Sie ahnte nicht, dass damit nur der nächste Albtraum beginnen würde. Statt einer schnellen Trennung von ihrem Peiniger, sollte sie ein Jahrzehnt mit Rabbinern um das Recht streiten, sich scheiden zu lassen. Denn ihr Gatte machte sie zur Geisel der israelischen Justiz. Er weigerte sich, ihr einen "Get" zu geben – die Einwilligung zur Scheidung laut jüdischer Tradition. Und ohne "Get" ist Frauen in Israel ein Neuanfang unmöglich – sie gelten vor dem Gesetz weiter als verheiratet. Neun Jahre lang machte Gabais Mann seine Zustimmung davon abhängig, dass sie von finanziellen Forderungen ablässt. Endlich zwangen ihn die Rabbiner, in die Scheidung einzuwilligen.
Ehevertrag und Online-Pranger sollen helfen
In Israel ist das tausendfacher Alltag. Jedes Jahr lassen sich rund 11.000 jüdische Paare scheiden. Doch nur Rabbiner können sie voneinander trennen, weil es kein ziviles Familienrecht gibt. Progressive jüdische Strömungen suchen nun nach Alternativen. Die Rabbinerorganisation Tzohar etwa hat gemeinsam mit der Anwaltskammer einen Ehevertrag ausgearbeitet, der dem Mann schwere Strafen androht, falls er seiner Ehefrau keinen "Get" gibt. Andere machen die Legalität der Ehe von der späteren Zustimmung des Mannes abhängig, einen "Get" zu geben. Verweigert er, annulliert das die ursprüngliche Ehe automatisch.
Auf ihrer Website führen die rabbinischen Gerichtshöfe sogar eine "Most wanted"-Liste, auf der sie Verweigerer namentlich und mit Foto bloßstellen. Laut eigenen Angaben verhängten die Rabbiner im vergangenen Jahr 165 Strafen gegen 47 "Get"-Verweigerer, 23 wurden verhaftet. Ein Fall erregte gerade erst viel Aufsehen: Der Vater eines Verweigerers musste ins Gefängnis, weil er die Störrigkeit seines Sohnes unterstützt hatte. Der höchste Gerichtshof setzte den Vater jedoch wieder auf freien Fuß.
Große Nachteile für die Frau
Die Empörung über die Macht der Männer und die Ohnmacht der Frauen wächst. Dennoch lassen sich zwei Drittel aller israelischen Paare nach wie vor traditionell von Rabbinern trauen. Dieser jüdische Bund fürs Leben basiert auf den Grundlagen der Halacha, der jahrtausendealten jüdischen Rechtsprechung. Zwar ist es theoretisch leicht möglich, sich scheiden zu lassen. Der Prozess könnte innerhalb von rund zwei Monaten abgeschlossen sein – aber nur, wenn beide Partner zustimmen. Verweigert der Mann sein "Get", wird die Frau zur "Aguna" – wörtlich übersetzt "Verankerte" oder "Angekettete".
Eine "Aguna" darf keine neue Beziehung mit einem anderen jüdischen Mann eingehen. Würde sie dennoch von einem Juden schwanger, wäre das Kind ein Bastard, der zehn Generationen lang keine anderen Juden heiraten darf. Fast nichts kann einen "Get" ersetzen, außer der Beweis, dass der Mann tot ist oder die Ehe illegal geschlossen wurde. Der "Get" muss aus freien Stücken gegeben werden, sonst ist er ungültig. Und so leben "Agunot" – so der Plural – in einem legalen Schwebezustand.
Laut einer neuen Studie des Oberrabbinats handelt es sich um ein seltenes Phänomen, das derzeit nur 180 Frauen betreffe. Die Frauenrechtlerin Batia Kahana-Dror, Direktorin der Hilfsorganisation "Mavoi Satum" (Sackgasse), die "Agunot" rechtlichen Beistand leistet, spricht indes von ganz anderen Größenordnungen: "Bei etwa jedem dritten Scheidungsantrag, der von einer Frau eingereicht wird, nutzt der Mann seinen juristischen Vorteil, um sie mit dem ,Get` zu erpressen. Wir sprechen von Tausenden gefesselten Frauen." Andere sprechen gar von Zehntausenden "Agunot", die in Einzelfällen jahrzehntelang gegen ihren Willen an ihre Gatten gekettet sind.
