitz von Bösewichtern, die Italien kujonieren. Nachdem ein Lega-Anhänger im Februar dieses Jahres in Macerata auf afrikanische Migranten geschossen und sechs von ihnen verletzt hatte - aus Rache, weil zuvor ein anderer Mann mit schwarzer Haut ein Verbrechen begangen hatte - twitterte der Lega-Chef, die "unkontrollierte Einwanderung" führe eben zu "Chaos, Wut und sozialen Zusammenstößen".

Und, plötzlich, es fiel erst gar nicht so auf, erreichte das Lega-Mantra - schuld an allem sind Ausländer und EU, Ausländer und EU - viel mehr Italiener, als nur die ihm Norden. Heute ist die Lega eine Gefahr.

Zwei-Drittel-Mehrheit für das Anti-Establishment

Bei den Parlamentswahlen am 4. März dieses Jahres wurde das erstmals so richtig deutlich. Fünf Jahre zuvor waren die Nord-Irrlichter bei gerade einmal vier Prozent gelandet, nun votierten über 17 Prozent der Italiener für sie. Und seit dem Wahltag, während der langen Verhandlungen über ein gemeinsames Regierungsprogramm mit dem anderen Wahlsieger, der Protestbewegung MoVimento5Stelle und dem langen Streit mit dem Staatspräsidenten über eine solche Regierung, wächst der Zuspruch zu dieser radikalen Anti-EU und Anti-Migranten-Partei stetig weiter. Derzeit liegt sie in Umfragen bei etwa 25 Prozent.

Jetzt, während eine Übergangsregierung den Staat bis zu Neuwahlen verwalten soll, kann Matteo Salvini in Ruhe abwägen, was er will. Denn er hat gleich zwei Machtoptionen.

Die eine wäre die Wiedergeburt des zerbrochenen Rechtsbündnisses mit Silvio Berlusconis Partei Forza Italia und dem Sammelbecken der Postfaschisten, den Fratelli d'Italia (Brüdern Italiens). Nach heutigem Stand würde das Trio locker über 40 Prozent der Stimmen holen, womöglich sogar nah an die 50 kommen. Eine Regierungsmehrheit wäre wahrscheinlich. Der Vorteil: Die inneren Widersprüche der Partner sind geringer, das Regieren würde leichter als in der Variante zwei.
Diese wäre die Fortsetzung und Festigung der Allianz mit der 5-Sterne-Bewegung mit einem gemeinsamen Wahlauftritt. Diese bekäme, das zeigt eine von der Zeitung "La Stampa" am Dienstag veröffentlichte Simulation, womöglich sogar eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Wenn die Wähler genauso abstimmen wie am 4. März, würde das Sterne-Lega-Duo gemeinsam 90 Prozent aller Direktmandate in Italien holen. Dazu kämen die proportional verteilten Sitze. Beides summierte sich, nach dieser Simulation, in den beiden Kammern des Parlaments auf 69 bzw. 68 Prozent der Sitze.

Diese Variante wäre mithin erfolgreicher, hätte aber den Keim des Streites beim Regieren in sich. Denn eigentlich sind die beiden Partner grundverschieden. Die Lega ist rechtsradikal, vertritt kleine Unternehmer, Facharbeiter, das Bürgertum des reichen Nordens. Deshalb verspricht sie Steuersenkungen in großem Umfang. Die internetbasierte Sterne-Bewegung wurde insbesondere von den Armen, den Arbeitslosen im Süden gewählt. Deshalb hat sie denen höhere Renten und ein Mindesteinkommen versprochen. Alles zusammen würde Italien an den Rand des Ruins bringen, das wollen die Wähler nun auch wieder nicht.

spiegel


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