Das wird glasklar im Fall der beiden neuen Bürgermeisterinnen. Virginia Raggi, eine junge Anwältin, hat den Kandidaten der Renzi-Partei von der PD (Partito Democratico) mit einer Zweidrittelmehrheit besiegt. Die Römer wollten den Wechsel, nachdem der Vorgänger, der Arzt Ignazio Marino, unter Schimpf und Schande aus dem Amt gejagt worden war. Ihm wird Betrug bei Spesenabrechnungen vorgeworfen.
Die Stadt Rom ist eigentlich seit Jahren pleite. Sie trägt einen Schuldenberg von mehr als 10 Milliarden Euro vor sich her und überlebt nur, weil die nationale Regierung für die Schulden geradesteht. Die Bürger Roms dürfen den Altschuldenberg über die nächsten 20 Jahre abzahlen, die Lokalsteuern sind die höchsten Italiens. Rom selbst ist wohl die schmutzigste Stadt Europas mit der nur von Neapel übertroffenen schlechtesten Zahlungsmoral seiner Bürger.
Allein der öffentliche Nahverkehr macht jährlich 300 Millionen Euro Miese, weil drei von vier Bürgern sich regelmäßig weigern, Fahrtkarten zu kaufen. Bei nur 80 Kontrolleuren pro Tag im Dienst ist die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, so gering, dass es allein Kants Kategorischem Imperativ überlassen bleibt, ob einer zahlt oder nicht. Ansonsten allerdings ist die Stadtverwaltung maßlos aufgebläht: Für 2,8 Millionen Einwohner hält sich die Stadt doppelt so viele Mitarbeiter bei der Müllabfuhr wie das deutlich größere Berlin. Wohin man auch blickt: Misswirtschaft und Korruption.
Ein ideales Terrain für die Protestbewegung des Komikers Beppe Grillo, und deren Kandidatin Virginia Raggi. Die Römer wollten sie, weil sie die einzige glaubwürdige Alternative war: Die Rechte in Rom war ebenso unwählbar wie die Renzi-Partei. Deren ehemaliger Bürgermeister ist so tief in einen Skandal verwickelt ist, der hier bezeichnenderweise "Hauptstadt-Mafia" heißt.
Rom zu verlieren - damit hatte der agile Regierungschef Matteo Renzi gerechnet, aber nicht mit dem Verlust Turins, der Arbeiterstadt und dem "roten" Herzen der Partei, deren Wurzel ja die die Kommunistische Partei Italiens (KPI) KPI ist. Das trifft hart, genauso wie die Tatsache, dass 15 andere Städte alle an die "Fünf-Sterne-Bewegung" (Movimento 5 Stelle) gegangen sind. Turin ist nicht schlecht regiert worden, aber der erneut kandidierende Altbürgermeister Piero Fassino war eben zu lange schon dabei: Sein zerknittertes Gesicht stand für eine alte Politikerklasse, die nun "verschrottet" wird - im Tausch gegen die junge Unternehmerin, Chiara Appendino, die auch für die "Fünf-Sterne Bewegung" antritt.
Uneingelöste Versprechen und Skandale
Für Renzi ist das eine bittere Ironie. Er selber trat vor zwei Jahren gegen seine alten Parteichefs und auch gegen Berlusconis alte Garde an mit dem Slogan: "Wir verschrotten die Alten". Nun wird er selber schon verschrottet, obwohl er noch gar nicht so viel älter ist: Er hat sich zu viele Wahlversprechen geleistet, die er nicht eingelöst hat, und seine Partei wird von Korruptionsskandalen erschüttert. Die Wählertreue hat sich erschöpft.
Anstatt wie in der Vergangenheit gewohnt, alle Stichwahlen für sich zu entscheiden, verliert die Renzi-Partei nun fast alle. Einzige Trostpflaster sind die Siege in Mailand gegen einen Kandidaten der Berlusconi-Koalition und in Bologna, der roten Hauptstadt der Emilia-Romagna, die ihm von den Großstädten geblieben sind.
Es ist eine Anti-Renzi-Wahl gewesen, alle gegen Renzi, hieß der Slogan diesmal. Bei allen Stichwahlen haben sich die Gegner des Ministerpräsidenten gegen ihn verbündet. Politisch isoliert zu sein, ist natürlich Gift in einer zersplitterten Parteienlandschaft. Noch ist Renzis Partei in den Umfragen die relativ stärkste, aber mit 35 Prozent gewinnt man eben keine einzige Stichwahl. Das von Renzi eben durchgesetzte neue nationale Wahlrecht aber setzt nun genau auf solche Stichwahlen. Sollte keine Partei die Schwelle von 40 Prozent bei den nächsten Parlamentswahlen überschreiten, käme es zur Stichwahl der beiden relativ stärksten. Was aussah wie ein maßgeschneidertes Wahlrecht für Renzi, – er hatte bei den Europawahlen eben genau diese Schwelle überschritten – wäre bei den nächsten Parlamentswahlen das Ende Renzis.
Einsparliste nicht umgesetzt
Renzi hatte den Wähler eine Reform an Haupt und Gliedern versprochen, das Ende des ausgeuferten Staatsapparates. Ein Sonderkommissar namens Carlo Cottarelli hatte den Auftrag bekommen, den Staatsapparat nach überflüssigen Staatsfirmen und untätigen Abteilungen zu durchforsten. Der Kommissar legte eine lange Liste vor mit einem Spareffekt von 25 Milliarden pro Jahr. Doch kaum hatte Renzi die Liste gelesen, wurde der gute Mann aus dem Amt gejagt: Heute ist er wieder Funktionär beim IWF. Die Reformliste konnte und durfte nicht abgearbeitet werden, weil sie der Partei Renzis tief ins eigene Fleisch geschnitten hätte. In den meisten der 8000 inaktiven aber mit viel Personal ausgestatteten Staatsfirmen, die man sofort schließen könnte, arbeiten eben Gefolgs- und Parteibuchfreunde aus Renzis Partei.
Also blieb es bei den Wahlgeschenken Renzis, wie den 80 Euro Steuernachlass für Beschäftigte mit einem mittleren Einkommen oder bei der Abschaffung der Grundsteuern bei Eigentümern von selbst bewohnten Häusern. Geschenke, die Renzi über mehr Schulden finanzierte, nicht über Kürzungen. Wahlgeschenke, die ihm auch die EU-Kommission und Berlins sonst so strenger Finanzminister erlaubt haben, weil Renzi immer drohte: "Wenn ihr mich jetzt nicht am Leben erhaltet, kommt die Protestbewegung an die Regierung." Aber die kommt nun auch so an die Regierung, trotz der Wahlgeschenke, die auf Pump finanziert und von Frankfurt, Brüssel und Berlin abgesegnet wurden.
Quelle: n-tv.de
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