"Es ist, als würde jemand kommen und in deinem Leben einfach den Pause-Knopf drücken", erklärt Lilach Bublick. Drei Jahre lang rang die heute 29 Jahre alte Buchhalterin um einen "Get". Als sie heiratete, träumte sie von einer großen Familie mit vielen Kindern. "Es sollten doch die schönsten Jahre meines Lebens sein. Stattdessen stand mein Leben still", sagt sie unter Tränen. Sie durfte keinem Mann nahekommen, um nicht in Verdacht zu geraten, eine Betrügerin zu sein. "Nur weil der Mann nicht zustimmt, verbieten die Rabbiner der Frau, Kinder zu gebären. Das ist aber doch mein ureigenstes Recht!"
Scheidung nur gegen Geld
"Er war arbeitslos, gemeinsam hatten wir etwa 25.000 Euro Schulden, die ich von meinem Gehalt abzahlte. Er wollte jedes Mal noch etwas für den ,Get`. Am Anfang waren es Fernseher und Klimaanlage, später Möbel. Er hielt mich hin und ich bezahlte jeden Monat eine weitere Rate." Dennoch dauerte es, bis die Rabbiner ihr eine Scheidung zugestanden: "Er sagte nur, dass er mich liebt, und schon übten sie Druck auf mich aus, damit ich bei ihm bleibe. Selbst dann noch, als ich ihnen Beweise lieferte, dass er mich mit Huren betrogen und das Geld verspielt hatte."
Gabai erzählt eine ähnliche Geschichte: "Vier Jahre lang versuchten die Rabbiner, mich zum Hausfrieden zu zwingen. In dieser Zeit erhielt ich keine Unterhaltszahlungen. Ich musste meine vier Kinder mit einem Gehalt von etwa 800 Euro durchbringen." Auch sie stand vor einem riesigen Schuldenberg.
Mossad-Agenten suchen Scheidungsverweigerer
Im Mittelalter gestattete die Halacha, "Get"-Verweigerer so lange zu schlagen, bis sie ihn "freiwillig" gaben. Seit 1995 gibt das Gesetz in Israel den Rabbinern moderne Mittel an die Hand: Sie können den Führerschein oder Berufslizenzen entziehen, Ausreiseverbote verhängen, Bankkonten einfrieren und Haftstrafen verhängen. Ehemalige Mossad-Agenten werden angeheuert, um untergetauchte "Get"-Verweigerer zu finden. Gegen die sind die Rabbiner unerbittlich: In ihren Urteilen rufen sie dazu auf, Verweigerer zu isolieren, mit ihnen weder Geschäfte zu machen noch sie auf der Straße zu grüßen.
Der Frauenrechtlerin Dror ist all das zu wenig: "Die Rabbiner machen von diesen Sanktionen in nur zwei Prozent der Fälle Gebrauch – und meist erst nach Jahren", sagt sie. "Wenn sie Verweigerern gegenüber weniger Toleranz zeigten, gäbe es dieses Phänomen gar nicht. Aber sie haben eine patriarchalische Weltanschauung und üben lieber Druck auf Frauen aus." Gabai stimmt zu: "Die Rabbiner geben den Männern Rückendeckung. Ihr Verhalten entspringt der Überzeugung, dass die Frau Besitz des Mannes ist."
Wunsch nach zivilem Familienrecht
Die Lösung wäre laut Dror eine völlige Trennung von Staat und Religion, ein ziviles Familienrecht. 75 Prozent der Israelis wünschen sich das laut Umfragen. Dabei tritt die tiefe Spaltung zwischen religiösen und säkularen Juden zutage: Während 93 Prozent der Säkularen sich für die zivile Scheidung aussprechen, sind 93 Prozent der Ultraorthodoxen dagegen. Die Rabbiner warnen vor einer Spaltung des jüdischen Volkes, weil die Nachkommen ziviler und religiöser Ehen nicht mehr untereinander heiraten dürften.
Gabai, Bublick und Tausende andere Frauen haben ihren Glauben verloren. Gabai zündet weiter Sabbat-Kerzen an. Doch das Rabbinertum "sollte man abschaffen", findet sie. Bublick, die vergangenen Dezember endlich den "Get" erhielt, geht noch einen Schritt weiter: "Früher war ich gläubig und hielt mich an die Tradition. Aber heute scheint mir Religion unfair und unlogisch", sagt sie, und verweist auf einen merkwürdigen Ausweg aus der Lage der "Angeketteten". "Hätte ich Kinder durch eine Samenspende oder mit einem Nichtjuden geboren, hätten die Rabbiner sie als vollwertige Juden und nicht als Bastarde betrachtet. Mit solchem Unsinn treiben sie uns dazu, den Glauben zu verlassen. Ich werde eine Familie gründen, aber nie wieder heiraten. Jetzt ist mir egal, ob der Vater meiner Kinder ein Jude, Christ oder Atheist sein wird."
Quelle : welt.de
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