Warnung vor massivem Konjunktureinbruch

  09 Mai 2022    Gelesen: 686
  Warnung vor massivem Konjunktureinbruch

Ohne russisches Gas könnte die Wirtschaft um bis zu zwölf Prozent einbrechen, warnt eine neue Untersuchung. Möglich ist demnach »eine Wirtschaftskrise, wie sie Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg nicht erlebt hat«.

Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine streiten deutsche Ökonomen über die Auswirkungen eines russischen Gaslieferstopps auf die deutsche Wirtschaft. Laut einer neuen Studie hätte ein Embargo dramatische Folgen für die Konjunktur.

Ein abrupter Stopp der Versorgung mit russischem Erdgas würde das deutsche Bruttoinlandsprodukt in den ersten zwölf Monaten zwischen drei und acht Prozent einbrechen lassen, rechnet der Mannheimer Ökonomieprofessor Tom Krebs in einer Studie vor, die vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung gefördert wurde. Zudem dürfte ein Energiepreisschock dazu führen, dass die Nachfrage nach Gütern einbricht, weil Verbraucher verunsichert werden, so der Ökonom. Das könne die Wirtschaftsleistung um weitere zwei bis vier Prozent reduzieren.

Bei einem Gasembargo von europäischer oder russischer Seite wäre demnach ein Wirtschaftseinbruch auf dem Niveau des Coronajahres 2020 oder der Finanzkrise im Jahr 2009 zu erwarten, schreibt der Professor für Volkswirtschaftslehre. Möglich sei aber auch eine Wirtschaftskrise »wie sie Westdeutschland seit dem Zweiten Weltkrieg nicht erlebt hat«, warnt Krebs, der auch als Sachverständiger im Deutschen Bundestag angehört wird.

Welche Folgen ein Energielieferstopp für die deutsche Wirtschaft hätte, ist unter Experten seit Monaten heftig umstritten: Manche Forscher halten die Folgen für überschaubar. So erwartet etwa der in den USA lehrende Ökonom Rüdiger Bachmann in einer mit Kollegen verfassten Studie vor einem Einbruch von maximal drei Prozent. Auch die Wissenschaftsakademie Leopoldina hatte die Folgen eines Lieferstopps als »handhabbar« bezeichnet. Das gewerkschaftsnahe IMK-Institut hatte dagegen einen Wirtschaftseinbruch von bis zu sechs Prozent vorhergesagt.

Uneins sind sich die Wirtschaftsforscher vor allem über die sogenannten Kaskaden- oder Zweitrundeneffekte. Sie entstehen, wenn Schlüsselindustrien ihre Produktion auf breiter Linie herunterfahren oder ganz einstellen müssen und anderen Branchen dann zentrale Vorprodukte fehlen. Diese Effekte ließen sich nur schwer dämpfen, so Ökonom Krebs. Der Untersuchung zufolge werde Erdgas in der deutschen Industrie etwa in der Chemie, der Ernährungsindustrie oder dem Maschinen- und Fahrzeugbau gebraucht und sei dort kaum zu ersetzen.

Der Studie zufolge drohten bei einem Gasstopp deshalb mehr Firmenpleiten oder Produktionsverlagerungen und ein »deutlicher Anstieg der Arbeitslosigkeit«. Die Wirtschafts- und Geldpolitik könne kaum noch gegensteuern. Sie sei angesichts der Ausgaben zur Abfederung der Coronakrise und der hohen Inflation in ihren Möglichkeiten eingeschränkt. Die Preisschocks bei Energie und Nahrungsmitteln träfen zudem »überwiegend die unteren und mittleren Einkommen, sodass soziale Spannungen verschärft werden.«

spiegel


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