Präsident Recep Tayyip Erdogan spricht seit seinem Wahlsieg vom 24. Juni gerne von der "neuen Türkei", die nun endgültig Gestalt annehme. Die vergangenen zwei Wochen sahen jedoch sehr nach der "alten Türkei" aus:
Die Regierung hat am Sonntag weitere 18.000 Staatsbeamte entlassen.
Innenminister Süleyman Soylu machte zuletzt die linke, prokurdische Partei HDP für den Terror der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK verantwortlich und sagte: "Ihr habt kein Recht mehr zu leben; geht, wohin immer ihr wollt."
Der Rechtsextremist Devlet Bahceli, ein Bündnispartner Erdogans, veröffentlichte eine "schwarze Liste" mit den Namen von Journalisten, an denen er sich zu rächen gedenkt.
Am Montagnachmittag nun wird sich Erdogan in Ankara zum Präsidenten vereidigen lassen. Er hat angekündigt, am selben Tag den Ausnahmezustand, der seit dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli 2016 gilt, aufzuheben. Seine autoritäre Herrschaft dürfte er trotzdem eher ausbauen als einschränken.
Erdogan war einst angetreten, den türkischen Staat herauszufordern. Spätestens seit dem 24. Juni ist er selbst der Staat. Die Bürger haben ihn bei den Wahlen nicht nur mit 52 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt, sondern zugleich auch seine umstrittene Verfassungsreform gebilligt. In dem neuen Präsidialsystem, das mit der Vereidigung der neuen Regierung in Kraft tritt, ist Erdogan Staats- und Regierungschef zugleich. Er entscheidet über Minister- und Richterposten und kann das Parlament nach Belieben auflösen.
Erdogan wird am Montag auch seine Stellvertreter und Minister vorstellen - und deutete bereits an, dass es zu einer Reihe von Neubesetzungen kommt. Der Präsident hat sein Land in den vergangenen Jahren zu einem Familienbetrieb umgebaut, das setzt sich nun offenbar fort. Sein Schwiegersohn, Energieminister Berat Albayrak, der als Kronprinz gehandelt wird, wird womöglich noch weiter aufsteigen: Er könnte in der neuen Regierung Vizepräsident werden.
Außenminister Mevlüt Cavusoglu ist seinen Job hingegen ziemlich sicher los und könnte durch Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin ersetzt werden. Internationale Diplomaten sehen dem möglichen Wechsel mit gemischten Gefühlen entgegen: Zwar ist Kalin dem Amtsinhaber Cavusoglu intellektuell deutlich überlegen, doch zugleich eben auch ein Islamist, der Erdogans "Turkey First"-Doktrin wohl bedingungslos vertreten würde.
Offen bleibt, was aus Vizepremier Mehmet Simsek wird, der bislang für Finanz- und Wirtschaftsfragen zuständig war. Simsek, vor seiner Politik-Karriere unter anderem für die Investmentbank Merrill Lynch tätig, gilt als vergleichsweise moderat. Er ist einer der wenigen türkischen Regierungspolitiker, die von internationalen Investoren geschätzt werden. Erdogan hingegen hat ihm nie ganz vertraut. Sollte der Präsident Simsek aus dem Kabinett entfernen, dürfte dies die ohnehin fragile türkische Wirtschaft weiter destabilisieren.
Bei aller Machtfülle: Die Umstände seines Erfolgs machen Erdogans Herrschaft anfällig für Krisen. Er hat seine Partei, die AKP, so sehr heruntergewirtschaftet, dass diese nicht mehr in der Lage war, bei den Parlamentswahlen, die zeitgleich zur Abstimmung über den Präsidenten stattfanden, ihre Mehrheit zu behaupten. Er musste ein Bündnis mit der rechtsextremen MHP eingehen, die bei den Wahlen überraschend auf 11 Prozent kam.
MHP-Chef Bahceli und Erdogan haben sich bekämpft, ehe sie nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 eine strategische Partnerschaft eingingen. Bahceli hat dem Präsidenten geholfen, die Verfassungsänderung durchzusetzen. Er war es auch, der im April erstmals Neuwahlen ins Spiel brachte. Für seine Kooperation wird er von nun an eine Gegenleistung einfordern. Es ist durchaus denkbar, dass Erdogan Bahceli am Montag neben seinem Schwiegersohn zu seinem Stellvertreter ernennen wird. Und selbst wenn der MHP-Chef kein Amt erhält, wird seine Partei bei Regierungsentscheidungen mitreden.
Für Europa dürfte der Umgang mit der Türkei unter der neuen Regierung nicht einfacher werden.
spiegel
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